Tag gegen Polizeigewalt in Oldenburg: Vertrauen ist schlecht, Kontrolle wäre besser
Nach dem Tod von Lorenz A. fordern Zivilgesellschaft und Polizeiforschung eine unabhängige Polizei-Ermittlungsstelle. Die Politik vertraut lieber.

Neben der Erinnerung an Lorenz ging es vor allem um die politische Dimension des Falls. Ein Kindheitsfreund von Lorenz forderte: „Wir müssen darüber sprechen, was Polizeigewalt in diesem Land anrichtet. Wir müssen Strukturen hinterfragen, die solche Taten möglich machen und die zu oft ohne Konsequenzen bleiben.“
Die Initiative fordert neben dem verpflichtenden Einsatz von Bodycams und Maßnahmen gegen Rassismus unabhängige Beschwerdestellen und eine externe Kontrolle der Polizei.
Sie kritisiert, dass unter der Leitung der Staatsanwaltschaft Oldenburg die benachbarte Polizeiinspektion Delmenhorst die laufenden Ermittlungen wegen Totschlags gegen den Polizeibeamten der Inspektion Oldenburg führt.
Der Landtag glaubt fest ans Gute in der Polizei
Beide Dienststellen unterstehen der Polizeidirektion Oldenburg, die Beamt*innen werden gemeinsam in Oldenburg ausgebildet. Erst 2021 ermittelte Oldenburg gegen Delmenhorst, weil dort unter bis heute ungeklärten Umständen der Geflüchtete Qosay Khalaf in Polizeigewahrsam starb.
Innenministerin Behrens (SPD) bekundete im Landtag ihr „volles Vertrauen“ in die Polizei. Von Grünen über SPD, CDU bis hin zur AfD stellten sich alle Fraktionen hinter die Behörden. Sie bekräftigten ihrerseits ihr Vertrauen in die Ermittlungen.
Dass die Polizei gegen sich selbst ermittelt, hält der Kriminologe Tobias Singelnstein dagegen für problematisch: „Das ist auch innerhalb Deutschlands die schlechteste Lösung, dass die benachbarte Polizeidienststelle ermittelt“, erklärte er im Gespräch mit der taz.
Singelnstein und Kolleg*innen entdeckten in ihrer Studie „Gewalt im Amt“ eine „ungewöhnliche Erledigungspraxis“ von Staatsanwaltschaften bei Verdachtsfällen von rechtswidriger Polizeigewalt: Nur 2 Prozent der Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen führen zu einer Anklage. Normal wären 22 Prozent.
Die Ursachen sind vielfältig. Ein Grund ist die Nähe und Abhängigkeit von Staatsanwaltschaft zu Polizei. Denn obwohl die Staatsanwaltschaft formal die Ermittlungen leitet, werden sie überwiegend von der Polizei durchgeführt. Dass die Polizei in Deutschland aber nicht neutral gegen sich selbst ermitteln kann, hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2022 in einem Urteil zu Racial Profiling festgestellt.
Daneben gelten Polizist*innen als besonders glaubwürdige Zeug*innen und die Staatsanwaltschaft übernimmt häufig ihre Sichtweise. Im Fall Lorenz A. hat das niedersächsische Justizministerium schon vor Abschluss der Ermittlungen als einzige Aussage die des Kollegen des Todesschützen öffentlich gemacht. Demnach soll A. angeblich in seiner Tasche gekramt haben, als er auf die Beamten zurannte. Überprüfen lässt sich das nicht: Die Bodycams der Beamten waren ausgeschaltet.
Gewerkschaft lehnt unabhängige Ermittlungsbehörde ab
Sind Polizist*innen umgekehrt mutmaßliche Opfer einer Straftat, kommt es fast immer zur Anklage, selbst bei kleinsten Vergehen. In Niedersachsen und acht weiteren Bundesländern gibt es geheime Anweisungen an die Staatsanwaltschaften, diese Verfahren besonders hart zu verfolgen, wie Recherchen von Frag den Staat zeigen.
Die Polizeiforscherin Astrid Jacobsen hat im Auftrag des niedersächsischen Innenministeriums eine Studie zu Diskriminierung in der Polizei durchgeführt. Auch sie spricht sich für eine unabhängige Ermittlungsbehörde aus.
Die Polizeigewerkschaften halten eine unabhängige Ermittlungsstelle hingegen weiterhin für überflüssig. Auch das niedersächsische Innenministerium hält sie für unnötig. Ob es nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens in Oldenburg zur Anklage kommt, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
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