Schutz für Afghan*innen: Familienfreundliche Entscheidung
Afghanische Geflüchtete haben erfolgreich vor dem Berliner Verwaltungsgericht geklagt. Die Bundesregierung muss sich an Aufnahmezusagen halten.
Die Bundesregierung muss sich an Aufnahmezusagen halten, die sie an besonders bedrohte Afghan*innen vergeben hat. Das geht aus einem Eilentscheid des Verwaltungsgerichts Berlin hervor. Zwar geht es dabei nur um den konkreten Fall einer einzelnen afghanischen Juradozentin sowie ihrer Familienangehörigen. Doch die grundlegende Argumentation der Richter*innen der achten Kammer dürfte genauso für alle anderen gelten, die eine Aufnahmezusage bekommen haben.
Hintergrund des Gerichtsentscheids ist ein anhaltender Streit innerhalb der schwarz-roten Bundesregierung über die Abwicklung des Bundesaufnahmeprogramms für Afghan*innen, die besonders vom islamistischen Regime der Taliban in Kabul bedroht sind. Offiziell ist das Programm schon seit rund einem Jahr beendet, neue Aufnahmezusagen werden nicht mehr vergeben.
Offen ist aber, was mit den Personen passiert, die bereits ausgewählt wurden, Aufnahmezusagen erhalten haben, zahlreiche Sicherheitskontrollen durchlaufen haben – aber noch nicht eingeflogen wurden. Über 2.000 von ihnen sitzen derzeit in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad fest und warten verzweifelt auf die Evakuierung. Unter ihnen ist auch die Frau, um die es nun vor Gericht ging.
SPD, Linke und Grüne sind sich einig
Während SPD-Politiker*innen genauso wie die Opposition von Linken und Grünen fordern, diese Menschen einzufliegen, will die Union das nicht. CDU-Kanzleramtschef Thorsten Frei kündigte vor wenigen Wochen an, man wolle die Aufnahmezusagen zurücknehmen.
Nach dem Gerichtsentscheid vom Dienstag dürfte das deutlich schwieriger werden. Das Gericht argumentiert explizit, die Aufnahmezusagen würden nicht dadurch unwirksam, dass das eigentliche Programm beendet ist. Deshalb müssten die Afghanin und ihre Angehörigen ein Visum bekommen und einreisen dürfen.
Unter Unterstützer*innen war die Freude am Montag groß. Eine Sprecherin der Organisation Kabul Luftbrücke sagte der taz: „Die Aufnahmezusagen sind rechtlich verbindlich.“ Die Bundesregierung müsse sich daran halten „und darf nicht einfach das gesamte Programm aussetzen, weil es ihr politisch missfällt“. Und die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, sagte, wenn die Bundesregierung weiterhin keine Visa ausstelle, sei das „nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch rechtswidrig“.
Allerdings kann die Bundesregierung noch Beschwerde gegen den Gerichtsbeschluss beim Oberverwaltungsgericht Berlin einlegen. Und die Zeit spielt gegen die in Pakistan gestrandeten Afghan*innen. Die Regierung in Islamabad versucht derzeit, möglichst viele Afghan*innen in ihr Herkunftsland abzuschieben, auch Personen aus dem deutschen Aufnahmeprogramm sind davon betroffen.
Abschiebungen in letzter Sekunde verhindert
Laut Berichten von Aktivist*innen wurde die Abschiebung von zwei afghanischen Familien mit Aufnahmezusage Ende Juni nur in allerletzter Sekunde verhindert. Die insgesamt elf Betroffenen waren bereits von der pakistanischen Polizei festgenommen und ins Abschiebecamp Haji gebracht worden. Erst durch Intervention der deutschen Botschaft kamen die Betroffen wieder frei.
Das Auswärtige Amt wollte diese Berichte auf Nachfrage der taz nicht bestätigten. Aus dem Amt hieß es lediglich, dass sich alle Aufzunehmenden in Notsituationen jederzeit an den Betreiber ihrer von Deutschland organisierten Unterkunft wenden könnten. Die Deutsche Botschaft in Islamabad habe zudem einen Notfallmechanismus etabliert, um Abschiebungen zu verhindern. Allerdings ist fraglich, wie lange sich die pakistanischen Behörden dies noch bieten lassen, wenn die CDU-Ministerien der Bundesregierung gleichzeitig öffentlich ankündigen, die Afghan*innen nicht aufnehmen zu wollen.
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