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Geld gekappt,Gesundheit kippt

Im westafrikanischen Senegal spürt man bereits, was die Auflösung der US-Entwicklungs­agentur USAID bedeutet. Unmittelbar trifft es die Marginalisierten und Stigmatisierten. Aber langfristig könnte das gesamte Gesundheitssystem wanken

Aus Dakar Helena Kreiensiek

Erreichbar ist er fast rund um die Uhr. „Mein Handy ist eigentlich immer auf laut“, sagt Mamadou, der in Wirklichkeit anders heißt. „Dann kann ich sofort reagieren, wenn etwas ist.“ Angerufen wird er von Menschen, die medizinische Hilfe und Unterstützung brauchen. Mamadou ist ­médiateur en santé – Gesundheitsvermittler. In Senegals Hauptstadt Dakar hilft er ­denen, die keinen oder nur schwierigen Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Sei es aus fi­nan­ziel­len Gründen, aus Scham oder wegen Stigmatisierung.

„Es geht bei unserer Arbeit vor allem darum, vulnerable Gruppen zu unterstützen und aufzuklären“, sagt er. Dazu gehören ungewollt schwangere, alleinstehende junge Frauen oder HIV-Infizierte. „Was die Gruppen eint, ist das gesellschaftliche Stigma. Der Zugang zu Gesundheitsdiensten kann für diese Menschen sehr kompliziert sein“, erzählt Mamadou. Und auch für ihn birgt die Arbeit mit vulnerablen Gruppen das Risiko, stigmatisiert zu werden, deshalb bevorzugt er es, anonym zu bleiben.

Das senegalesische Gesundheitssystem gilt zwar im regionalen Vergleich als relativ gut ausgebaut, leidet aber unter chronischer Unterfinanzierung. In vielen öffentlichen Kliniken fehlt es an Personal, Ausstattung oder Medikamenten. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen stellt selbst die Grundversorgung eine große finan­zielle Hürde wegen der Arztkosten, der Anreise oder der Medikamentenpreise dar.

Zwar gibt es staatliche Programme für Mütter und Kinder oder chronisch Kranke, doch nicht alle profitieren davon. Viele suchen sich notgedrungen erst Hilfe, wenn es nicht mehr anders geht. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit HIV. Zwar hat Senegal im Vergleich zu anderen Ländern der Region eine relativ niedrige Infektionsrate, doch das gesellschaftliche Klima ist von Stigmatisierung geprägt. Wer HIV-positiv ist, muss oft mit Diskriminierung im sozialen Umfeld, in der Familie und sogar im Gesundheitssystem rechnen. Die Folge: Viele Betroffene vermeiden Tests oder nehmen keine Medikamente, obwohl gerade eine frühe Diagnose und konsequente Behandlung entscheidend wären.

Globale Entwicklungsziele

Das ODA-Ziel

1970 beschloss die UN-Generalversammlung, dass reichere Länder 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Entwicklungsleistung – Official Development Assistance, kurz ODA – ausgeben sollen. Den Entwicklungsgedanken prägte die Idee, dass ärmere Länder nach westlichem Modell „aufholen“ sollten. Seitdem haben nur wenige Industriestaaten das ODA-Ziel erreicht. Was hinzuzählt, definiert die Industriestaatenorganisation OECD – etwa auch Ausgaben für Geflüchtete im Inland.

Rio-Konferenz

1992 wurde auf dem sogenannten Erdgipfel im brasilianischen Rio de Janeiro nachhaltige Entwicklung als gemeinsames Ziel anerkannt. In der Agenda 21 und weiteren Abkommen verpflichteten sich die Staaten etwa zur Armutsbekämpfung, zu Umweltschutz und zur Reduzierung von Treibhausgasen. Der Fokus lag auf Reformen in Entwicklungsländern, vor allem zur Liberalisierung des Handels. In­dus­trie­länder sollten Geld, Wissen und Technologie bereitstellen.

Millennium-Entwicklungsziele

2000 nahmen 189 Staaten acht gemeinsame Millennium-Entwicklungsziele – Millennium Development Goals, MDGs – an. Sie waren von Vertreter*innen der UN, der Weltbank und des IWF erarbeitet worden. Die Staaten versprachen, weltweit Armut zu reduzieren, Menschenrechte zu achten und Gleichberechtigung, Demokratie, ökologische Nachhaltigkeit und Frieden zu fördern. Der Fokus lag weiterhin auf internen Anstrengungen der Entwicklungsländer, um die Ziele zu erreichen.

