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Baden im Fluss

In Hamburg darf in der Elbe geschwommen werden, in Berlin ist das Baden in der Spree verboten. Und ein Flussbad nach Pariser Vorbild ist in weiter Ferne. Selbst ein Steg ist schon zu viel

Aus Hamburg und Berlin Amira Klute und Uwe Rada

Die Elbe ist heute ein hartes Pflaster. Ostwind wühlt das grüngraue Wasser auf. Ein alter Mensch kniet am Strand in Hamburg-Övelgönne und hält zitternd drei Finger in die Gischt. Von der anderen Flussseite dröhnt der Containerhafen. Dann schiebt sich eine weiße Wand ins Bild: Das Kreuzfahrtschiff „Aida“ mit winzigen winkenden Menschen an Bord läuft aus und löst eine Reihe ernstzunehmender Wellen aus. Hier baden?

Klar! In Hamburg ist das gelebte Praxis. An warmen Sommertagen ist der zentral gelegene Elbstrand in Altona voller Menschen, viele von ihnen in Badesachen. Zu Hunderten lagern sie auf mitgebrachten Decken, die sie in Sichtweite der Strandbars ausgebreitet haben.

Der Elbstrand ist hier wirklich ein Strand, ein paar Schritte, und man ist im trüben Wasser, das an dieser Stelle schnell tiefer wird. Vor allem Kinder zieht es hinein, nervöse Mütter und Väter stehen am Rand und passen auf, dass sie nicht zu weit rausschwimmen. „Nein, nicht bis zur Boje! Nur so weit, wie du stehen kannst!“

Kilometerweit, bis nach Blankenese, reicht der Strandgürtel im Hamburger Westen, und immer wieder tun sich Badebuchten auf, an denen die Leute an warmen Tagen ins Wasser gehen. Es ist einfach zu verführerisch, auch wenn Schilder vor großen Wellen warnen, die, ausgelöst durch die großen Schiffe, jederzeit kommen können.

Früher, bevor die Elbe im Zuge der Industrialisierung zunehmend verdreckte, gab es in Hamburg eine ganze Reihe an Flussbadeanstalten. Die erste eröffnete 1834 am Grasbrook. Zur besten Zeit gab es Bäder auf dem Köhlbrand, auf der Veddel, auf Kaltehofe, in Neumühlen, Nienstedten, Blankenese, Wittenbergen und Hahnöfersand.

Verboten ist es nicht

Doch nicht alle wollen dasselbe. Zum Baden in der Elbe gibt es unter Ham­bur­ge­r*in­nen nur zwei Haltungen: Man macht es gerne. Oder man würde es nie tun. Nur eins steht fest, verboten ist es nicht.

Aber ist das nicht gefährlich, Planschen neben den größten Containerschiffen der Welt? Irgendwie ungesund, Schweröl und so? „Doch!“, sagt Martin Helfrich, Sprecher der für die Elbe zuständigen Wirtschaftsbehörde. „Wir raten dringend davon ab.“

Erlaubt ist das Baden im Stadtgebiet, mit Ausnahme eines kleinen Teils im Hafen, zwar schon, aber nur weil es nie jemand verboten hat. Die Stadt empfiehlt auf Flyern, Webseiten und bei Veranstaltungen eindringlich, es freiwillig zu lassen. Die Elbe ist kein offizielles Badegewässer. Schilder entlang des ganzen Strands warnen in 13 Sprachen vor „Lebensgefahr“.

Irgendwo leuchtet das ein. Die in der Stadt rund 400 Meter breite Elbe ist eine Bundeswasserstraße. Hier fahren regelmäßig dicke Pötte, wie Containerschiffe in Hamburg auch genannt werden. Weil sie so viel Wasser verdrängen, lösen sie beim Vorbeifahren erst einen Sog und dann einen so genannten Schwell aus. Sie ziehen also erst Wasser an und schlagen dann Wellen ans Ufer, wie die „Aida“ in Övelgönne. Beides kann vor allem kleine Menschen von den Füßen reißen.

