Aufrüstungsdebatte: Sicherheit von links gedacht
Gegen die imperiale Bedrohung durch Russland und andere Gefahren braucht es realpolitische Antworten. Ohne dabei die Vision einer Welt ohne Krieg aus dem Auge zu verlieren.

E s ist gerade mal drei Jahre her, aber derzeit scheint so eine Friedensdemo undenkbar: Hunderttausende waren in Berlin auf der Straße – gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Heute tobt dieser in noch größerer Härte. Im Gazastreifen begeht die Regierung Netanjahu furchtbare Kriegsverbrechen. Bis vor kurzem schaukelte sich ein Krieg zwischen Israel und dem Iran hoch. Doch die Straßen sind leer.
Demonstrationen erfordern Eindeutigkeit. Aber bei der Eindeutigkeit, die propalästinensische oder auch proisraelische Demos anbieten, wollen viele sich zu Recht nicht einreihen. Wenn die ukrainische Community mit Nationalfahnen und „Gebt uns Taurus“-Rufen auf die Straßen geht, sind viele Menschen eher verunsichert. Und erleichtert nimmt man zur Kenntnis, dass Wagenknecht und Schwarzer sich gerade keine „Friedensdemos“ mehr zutrauen, deren Eindeutigkeit so falsch ist, dass sie vor allem Putin erfreuen.
ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb die Kampagnen-Organisation Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand.
Die progressive Zivilgesellschaft ist, wenn es um Krieg und Frieden geht, tief verunsichert. Auch durch die Parteien des linken Spektrums ziehen sich Gräben, wie sie etwa um den SPD-Parteitag zutage traten. Was es daher dringend braucht, ist eine linke Standortbestimmung, die den Anspruch hat, realpolitische Antworten auf die massiven Bedrohungslagen zu geben – ohne die Vision einer Welt ohne Krieg aus dem Auge zu verlieren.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Das „Manifest“ von SPD-Politiker*innen um Ralf Stegner und Rolf Mützenich ist dabei wenig hilfreich. Die Autoren verharmlosen Putins Imperialismus, wenn sie von einem „Konzept gemeinsamer Sicherheit“ als „einzigen verantwortungsvollen Weg“ träumen. Das Hauptproblem, das sich durch den Text zieht, ist aber: Sicherheitspolitik wird entlang geopolitischer Einflusssphären gedacht – und nicht konsequent auf Basis des Völkerrechts, einer regelbasierten Ordnung und des Selbstbestimmungsrechts.
Ohne militärische Stärke kein Schutz vor Despoten
Der bittere Ausgangspunkt für eine ernsthafte linke Standortbestimmung muss heute sein: Die Bewahrung von Frieden und die Verteidigung von Freiheit und Demokratie gegenüber Autokraten fußt auch auf militärischer Stärke. Und diese ruht umso mehr auf unseren Schultern, umso weniger wir uns unter Trump noch auf den Schutzschild der USA verlassen können.
Wenn wir nicht Spielball zwischen zunehmend autokratisch geprägten Machtblöcken in einer multipolaren Ordnung sein wollen, müssen wir unsere Verteidigungsfähigkeit steigern.
Haben die Konservativen also einfach recht? Sollten wir als Linke jetzt auch Hochrüstung fordern, „whatever it takes“? Nein, das wäre deutlich zu kurz gesprungen. Rheinmetall und Diehl, Airbus und Heckler & Koch dürfen nicht einfach Bedarfe und Bestelllisten diktieren. Wir brauchen vielmehr eine differenzierte Debatte darüber, wie viel Rüstungsausgaben wirklich nötig sind. Zu deren Bemessung helfen Prozentzahlen am BIP, wie sie die SPD auf ihrem Parteitag kürzlich beschlossen hat, wenig. Zumindest wenn man nicht sagen kann, wie lange Rüstungsausgaben in exorbitanter Höhe nötig sind – und wann die Zielgröße erreicht ist.
Eine linke Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zeit darf zudem nicht länger im nationalen Karo gedacht sein. Die zentrale Antwort ist Europa. Was es braucht, ist eine gut koordinierte europäische Aufgabenteilung in der Verteidigungsfähigkeit. Und wir müssen diskutieren, wie weit die europäische Integration hier gehen kann. Sollte mittelfristig eine europäische Armee und das Ende nationaler Militäreinheiten das Ziel sein?
Rüstungsumverteilung
Rüstung muss zudem viel gerechter finanziert werden. Auf der Hand liegt die Forderung, die gigantischen Profite der Rüstungsindustrie etwa mit einer Übergewinnsteuer abzuschöpfen. Aber ist es nicht sinnvoller, mit einem europäischen Beschaffungswesen endlich für Wettbewerb unter den Rüstungsfirmen zu sorgen? Oder die Rüstungsindustrie zu verstaatlichen, wie in anderen EU-Staaten faktisch üblich? Zudem ist nicht einzusehen, dass alle Verteidigungsausgaben über Schulden finanziert werden. Superreiche müssen endlich mit einer konsequenten Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung in die Pflicht genommen werden.
Eine linke Standortbestimmung muss auch einen erweiterten Sicherheitsbegriff umfassen. Wer viel Geld in Rüstung steckt, muss auch weit mehr in Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit investieren. Nicht nur bei uns, rund um den Globus sollte eine demokratische Zivilgesellschaft gestärkt werden, damit die Menschen überall der autokratischen Versuchung widerstehen können. Zudem müssen wir konsequent die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren und Klimapolitik endlich als erweiterte Sicherheitspolitik begreifen.
Und wir müssen dafür streiten, dass das Völkerrecht wieder handlungsleitend wird. Schon früher wurde es auch von der Nato immer wieder verletzt. Aber nie drohte das Recht des Stärkeren so offen und brutal die regelbasierte Ordnung abzulösen. Gegen das Recht des Stärkeren hilft nur die Stärke des Rechts. Wenn das die Richtschnur ist, müssen wir aber auch die Kriegsverbrechen der Regierung Netanjahu im Gazastreifen klar verurteilen. Gerade weil wir für das Existenzrecht Israels und seine Sicherheit eintreten.
Die hier skizzierten Ansätze könnten eine Basis dafür liefern, als progressive Zivilgesellschaft heute zu kluger Eindeutigkeit zu finden. Damit wir wieder sprach- und handlungsfähig werden. Eine solche Klarheit ist auch die Grundbedingung dafür, dass das linke Parteienspektrum mittelfristig koalitions- und regierungsfähig wird. Besonders die Linkspartei, aber auch die SPD muss sich entscheiden, ob sie sich ideologisch an alten Positionen festklammern oder linke Sicherheitspolitik neu denken wollen. Drücken sie sich weiter, machen sie vor allem den Rechten ein riesiges Geschenk. Das sollten wir verhindern.
Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb die Kampagnen-Organisation Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand.
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