UN-Konferenzen zu Entwicklungsfinanzierung

2002 im mexikanischen Monterrey ging es erstmals umfassender darum, wie die MDGs finanziert werden sollten. Bis dahin ging es vor allem um öffentliche Entwick­lungsgelder der reichen Länder. Über die Regeln globaler Finanzen aber berieten diese meist in multilateralen Foren ohne Entwicklungsländer. Auf der Folgekonferenz 2008 in Doha, Katar, kamen Geschlechter­gerechtigkeit und Klimafinanzierung hinzu.

Nachhaltige Entwicklungsziele

2015 lösten die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele – Sustainable Development Goals, SDGs – die MDGs ab. Bis 2030 wollen die Staaten die extremste Form von Armut und Hunger beenden. Alle Menschen sollen Zugang zu Gesundheit, Bildung, sauberem Wasser und Energie haben. Wirtschaftliche Ungleichheit soll abgebaut und nachhaltiges Wachstum ermöglicht werden. Derzeit sind nur 17 Prozent der Ziele auf gutem Weg, bis 2030 erreicht zu werden.

Addis-Abeba-Aktionsagenda

Ebenfalls 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Addis-Abeba-­Aktionsagenda auf der 3. UN-Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung. Sie enthielt konkrete Zielvorgaben. Erstmals sollten umfassende Reformen des globalen Finanzsystems angestoßen werden. Dazu gehörte mehr Mitspracherecht von Ent­wicklungsländern in internationalen Finanz­institutionen. Ein Fokus lag außerdem auf der Mobilisierung von privatem Kapital.

UN-Konferenz in Sevilla

Bei der 4. Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung in Sevilla sollen 2025 die Verpflichtungen zur Finanzierung der SDGs erneuert werden. Während Geberländer ihre Beiträge massiv zurückfahren, wollen viele ärmere Länder über Reformen der globalen Finanz- und Schuldenarchitektur diskutieren. Sie fühlen sich benachteiligt, etwa im Handelssystem, bei der Besteuerung multinationaler Konzerne oder in ihrer Risikobewertung. (lvr)

Es gibt zwar Therapien, die durchaus von Senegals Regierung finan­ziell unterstützt werden, doch die Tests, die drum herum anfallen, sind kostenpflichtig. Für viele – aber insbesondere für Menschen aus marginalisierten Gruppen – ist das eine große Barriere. „Es passiert immer wieder, dass ich Geld aus meiner eigenen Tasche für Behandlungen oder Tests dazuschieße“, sagt Mamadou. Entlohnt wird seine Arbeit mit Zuschüssen bei den Telefon- oder Transportkosten. Und das ohnehin knapp bemessene Geld ist in den letzten Monaten noch knapper geworden.

„Die Kürzungen durch USAID haben wir stark zu spüren bekommen“, sagt auch Adama Gueye. „Allein in dem Gesundheitszentrum, in dem ich arbeite, betreuen wir mehr als 700 Menschen, die mit HIV leben“, erzählt sie. Ohne finanzielle Mittel sei es schwer, die schnelle und unbürokratische Hilfe zu leisten, die sonst das Aushängeschild der Vermittler gewesen sei. „Momentan pausieren zum Beispiel die Aktivitäten zur Sensibilisierung der Schlüsselpopulationen“, berichtet sie. Es geht dabei um Menschen, die ein höheres Risiko für eine HIV-Infektion haben.

Die Budgetkürzungen der US-Entwicklungsagentur USAID treffen nicht nur einzelne Gesundheitszentren, sondern gefährden landesweit bewährte Unterstützungsstrukturen. Über Jahre hatte die US-Regierung Programme finanziert, die unter anderem gezielt HIV-Aufklärung betrieben und marginalisierte Gruppen mit medizinischer Grundversorgung erreichten – so wie die Gesundheitsvermittler. Mit dem Rückzug eines der wichtigsten Geldgeber droht nun ein Rückschritt im gesamten Gesundheitssektor in Senegal, ist sich eine ehemalige USAID-Mitarbeiterin sicher. Denn mit der Auflösung der US-Entwicklungsagentur Anfang Februar sind auch in Senegal fast alle Projekte mit sofortiger Wirkung eingestellt worden: Malarianetze werden nicht mehr ausgeteilt, Finanzierungsprogramme für Medikamente sind ebenso eingestellt wie HIV-Aufklärungskampagnen, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Die Auswirkungen gehen noch über den unmittelbaren Wegfall von Hilfeleistungen hinaus. Weniger im Fokus der Aufmerksamkeit, aber nicht minder entscheidend sind die Beiträge zur strukturellen Stärkung, die nun plötzlich wegfallen. In den vergangenen Jahren habe USAID maßgeblich zum Aufbau und zur Stärkung des senegalesischen Gesundheitssystems beigetragen, berichtet die frühere Mitarbeiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Auch sie erhielt Anfang Februar kurzfristig die Kündigung.