Flussbaden

Der Rhein

Je näher am Ursprung, der in den Schweizer Bergen liegt, desto besser: Noch in Basel ist das Rheinbaden ein Volkssport, der von der Stadt beworben wird. Köln und Düsseldorf dagegen streben nach einigen tödlichen Unfällen ein totales Badeverbot an.

Der Main

Hier ist es ähnlich: Während in und um Würzburg noch selbstverständlich im Fluss geschwommen wird, besteht in Frankfurt kaum eine Chance: zu viele Brücken und Schiffsanlegestellen, dazu noch die Darmbakterien ...

Und rechts der Donau

In der Donau wird gern geschwommen, auch in Städten wie Ulm oder Regensburg. Und in München sprudelt das klare Wasser der Isar und ihrer Nebenflüsse – gebadet wird hier fast überall.

Nicht die einzige Unwägbarkeit. Damit der Hafen international wettbewerbsfähig bleibt und auch die am schwersten beladenen Pötte durch die Elbe passen, ist ihre Fahrrinne in der Mitte fast 17 Meter tief ausgebuddelt. Vom Ufer zur Rinne hin fällt der Boden unter Wasser steil ab. Die unsichtbare Gefahr ist, an der Kante ins Leere zu treten und ungeplant unterzutauchen. Auch wegen des Hafens ist die Elbe außerdem an vielen Stellen bakteriell belastet, warnt die Stadt.

Und dann ist da noch die Tide. Wegen der Nähe zur Nordsee unterliegt die Elbe in Hamburg den Gezeiten. Alle sechs Stunden wechseln sich Ebbe und Flut ab, Wasser fließt ab oder strömt ein. Das macht bis zu vier Meter Unterschied in der Wasserhöhe aus. Die Tide führt zu Strudeln, Strömungen und dazu, dass sich die Fließgeschwindigkeit dauernd verändert. Mit bis zu 7 Kilometern pro Stunde fließt das Wasser bei Flut – schneller als die meisten schwimmen können.

Jedes Jahr ertrinken Menschen in der Elbe. Laut der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Hamburg waren es im vergangenen Jahr fünf, darunter ein Kind. Die DLRG überwacht die Elbe in Hamburg an fünf Wasserrettungsstationen.

An der Einsatzleitstelle in Wittenbergen, einem Holzhaus auf hohen Stelzen am Strand, ganz im Westen der Stadt, ist gerade ein Alarm eingegangen. Der Einsatztrupp hopst im Motorboot mit Vollgas über die Wellen Richtung Innenstadt. Bezirksleiter Arto van der Meirschen, ganz in Rot-Gelb, sieht ihm vom Steg aus nach. Eine Jolle, ein Segelboot, ist umgekippt, zwei Menschen sind über Bord. Eine Ausnahmesituation? „Regel“, sagt er entspannt. Eine halbe Stunde später kommt das DLRG-Boot zurück, die Leute sind gerettet.

Anfang Juli haben Kol­le­g*in­nen von Feuerwehr und Wasserschutzpolizei zwei Männer aus der Elbe gefischt, die auf die andere Seite schwimmen wollten. Weil es kein Verbot gibt, ist das keine Ordnungswidrigkeit. Hätten Sie ein Containerschiff aufgehalten, hätte es ein Eingriff in den Schiffsverkehr sein können. So gab es nur eine Verwarnung und einen Bericht im NDR.

Was Arto van der Meirschen als Wasserretter vom Baden in der Elbe hält? Nicht ungefährlich, aber könne man machen. „Wenn du die Elbe gut kennst“, sagt er und hält mahnend den Zeigefinger in die Brise. Geübte Elbe-Schwimmer*innen im Bekanntenkreis empfehlen das Baden bei Flut, wenn mehr Wasser zwischen Ufer und Fahrrinne ist, dann müsse man auch nicht so weit über den glitschigen Schlick gehen. Vor dem Einstieg in den Fluss solle man rechts und links schauen, ob ein Containerschiff kommt. Das Schwimmen sei nur parallel zum Strand zu empfehlen und nur so weit, wie die Füße noch auf den Grund kommen.

