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Arbeitszeitbetrug-MemeEin paar Minuten Lebenszeit vom Arbeitgeber zurückholen

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

Ein Update vortäuschen, im Home-Office die Wäsche aufhängen, sich zu spät ausstempeln: das alles ist Arbeitszeitbetrug. Und wird im Internet gefeiert.

„Arbeitszeitbetrug? – Du meinst Lohndiebstahlsausgleich“ Foto: Instagram

F ast alle haben es schon einmal getan. Und das, obwohl es eine Straftat ist und man dafür gekündigt werden, ein Bußgeld oder im schlimmsten Fall eine Freiheitsstrafe bekommen kann. Es ist zu einem Trend, einem Meme geworden: der Arbeitszeitbetrug.

Das Wort ist nicht ganz so sexy wie das, wofür es steht. Trotzdem ist es für ein gelungenes Meme dieser Art unerlässlich, das Wort voll ausgeschrieben unterzubringen. Fünf holprige und höchst deutsche Silben, die gemeinsam die großen deutschen Tugenden der Leistung und Effizienz aushebeln. Es grenzt an einem Skandal.

Arbeitszeitbetrug ist nicht nur, uninspiriert seine Stunden falsch aufzuschreiben oder sich zu spät auszustempeln – also buchstäblich den Lohnzettel um ein paar Stündchen und somit ein paar Euro aufzubessern. Nein, Arbeitszeitbetrug kann mehr.

Der Klassiker, da sind sich die Expert_innen im Internet einig, ist es, auf der Toilette zu trödeln. Es geht jedoch noch weitaus kreativer. Zu spät in den Zoom-Call kommen, weil man angeblich noch die neue Version herunterladen müsse, ein Softwareupdate nötig sei, „rumlabern, dass der PC spinnt“, sagt Instagram-Nutzer Tophano, „damit holt man sich auch ein paar Minuten raus“.

Der eigentliche Betrug ist Lohnarbeit

In einem Video bewertet er verschiedene Taktiken. Manche seien gang und gäbe, andere riskanter. „Dann haben wir was Kleines, Süßes“, fährt er fort, „du gehst mal in eine andere Abteilung, vielleicht zu einem Kollegen, sagst, der brauchte kurz Hilfe.“ Wieder zehn Minuten erfolgreich und subtil geklaut.

So manche Tugendwächter finden sich in den Kommentarspalten. „Wie wäre es mit Arbeitsmoral?“, oder „Mit der Einstellung werdet ihr nie Karriere machen.“ Das mag vielleicht stimmen, hat aber natürlich zur Prämisse, dass man Lohnarbeit so geil findet, dass man überhaupt Karriere machen möchte. Und dass es außerdem für jede_n und in jedem Betrieb ein realistisches Ziel ist, Karriere zu machen, sich hochzuarbeiten.

Der eigentliche Betrug, muss man gegenüber denjenigen argumentieren, die jede noch so kleine Form des Arbeitszeitbetrugs für verwerflich halten, ist die Lohn­arbeit, an der sich die oberen Etagen bereichern. Reich werden kannst du schließlich kaum, ohne dass du Menschen, die für dich arbeiten, ausbeutest. Ein Nutzer auf Reddit schreibt: „Arbeitszeitbetrug? Du meinst Lohndiebstahlausgleich.“

Ein kleiner Protest

Die meisten Memes dazu haben einen wenig ernsten Ton, lesen sich aber dennoch als ein kleiner Protest. „Wie sich Arbeitszeitbetrug anfühlt“, steht da oft. Darunter Bilder, die von einem schelmischen Grinsen bis zu größter Glückseligkeit reichen: Etwa ein Mensch, der mit geschlossenen Augen in einem bunten Blumenfeld liegt, Delfine, die vor einem Regenbogen durch Wellen springen, ein Sonnenuntergang.

Besonders schön ist die Vorstellung, dass diese Memes vielleicht während der Arbeitszeit entstanden sind. Noch besser wäre aber, den Unmut in einen echten Arbeitskampf zu übersetzen.

Ob, und wenn ja, zu wie viel Arbeitszeitbetrug es während des Verfassens dieses Textes gekommen ist, möchte die Autorin nicht offenlegen.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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