Fußball in der Fußballpause: Immer weiterspielen
Neuerdings wird pausenlos gekickt. Nach Saisonende finden Turniere gar parallel statt. Wo bleibt Raum für anderes? Ein Nachruf auf die Sommerpause.

D ie letzte Pause, die im Fußball noch einen gewissen Respekt genießt, ist die zwischen den beiden Halbzeiten. Ansonsten sind alle, die diesem Sport nicht wirklich widerstehen können, derzeit Opfer eines absurden und unheimlichen Massenexperiments. Die Fragestellung lautet: Wie viel Fußball ist in der Fußballpause möglich, ohne das Publikum zu vergraulen?
Die ersten Zahlen sind erschreckend. Etwa 2,6 Millionen Zuschauer verfolgten kürzlich in Deutschland das Klub-WM-Auftaktspiel des FC Bayern gegen das Team vom Auckland FC, obwohl von vornherein auszuschließen war, dass es spannend werden könnte. Der Rekordmeister gewann 10:0 gegen die Amateurkicker aus Neuseeland.
Dass das EM-Vorrundenspiel der deutschen U21 gegen Tschechien gar noch mehr Menschen vor die Bildschirme bewegte, bewerteten manche als großen Erfolg. Das mache Lust auf mehr, triumphierte etwa ein Boulevardblatt. Wie Zombies schauen die Deutschen den Fußball, der auf ihren Bildschirmen erscheint, einfach weg. Dabei ist doch eigentlich Fußball-Sommerpause. So wird der Zeitraum zwischen dem Saisonende und Saisonbeginn der Bundesliga bis heute genannt.
Vor nicht allzu langer Zeit galt die Annahme, weniger sei mehr. Nicht nur die Spieler, sondern auch das Publikum seien am Ende einer langen Bundesligasaison von ernstzunehmenden Ermüdungserscheinungen geplagt. Die letzten Wochen immerzu nur nervenaufreibende Endspiele gegen den Abstieg, um die Meisterschaft oder um einen Platz, der künftig noch mehr Spiele auf europäischer Ebene ermöglicht. Dann die Relegationsendspiele, Endspiele um die Conference League, Europa League und Champions League. Und ja, der Fußball der Frauen hat es mittlerweile auch ins Fernsehen oder auf die Streamingplattformen geschafft. Das nächste Spiel ist immer das wichtigste.
Besondere Erweckungserlebnisse
Und am Ende beginnen die Trophäen im Konfettiregen vor dem müden Auge der Beobachterinnen und Beobachter bereits ihre Konturen zu verlieren. Einige haben schon zu Protokoll gegeben, so eine Sommerpause sei wohltuend. Die Rezeptoren, die empfänglich für den Reiz des Fußballs sind, erneuern sich. Der eine oder die andere berichten von Erweckungserlebnissen: Auch jenseits des Fußballs gibt es Sport. In den Fantasieräumen der unverbesserlichen Nerds wachsen ungestört von der nüchternen Realität wahre Wunderteams heran, die in der nächsten Saison gewiss richtig glänzen werden. Es entsteht Raum für Vorfreude.
Aber warum sich so einem sinnlichen Konzept des Fastens verschreiben, wenn der Fußballkonsument pausenlos frisst und frisst, was man ihm vorsetzt. Die bei ihrer Einführung verspottete Nations League will kurz nach dem Bundesligasaisonende kaum einer mehr verpassen, wenn die finalen Entscheidungen fallen. Während früher anderen Sportarten etwas Aufmerksamkeit im Sommer vergönnt war, kanibalisieren sich nun die Fußballwettbewerbe in der vermeintlichen Fußball-Sommerpause gegenseitig. Erst spielt die U-21 EM der Männer gegen die Klub-WM der Männer, dann die Klub-WM der Männer gegen die bald beginnende EM der Frauen. Fußball total. Weitere Wettbewerbe sind in Planung. 2028 soll erstmals die Klub-WM der Frauen ausgetragen werden.
Etwas Positives kann man dieser Entwicklung jedoch abgewinnen. Die enervierende, immer lauter werdende Transferberichterstattung der letzten Jahre, welche die fußballfreie Zeit überbrücken helfen sollte, dringt nicht mehr so schrill durch. Der tägliche Wechselhammer kommt allenfalls als Hämmerchen daher. Es laufen derzeit auch keine Liveticker wie anno dazumal zu Fragen wie „Kommt Kane oder nicht?“ Ein Wahnsinn, der von einem anderen abgelöst wurde.
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