In der Elbe zu sein, sagen sie, fühle sich im Prinzip ein bisschen an wie in einem Baggersee, das Wasser sei eher weich. Auch beim Rauskommen sei das Gefühl auf der Haut okay, ein sofortiges Duschen nicht nötig.

Der lange Kampf ums Spreebad

Mehr Hamburg wagen. Das würde Tim Edler gerne. Mehr Hamburg heißt für den Gründer des Vereins Flussbad Berlin, dass jeder und jede selber darüber bestimmen kann, in der Spree zu schwimmen. Auf eigene Gefahr. Wie in Hamburg in der Elbe. „Wir wollen, dass die Menschen mündig entscheiden dürfen, ob sie in die Spree gehen oder nicht“, sagt Edler.

„Unmengen von Müll, Polizei, Dauerparty, gute Nacht, Museumsinsel!“

Hermann Parzinger, ehemaliger Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Eigentlich sind die Voraussetzungen gut in Berlin. Keine dicken Pötte wie an der Elbe, keine Tide, keine ausgebaggerte Fahrrinne. Eher ist die Spree, die Berlin von Köpenick bis Spandau durchfließt, mit der Seine in Paris vergleichbar. Kurz vor der Museumsinsel teilt sie sich sogar in zwei Arme. In einem davon, dem Spreekanal, will Edlers Verein endlich das Flussschwimmen möglich machen.

Doch mündig wie in Hamburg sind die Berlinerinnen und Berliner, die an heißen Sommertagen ihren Traum vom Baden im Fluss verwirklichen wollen, schon lange nicht mehr. Seit mehr als 100 Jahren herrscht Badeverbot in der Spree. Die letzte Flussbadeanstalt in Alt-Berlin wurde am 20. Mai 1925 geschlossen.

Die Wasserqualität der Spree, die damals den Ausschlag gab, ist für Tim Edler heute kein Grund mehr für ein Badeverbot. Zwar läuft bei Starkregen die Berliner Mischwasserkanalisation voll mit Fäkalien und ergießt sich in die Spree. Aber das Dreckwasser fließt irgendwann auch ab.

Ist die Spree wieder sauber, könnte eine Ampel im Internet von Rot auf Grün springen. Mit dem Kompetenzzentrum Wasser hat der Flussbad-Verein ein Monitoring entwickelt, mit dem die Wasserqualität der Spree jederzeit abgerufen werden kann. An guten Tagen rein ins Wasser, an schlechten eben nicht. Die einzige, die das nicht einsieht, ist Berlins Umwelt- und Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU).

„Das Problem ist, dass die Badegewässerverordnung für derartige Konstellationen (Flussbadestelle inmitten eines Mischentwässerungssystems mit sehr kurzfristigen Verschmutzungen) keine adäquaten Vorgaben enthält“, ließ schon voriges Jahr eine Sprecherin der Senatorin mitteilen. „Inwiefern man hier mit anderen Messmethoden Abhilfe schaffen kann, ist rechtlich und fachlich offen.“

Seitdem hat sich an dieser Position nichts geändert.

Berlins Badegewässerverordnung ist bundesweit ein Unikum. Sie wurde 2008 verabschiedet, um die EU-Badegewässerrichtlinie von 2006 in nationales und Landesrecht umzusetzen. Während in anderen EU-Länder und auch in anderen Bundesländern zwischen offiziellen Badestellen und Badeverbotszonen ein großer Graubereich besteht, hat sich Berlin dafür entschieden, ein generelles Badeverbot zu verhängen. Lediglich in einem Anhang werden die Ausnahmen aufgelistet wie der Wannsee, der Müggelsee oder die Havel. Die Spree ist keine Ausnahme. Einen Graubereich wie in Hamburg kennt die Berliner Verordnung nicht.

