piwik no script img

Tier-Audioguide „Queering Nature“Diverse Bären

Das Berliner Naturkundemuseum legt den prima Audio-Guide „Queering Nature“ vor – und geht dabei erstaunlich kritisch mit der eigenen Arbeit um.

Beispiel für diverse Körper: Legende Knut im Naturkundemuseum Foto: imago

Der Bär ist ein hervorragendes Beispiel für diverse Körper: In manchen Populationen sind 25 Prozent der Individuen intergeschlechtlich und außerdem sind die (meist großen, öfter eher fülligen) Wesen Na­mens­ge­be­r*in­nen für die Selbstbezeichnung diverser Schwuler.

Gute fünf Minuten kann man vor dem Präparat des ehemaligen Stars des Berliner Zoos stehen, seinen weißen Pelz und die doch so filigranen Eisbärarme von Knut betrachten und sich das alles mal ganz in Ruhe erklären lassen: naturwissenschaftliche Aspekte ebenso wie die gesellschaftlichen.

„Queering Nature“ führt auf acht Stationen quer durchs Berliner Naturkundemuseum, ist aber auch hör- und genießbar, wenn man nicht durch die Ausstellungsräume wandert, sondern gerade zu Hause die Progress-Flag am Fenstersims festtackert.

Das liegt zum einen daran, dass die Exponate, mit denen der Audioguide arbeitet, genau beschrieben werden. Zum anderen aber auch daran, dass der Guide zwar den Umgang des Naturkundesmuseums mit seinen Exponaten darstellt, das aber als Brücke nutzt, um über den generellen Umgang mit Queerness in Wissenskommunikation und Gesellschaft zu reden.

Sexualpraktiken bei Pinguinen

Es geht um Fische, deren Geschlecht sich ändert. Darum, ob Pa­lä­on­to­lo­g*in­nen überhaupt feststellen können, welches Geschlecht ein Dinosaurier hatte, und wieso ein Wissenschaftler lieber wieder aus seinen Aufzeichnungen gestrichen hat, welche Sexualpraktiken er bei Pinguinen beobachten konnte.

Dabei geht der Audioguide auch erstaunlich kritisch mit dem Museum selbst ins Gericht, etwa bei der Konstellation, in der zwei erwachsene Nilpferde und ein Kalb ausgestellt werden, und zwar als heteronormative Kernfamilie, die bei Nilpferden gar nicht existiert: Sie sind Einzelgänger – ganz im Gegensatz zu den meisten Menschen, die dieses Familienbild kaum irritiert.

„Queering Nature“, 8 Stationen, zu hören in der App und auf der Seite des Museums für Naturkunde Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Man könnte auch sagen, die Wokeness erfasst auch die Museen. Immerhin gibt es diese Aktion von Innen heraus (und kein kritischer Begleitartikel). Es gibt offensichtlich zwei Aspekte, einmal die Geschlechtvielfalt in der Natur und zweitens der Umgang damit. Das erste stand eigentlich nie zur Debatte, sobald man genauer hingesehen hat. Beim zweiten, dem Umgang, kommt zum tragen, dass Wissenschaftler(innen) natürlich gesellschaftlich geprägt sind, was sich auch auf den vermeintlich objektiven Blick auswirkt. Bei den Nilpferden weiss man (zumindest hier) nicht, wer die in einer vermeintlichen Familienstruktur zusammengestellt hat. Allerdings sind Nilpferde auch nicht grundsätzlich Einzelgänger, da schon Brehm Herden beschreibt. Manchmal stehen laut ihm auch zwei Alte um ein Junges herum...

    Anyway, der Unterschied zum (heutigen) Menschen ist, dass die Tierwelt keinen Umstand um die Vielfalt gemacht hat. Es wird halt gefressen und versucht nicht gefressen zu werden, manchmal sich fortgepflanzt. Kein Pride Monat, keine Geschlechtsangleichung.

    Aber jetzt erstmal schauen oder hören, was das Museum gemacht hat.

  • Es ist auf jeden Fall lobenswert, das eigene Weltbild auf das solide Fundament naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu stellen.

    Darum ging es im Kern auch in Kathleen Stock's Buch "Material Girls: Why Reality Matters for Feminism."

    Das Buch hat einen eigenen wikipedia-Eintrag.

  • Alle Ehre dem Kampf gegen Heteronormativität! Aber zwei erwachsene Nilpferde und ein Kalb sind weder propagierte Heteronormativität durch die Hintertür noch böser Angriff auf die Diveristät. Nielpferden sieht man nämlich das Geschlecht nicht eben an, wenn sie sich nicht gerade im Akt heteronormativer Fortpflanzung befinden. Es könnten also auch zwei weibliche, zwei männliche und zwei wie auch immer inbetween zugeordnete oder aber ein aus den Genannten gemixtes Paar sein... Übrigens gab es in den 60ern mit den riesigen Fortschritten in der Informatik eine Aufbruchsstimmung, die Seymour Papert (einer der Protagonisten) damals so beschrieb: "Wir dachten ersthaft, wir werden das ganze Elend der Welt einfach wegprogammieren!"... Mir scheint manche aktuelle gesellschaftliche Entwicklung befinden sich im ähnlichen Stadium der Selbsteinschätzung.

    • @DemianBronsky:

      Hier hat nicht die Zeitung einen Fehler des Museums aufgedeckt. Das Museum selbst hat hier einen Einstieg gewählt, der vielfach in Kinderliteratur zu finden ist.



      Die Heteronormative Familie wird vielen Tierarten übergestülpt, damit die menschlichen Geschichten erzählt werden können. Sogar Bienen wurden schon in die 50er Jahre Idealfamile gestopft, damit der Sohn [sic!] sich dagegen wehren und zum MachoHelden werden kann. (Denn nur ein echter Mann kann mutig genug sein, um den Gefährlichen Job des Honigsammlers auszuführen (Äh Biologie?))



      Das ist durchaus ein berichtenswertes Phänomen, welches hier halt mit Nilpferden dargestellt wurde.

      • @Herma Huhn:

        Sie haben mit allem Recht. Allein, das Beispiel ist keines für das genannte Phänomen. Das ist misslich und eigentlich nur Futter für die rechten Kulturkämpfer. Meine Kritik an der Illusion von allumfassender Anwendbarkeit bestimmter aktueller Paradigmen ist allerdings erst gemeint.

      • @Herma Huhn:

        Ich würde sagen, der "Trend", Tiere zu "vermenschlichen", ist zu alt, um dort überhaupt einen "Trend" erkennen zu können.



        Die Bienen: Schon die Drohne Willi schaffte es, ein geachtetes Mitglied der Insekten-Community zu werden, was ihm das " richtige" Leben sicher versagt hätte.



        Genauso zwiespältig ist es, das gesamte Thema Gender auf die Tierwelt zu übertragen, da dort weder politisch-gesellschaftliche noch persönliche Entscheidungen getroffen werden, sondern sich das Leben oder einfach die Natur den Weg bahnt.



        Weshalb auch eine gegenläufige Übertragung mehr als fragwürdig ist. Es gibt für die postmoderne Menschenwelt keine Parallelen zur Tierwelt, die gezogen werden könnten.

      • @Herma Huhn:

        Bei wikipedia steht: "Males establish territories in water but not land, and these may range 250–500 m ... in lakes and 50–100 m ... in rivers. ... The bull has breeding access to all the cows in his territory. Younger bachelors are allowed to stay as long as they defer to him. A younger male may challenge the old bull for control of the territory."