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Urteil zu Übergriff an Hamburger UniFür Körperverletzung verurteilt – nicht für Antisemitismus

Fast ein Jahr nach einem Vorfall bei einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg wurde eine Frau zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.

Anlass zur Auseinandersetzung: pro-palästinensischer Protest vor der Uni Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Im Prozess zu einem gewaltsamen Übergriff nach einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg ist eine junge Frau zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Gericht sprach die 27-jährige Ayan M. wegen Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt schuldig. Außerdem muss die Angeklagte 1.500 Euro an die Geschädigte und weitere Summen an Nebenkläger zahlen.

Ayan M. war angeklagt worden, weil sie nach einer Ringvorlesung Elisabeth S., ein Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Hamburg, geschlagen und beleidigt hatte. Die Angeklagte musste sich außerdem wegen eines weiteren Vorfalls wenige Monate später verantworten, bei dem sie als Teilnehmerin des Protestcamps „Finger weg von Rafah“ eine Polizeibeamtin mit der Faust geschlagen und einen weiteren Beamten angespuckt hatte.

Die Stimmung ist angespannt an diesem Montagmorgen. Es geht für das ­Publikum weniger um Ayan M.s Taten, als vielmehr um eine politische Botschaft: Zwei Drittel der Anwesenden im Publikum tragen Kufiyas. Einige verdecken ihre Augen mit Sonnenbrillen. Die rest­lichen Zuschauer tragen gelbe Anstecknadeln in Schleifenform, ein Zeichen der Solidarität mit den Geiseln in Gaza.

Auch Ayan M.s Verteidiger Adnan Aykaç verwandelt sein Plädoyer in eine politische Darbietung. Er zieht einen David-und-Goliath-Vergleich. „David sitzt heute hier“, sagt er und deutet mit dem Finger auf seine Mandantin. ­Zustimmendes Nicken einerseits und fassungsloses Kopfschütteln andererseits bekommt er aus dem Publikum, als er davon spricht, dass Israelkritik nicht mehr möglich sei, ohne als Antisemit bezeichnet zu werden. Daran beteiligten sich auch Presse und Justiz.

Streit um die Geschichte der Kufiya

„Das Blut eines Palästinensers ist im Vergleich zu israelischem Blut nichts wert“, sagt er und pfeffert seine Unterlagen auf den Tisch, ehe er zum Tatbestand zurückkehrt. Währenddessen sitzt Elisabeth S. mit übereinander geschlagenen Beinen am anderen Ende des Saals, kaut Kaugummi und stützt ihren Arm demonstrativ lässig auf die Rückenlehne ihres Stuhls. In anderen Momenten zupft sie nervös ihren roten Schal zurecht.

Elisabeth S. warf der Angeklagten vor, sie bis zu 30 Sekunden lang gewürgt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Anschließend seien beide zu Boden gegangen. Dem vorausgegangen seien Beleidigungen, die S. mit ihrem Handy zu filmen drohte. Daraufhin eskalierte die Situation.

Anwalt Aykaç versuchte diese Darstellung mit einem Video zu widerlegen, das er am dritten Prozesstag abspielen ließ. Das ganze Spektakel, wie der Anwalt unter Verweis auf die Aufzeichnung sagt, dauerte nur vier Sekunden. Beleidigungen seien nicht zu hören und ein tätlicher Angriff nicht eindeutig zu sehen. Er macht eine Kunstpause und plädiert im Anschluss auf Freispruch.

In der Pause bis zur Urteilsverkündung erreicht die ohnehin aufgeheizte Atmosphäre einen Höhepunkt. Es gibt keine Annäherung im Gerichtssaal. Stattdessen diskutieren die Lager miteinander. Zwei Männer streiten um die Geschichte der Kufiya. „Was soll ich sonst für die getöteten Kinder tragen?“, fragt einer. Ein anderer sagt, es gebe keinen jüdischen Staat, als es darum geht, ob Israel und das Judentum getrennt voneinander betrachtet werden können.

Es geht hier heute nicht um einen politischen Konflikt, sondern um konkrete Sachverhalte

Linda Winkelmann, Richterin am Amtsgericht

Während die Richterin das Urteil ­verliest, dreht die Angeklagte unauffällig unter dem Tisch Perle für Perle einer ­Gebetskette. Sie bleibt ruhig, ist aber sichtlich getroffen von den Anschuldigungen. „Es geht hier heute nicht um einen politischen Konflikt, sondern um konkrete Sachverhalte“, beginnt die Richterin die Begründung ihres Urteils.

Das Video, Zeugenaussagen und ein medizinisches Gutachten würden die Version von Elisabeth S. stützen. Dass diese sich in Dauer und Intensität der Attacke möglicherweise geirrt habe, mache ihre Aussage nicht weniger glaubhaft: Zeitliche Einschätzungen seien in solchen Fällen häufig fehlerhaft.

Ohnehin bewertet die Richterin die Aussagen von S. als glaubwürdig. Ihre Aussagen in der Hauptverhandlung, bei der Polizei und in Presse-Interviews würden einander gleichen. Jedoch seien nicht alle Spätfolgen, von denen S. berichtet – vermindertes Sehvermögen auf dem linken Auge sowie starke Kopf- und linksseitige Ohrenschmerzen –, auf die Auseinandersetzung zurückzuführen.

Die Richterin geht das Video in ihrem Urteil durch: In Sekunde zehn falle die erste Beleidigung: „Sieht aus wie eine Hexe.“ Anschließend Schlaggeräusche und die Wortfetzen: „… in mein Gesicht getreten“. Der Griff in den Hals- und Nackenbereich sei zu sehen, ein Würgen aber nicht. In Minute eins gingen beide Frauen zu Boden, wiederholt sei „Bitte nicht!“ zu hören. Das Video sei vor allem eine akustische Wiedergabe des Konflikts, außerdem lückenhaft, so die Richterin. Gefüllt wurden diese durch Zeugenaussagen.

Anwalt Otmar Kury mit der Nebenklägerin Elisabeth S Foto: David Hammersen

Während die Richterin ihr Urteil ­begründet, stöhnen und seufzen Leute aus dem Publikum: Dass Ayan M. nicht vorbestraft ist und die Stimmung emotional aufgeheizt war, hat die Richterin mildernd in ihr Urteil einfließen lassen. Der Versuch von Elisabeth S., Ayan M. zu filmen, sei zudem eine Provokation gewesen.

Die Angeklagte hätte laut der Richterin ihr Urteil beeinflussen können, wenn sie selbst gesprochen hätte. Ayan M. äußerte sich jedoch ausschließlich über ihren Anwalt. Nachfragen ließ sie nicht zu. Nun hat sie eine Woche Zeit, in Berufung zu gehen.

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