In der Spree baden: geht doch! Foto: Christian Jungeblodt

Dabei kann es der CDU-Senatorin Ute Bonde mit dem Aufheben von Verboten gar nicht schnell genug gehen, wenn es um den Autoverkehr geht, vor Kurzem erst ließ sie einen Pop-up-Radweg für Autos freigeben. Ist das Badeverbot in der Spree also politisch motiviert?

In Sichtweite des Humboldt-Forums

Tim Edlers Flussbad-Verein will das Spreebaden mitten in der Stadt ermöglichen, in Sichtweite des Humboldt Forums im wiederaufgebauten Stadtschloss. Das bleibt natürlich nicht unwidersprochen. „Hier werden Hunderte nicht nur baden, sondern feiern wollen“, warnte schon vor Jahren Hermann Parzinger vor einer Gefahr für die Museumsinsel. Er empfehle „einen Besuch am Schlachtensee oder in den Freibädern von Neukölln, Kreuzberg oder Pankow, dort ist die Situation längst gekippt“, echauffierte sich der damalige Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Unmengen von Müll, Polizei, Anwohnerklagen, Dauerparty, gute Nacht, Museumsinsel!“

So unsinnig Parzingers Furcht vor einer Streichung des Welterbestatus war – das geplante Flussbad befindet sich außerhalb der Kulisse der Unesco – so sehr ist das konservative Milieu derer in Aufruhr, die am liebsten die Berliner Altstadt wieder aufbauen wollen. Ein Flussbad passt da nicht ins Bild.

Vielleicht sollte man in Berlin nicht nur nach Hamburg schauen, sondern auch nach Paris. Seit vergangenem Wochenende gibt es in der französischen Hauptstadt drei Freibäder an der Seine und eines am beliebten Canal Saint-Martin. Die Bäder am Fluss liegen allesamt mitten im Unesco-Welterbe „Seineufer von Paris“.

Paris, wo das Baden in der Seine schon 1923 verboten worden war, hat verstanden, ­wovon viele in der steinernen Millionenstadt träumen. So wie die Straßen nicht alleine den Autos vorbehalten sein dürfen, gehört der Fluss nicht nur den Schiffen. „Paris Plages“, die Verbannung des Autoverkehrs von den Ufern, war der Anfang. Die Freibäder sind der nächste Schritt. Auch wenn die Bäder gleich nach der Eröffnung wegen Starkregen wieder geschlossen wurden, ist ein Traum für viele in Paris Wirklichkeit geworden.

Soll ich, soll ich nicht? Der Elbstrand bei Övelgönne Foto: Jörg Modrow/laif

1,4 Milliarden Euro ließ sich Paris die Realisierung dieses Traums kosten. In Berlin dagegen müsste nur ein Steg gebaut werden. Denn von einer großen baulichen Lösung – der ökologischen Sanierung des Spreekanals – hat sich der Verein Flussbad längst verabschiedet. Stattdessen soll es nun das Monitoring richten.

Doch mit Paris und Hamburg, Weltstadt die eine, Hafenstadt die andere, kann das sehr engstirnig gewordene Berlin nicht mithalten. Liest man die Begründung der Autosenatorin Bonde genau, lautet sie: Wir können das nicht genehmigen, weil die Badegewässerverordnung es verbietet. Dass der Senat die Verordnung selbst erlassen und damit auch wieder in die Tonne treten kann, geht der Senatorin nicht in den Kopf.

Während also in Paris in der Seine geschwommen wird, in Hamburg in der Elbe, in Basel im Rhein oder in den Brandenburger Dorfbadestellen sogar in der Spree, igelt sich die Hauptstadt ein in ihrem provinziellen War-schon-immer-so.

Aus der Traum also? Immerhin hat ein Stadtrat des Bezirks Mitte in Aussicht gestellt, im kommenden Jahr einen Badesteg im Spreekanal zu genehmigen. Vielleicht läuft es dann darauf hinaus: Das Badeverbot bleibt bestehen, wird aber nicht geahndet. So wie auch beim Verbot, dass Hunde frei in Grünanlagen rumlaufen.

Mehr Paris wagen wäre das dann nicht. Eher Berlin forever.

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