„Der Gesundheitssektor gilt nicht als politisch sexy“

Eine ehemalige USAID-Mitarbeiterin

Die Unterstützung in Senegal habe sich in großen Teilen auf die Systemstärkung konzentriert, etwa durch die Finanzierung regionaler Gesundheitsbehörden, den Aufbau von Verwaltungskapazitäten, die Ausbildung von Gesundheitspersonal oder die Verbesserung von Informationssystemen. Dadurch sollte das bestehende System befähigt werden, eigenständig auf die Gesundheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu reagieren. Diese Fortschritte seien nun in Gefahr, Bereiche wie die Kinderernährung, Impfraten oder die Müttergesundheit hätten sich bereits verschlechtert. „Die Kombination aus dem Rückzug von USAID und der angespannten Finanzlage könnte das Gesundheitssystem ernsthaft gefährden“, sagt sie mit Blick auf die langfristigen Folgen.

Nach der Aufdeckung von etlichen aufsehenerregenden Hinterziehungsskandalen ist Senegals Staatshaushalt momentan in einem desolaten Zustand. So bestätigte der Internationale Währungsfonds (IWF) im März, dass rund 7 Milliarden US-Dollar an Staatsschulden gar nicht in offiziellen Haushaltszahlen ausgewiesen worden waren, um die Finanzlage besser aussehen zu lassen und bessere Konditionen für Kredite zu bekommen. Das Haushaltsdefizit für 2023, das ursprünglich mit 4,9 Prozent des BIP angegeben wurde, lag demnach in Wirklichkeit bei rund 12 Prozent, die Staatsverschuldung beträgt 99,67 statt 76 Prozent des BIP.

Infolge der Enthüllungen setzte der IWF sein Kreditprogramm in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar aus, forderte umfassende Reformen sowie eine vollständige Offenlegung der tatsächlichen Schulden. Entsprechend fehlt es finanziell an allen Ecken und Enden. Ganz zu schweigen von der Schließung neu entstandener Lücken: „Ich befürchte, dass es den Gesundheitssektor besonders hart treffen wird“, sagt die ehemalige Mitarbeiterin. „Obwohl der Sektor so wichtig ist für Fortschritt und Entwicklung, gilt er nicht als politisch sexy. Diese Kürzungen und Diskus­sio­nen über die Finanzierung und die Zukunft der Entwicklungsarbeit betreffen echte Menschen, auf die es unmittelbare Auswirkungen geben wird. Kinder, schwangere Frauen, HIV-Infizierte – sie können sich keine monatelangen oder jahrelangen strategischen Diskussionen leisten. Sie brauchen jetzt Dienstleistungen.“

Förderung von Frauen- und Müttergesundheit in der senegalesischen Stadt Matam, Momentaufnahme von 2017 Foto: Andrew Parsons/ddp

Stattdessen aber müssen vor allem die Länder des Globalen Südens künftig mit noch weniger Geld nicht nur langfristige Entwicklung finanzieren, sondern auch akute Krisen bewältigen. Und das, obwohl viele Länder ohnehin schon mehr Geld für Schuldendienste – also Zins- und Tilgungszahlungen – ausgeben als für Gesundheit oder Bildung.

Während der Rückzug internationaler Geber wie USAID bereits heute Versorgungslücken schafft, stehen weitere Einschnitte erst noch bevor. Neben den USA sind auch Deutschland, Großbritannien und Frankreich dabei, ihre Entwicklungsfinanzierung drastisch zu reduzieren. Experten sehen darin auch das Risiko für Staaten, in der Abwärtsspirale von Armut und Verschuldung gefangen zu bleiben.

Für Mamadou und seine Kolleginnen und Kollegen hat dies konkrete Folgen. Seit knapp vier Jahren ist Mamadou Gesundheitsvermittler, er hat sich ein großes Netzwerk aufgebaut. „In dem Job kommt es darauf an, dass die Menschen dir vertrauen“, sagt er. Doch um vor allem vulnerablen Gruppen den Zugang zur Gesundheitsversorgung überhaupt ermöglichen zu können, braucht es neben persönlichen Beziehungen finanzielle Mittel und Kontinuität.

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