Generaldebatte im Bundestag: Merz, Spahn und der Schatten der Vergangenheit
Rechtfertigungen für Maskenkäufe und Hetze von rechts: In der Generaldebatte geht es im Bundestag heiß her. Dabei sollte es eigentlich um anderes gehen.

Für den Unionsfraktionschef lag der Schwerpunkt seiner Rede nicht in der obligatorischen Lobhudelei für Bundeskanzler Friedrich Merz. Mehr als ein Drittel seiner Sprechzeit nutzte Spahn für den Versuch, seine Rolle als Gesundheitsminister während der Coronapandemie schönzureden.
Diese Zeit begleite ihn „seit fünf Jahren jeden Tag“, startete er seine Rechtfertigungsbemühungen. Wenn er unterwegs sei, würde er immer wieder auf seine Zeit als Gesundheitsminister angesprochen. „Viele sagen Danke, mehr, als man denkt“, meinte Spahn – und erntete dafür höhnisches Gelächter und Zwischenrufe aus den Oppositionsreihen. Doch er zeigte sich unbeirrt. Seine Botschaft: „Wir haben dieses Land nach bestem Wissen und Gewissen durch die größte Krise seiner bundesrepublikanischen Geschichte geführt, und das sicher und mit klarem Kurs.“
Ein Anflug von Selbstkritik angesichts der zu viel und zu teuer eingekauften Masken sowie der zahlreichen Prozesse mit Maskenlieferanten, die den Bund noch mehrere Milliarden Euro kosten könnten? Fehlanzeige. Und kein Wort dazu, dass sich etliche Unionsmitglieder dumm und dämlich am Maskengeschäft verdient haben. Dem von Grünen und Linken geforderten Untersuchungsausschuss erteilte er eine schroffe Absage. Stattdessen wolle er „eine Aufarbeitung in einer Enquetekommission, die nach vorne hin lernen will, die nicht am Ende ein Geschäft macht, das den Falschen hilft“.
Merz: „Die Stimmung wird stetig besser“
Spahn warf der Opposition vor, sie habe es „medial geschafft, die Beschaffung in der Not zu Deals und Skandalen zu framen“. Doch ist es wirklich so einfach? Von einer „Farce“ sprach Linken-Chefin Ines Schwerdtner. „Es geht darum, dass viele CDU/CSU-Abgeordnete von dieser Pandemie profitiert haben“, erwiderte sie. „Und wenn Sie nichts zu verbergen haben, dann stimmen Sie einem Untersuchungsausschuss zu.“ Noch ist die Maskenaffäre für Spahn nicht ausgestanden. Kanzler Merz dürfte das nicht freuen.
Neben Spahns Maskendeals sorgten auch andere Themen für Unruhe: die Wahl der neuen Verfassungsrichterin und die Zustimmung der SPD zur Einschränkung des Familiennachzugs. Die Regierung aus Union und SPD ist am Mittwoch im Bundestag trotzdem um eine positive Erzählung ihrer Arbeit der vergangenen zwei Monate bemüht. Merz hatte angekündigt, sein Kabinett werde bis zum Sommer spürbare Verbesserungen im Land erreichen. Pünktlich zu seiner ersten Rede als Kanzler bei einer Generaldebatte will er diesen Trend aufgespürt haben. Zum Beweis führt Merz Gefühle an: „Die Stimmung unter den Unternehmen wird stetig besser“, sagte er.
Friedrich Merz, Bundeskanzler
„Wir haben viel angepackt, wir haben viel erreicht“, rief der Kanzler unter Applaus von der Unionsfraktion und der SPD. Doch es bleibe viel zu tun. Und darum soll es in dieser Bundestagssitzung eigentlich gehen: Die Generaldebatte bildet den Höhepunkt der Haushaltsberatungen im Bundestag, bei denen die Regierung ihre Vorhaben für das Jahr skizziert. Laut den Plänen, die Finanzminister Lars Klingbeil am Dienstag vorstellte, plant die Regierung in diesem Jahr Ausgaben in Höhe von von 503 Milliarden Euro – 6,1 Prozent mehr als im Vorjahr. 81,8 Milliarden Euro sollen im Kernhaushalt aus Krediten finanziert werden. Dazu kommen mehr als 60 Milliarden Euro aus schuldenfinanzierten Sondertöpfen.
Für die zwei derzeit mächtigsten Männer in der Union, Merz und Spahn, dient die Debatte jedoch der Vergangenheitsbewältigung. Während Spahn vom Schatten seiner Maskendeals verfolgt wird, muss sich Merz im Plenum mehrfach den Vorwurf des Wortbruchs gefallen lassen. Im März hatte er mit der alten Bundestagsmehrheit aus Grünen, SPD und seiner eigenen Fraktion ein beispielloses Schuldenpaket beschlossen, um in Rüstung und Infrastruktur zu investieren.
Miersch weist Weidel zurecht
Für die Opposition ist dabei ein gefundenes Fressen, dass sich die Regierung nicht wie versprochen zu einer Senkung der Stromsteuern durchringen konnte. „Keine Koalition hatte so viel Geld zur Verfügung“, rief die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Katharina Dröge, in Richtung der Regierungsbank. Sie revanchierte sich damit für die häufigen Vorwürfe des Chaos, die ihre Partei in der Ampelkoalition einstecken musste. „Sie stehen hier nach einem heillosen Durcheinander in ihrer Koalition“, sagte die Grünen-Politikerin. Im Zusammenhang mit der Stromsteuer warf sie Merz erneut Wortbruch vor.
„Wir Grünen haben jahrelang gefordert, die Schuldenbremse zu reformieren“, sagt sie. Den Preis dafür hätten alle gezahlt: mit maroden Freibädern, verspäteten Bahnen und kaputten Schulen. „Jetzt ist das Geld da, und ausgerechnet jetzt ist Friedrich Merz der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“, schimpfte sie. Sie warf der Regierung vor, verantwortungslos mit dem Geld umzugehen und es nicht für Investitionen zu nutzen. Besonders beim Klimaschutz sehe sie „unfassbare Rückschritte“.
Diese Anschuldigungen wollte Matthias Miersch nicht auf sich sitzen lassen. Der SPD-Fraktionschef, selbst Umweltpolitiker, sagte mit Adresse an die „liebe Katharina“: „Was wir investieren, ist gelebter Klimaschutz.“ Deutschland habe sich in den vergangenen Jahren „stranguliert“, räumte er ein. „Dieses Investitionprgramm kommt allen zugute“, meinte er. Es folgte eine versteckte, ganz kleine Kritik am Koalitionspartner: „Auch von den Opposition erwarte ich Respekt für den Wert des Kompromisses“, sagte Miersch. Ein kleinlautes Eingeständnis, dass die SPD mit der Union in der Regierung eben nicht mehr erreichen könne.
Dabei hatte Miersch seine Rede durchaus kämpferisch begonnen. Er war es, der als Erster mit deutlichen Worten AfD-Chefin Alice Weidel zurechtwies, die vor ihm gesprochen hatte. „Ihre Rede war ein Beispiel dafür, dass Sie verfassungsfeindlich agieren, und deshalb muss es ein Verbotsverfahren geben“, rief Miersch in Richtung der extrem rechten Politikerin.
Reichinnek sieht Haushalt der Hoffnungslosigkeit
Weidel hatte ihre zehnminütige Ansprache am Redepult des Bundestags für einen rassistischen Rundumschlag genutzt. Dieser gipfelte in der völkischen Aussage, dass Einbürgerungen „das Staatsvolk“ in Deutschland transformieren und für „Religionskriege“ im Land sorgen würden.
Es ist traditionell das Recht der stärksten Oppositionsfraktion, die Generaldebatte in den Haushaltsberatungen des Bundestags zu eröffnen. Weidel nutzte dieses Privileg, indem sie nur am Rande auf die Etatverhandlungen zu sprechen kam. Stattdessen schwadronierte sie unter dem johlenden Applaus ihrer Fraktion über „inkompatible Kulturen“, eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands, „die rasend und aggressiv“ voranschreite, sowie die „hohe Kriminalitätsbelastung bestimmter Bevölkerungsgruppen“. Von der Mäßigung in ihrem äußeren Auftreten, die sich die AfD neuerdings auferlegt hatte, war im Parlament am Mittwoch gar nichts zu hören.
Die Co-Vorsitzende der Linksfraktion, Heidi Reichinnek, versuchte sich im Anschluss mit einer ökonomischen Kritik der AfD. Sie warf der extremen Rechte „Heuchelei“ vor. Die AfD mache keine Politik für den Großteil der arbeitenden Menschen, sondern mache Stimmung gegen einen „armutsfesten Mindestlohn“ und gegen die Vermögensteuer. „Es geht ihnen nicht um die Menschen in diesem Land, es geht ihnen um ihren eigenen Vorteil“, sagte Reichinnek.
Der Regierung warf Reichninnek vor, einen „Haushalt der Hoffnungslosigkeit“ vorgelegt zu haben und sich dafür noch selbst auf die Schulter zu klopfen. „Sie verteilen von unten nach oben, wir wollen von oben nach unten verteilen“, sagte sie. In Richtung von SPD-Fraktionschef Miersch fügte sie hinzu: „Ja, Matthias, Kompromisse sind wichtig, aber die SPD geht in dieser Koalition unter.“
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