Urteil zu Übergriff an Hamburger Uni: Für Körperverletzung verurteilt – nicht für Antisemitismus
Fast ein Jahr nach einem Vorfall bei einer Antisemitismus-Vorlesung an der Uni Hamburg wurde eine Frau zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt.

Ayan M. war angeklagt worden, weil sie nach einer Ringvorlesung Elisabeth S., ein Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Hamburg, geschlagen und beleidigt hatte. Die Angeklagte musste sich außerdem wegen eines weiteren Vorfalls wenige Monate später verantworten, bei dem sie als Teilnehmerin des Protestcamps „Finger weg von Rafah“ eine Polizeibeamtin mit der Faust geschlagen und einen weiteren Beamten angespuckt hatte.
Die Stimmung ist angespannt an diesem Montagmorgen. Es geht für das Publikum weniger um Ayan M.s Taten, als vielmehr um eine politische Botschaft: Zwei Drittel der Anwesenden im Publikum tragen Kufiyas. Einige verdecken ihre Augen mit Sonnenbrillen. Die restlichen Zuschauer tragen gelbe Anstecknadeln in Schleifenform, ein Zeichen der Solidarität mit den Geiseln in Gaza.
Auch Ayan M.s Verteidiger Adnan Aykaç verwandelt sein Plädoyer in eine politische Darbietung. Er zieht einen David-und-Goliath-Vergleich. „David sitzt heute hier“, sagt er und deutet mit dem Finger auf seine Mandantin. Zustimmendes Nicken einerseits und fassungsloses Kopfschütteln andererseits bekommt er aus dem Publikum, als er davon spricht, dass Israelkritik nicht mehr möglich sei, ohne als Antisemit bezeichnet zu werden. Daran beteiligten sich auch Presse und Justiz.
Streit um die Geschichte der Kufiya
„Das Blut eines Palästinensers ist im Vergleich zu israelischem Blut nichts wert“, sagt er und pfeffert seine Unterlagen auf den Tisch, ehe er zum Tatbestand zurückkehrt. Währenddessen sitzt Elisabeth S. mit übereinander geschlagenen Beinen am anderen Ende des Saals, kaut Kaugummi und stützt ihren Arm demonstrativ lässig auf die Rückenlehne ihres Stuhls. In anderen Momenten zupft sie nervös ihren roten Schal zurecht.
Elisabeth S. warf der Angeklagten vor, sie bis zu 30 Sekunden lang gewürgt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen zu haben. Anschließend seien beide zu Boden gegangen. Dem vorausgegangen seien Beleidigungen, die S. mit ihrem Handy zu filmen drohte. Daraufhin eskalierte die Situation.
Anwalt Aykaç versuchte diese Darstellung mit einem Video zu widerlegen, das er am dritten Prozesstag abspielen ließ. Das ganze Spektakel, wie der Anwalt unter Verweis auf die Aufzeichnung sagt, dauerte nur vier Sekunden. Beleidigungen seien nicht zu hören und ein tätlicher Angriff nicht eindeutig zu sehen. Er macht eine Kunstpause und plädiert im Anschluss auf Freispruch.
In der Pause bis zur Urteilsverkündung erreicht die ohnehin aufgeheizte Atmosphäre einen Höhepunkt. Es gibt keine Annäherung im Gerichtssaal. Stattdessen diskutieren die Lager miteinander. Zwei Männer streiten um die Geschichte der Kufiya. „Was soll ich sonst für die getöteten Kinder tragen?“, fragt einer. Ein anderer sagt, es gebe keinen jüdischen Staat, als es darum geht, ob Israel und das Judentum getrennt voneinander betrachtet werden können.
Linda Winkelmann, Richterin am Amtsgericht
Während die Richterin das Urteil verliest, dreht die Angeklagte unauffällig unter dem Tisch Perle für Perle einer Gebetskette. Sie bleibt ruhig, ist aber sichtlich getroffen von den Anschuldigungen. „Es geht hier heute nicht um einen politischen Konflikt, sondern um konkrete Sachverhalte“, beginnt die Richterin die Begründung ihres Urteils.
Das Video, Zeugenaussagen und ein medizinisches Gutachten würden die Version von Elisabeth S. stützen. Dass diese sich in Dauer und Intensität der Attacke möglicherweise geirrt habe, mache ihre Aussage nicht weniger glaubhaft: Zeitliche Einschätzungen seien in solchen Fällen häufig fehlerhaft.
Ohnehin bewertet die Richterin die Aussagen von S. als glaubwürdig. Ihre Aussagen in der Hauptverhandlung, bei der Polizei und in Presse-Interviews würden einander gleichen. Jedoch seien nicht alle Spätfolgen, von denen S. berichtet – vermindertes Sehvermögen auf dem linken Auge sowie starke Kopf- und linksseitige Ohrenschmerzen –, auf die Auseinandersetzung zurückzuführen.
Die Richterin geht das Video in ihrem Urteil durch: In Sekunde zehn falle die erste Beleidigung: „Sieht aus wie eine Hexe.“ Anschließend Schlaggeräusche und die Wortfetzen: „… in mein Gesicht getreten“. Der Griff in den Hals- und Nackenbereich sei zu sehen, ein Würgen aber nicht. In Minute eins gingen beide Frauen zu Boden, wiederholt sei „Bitte nicht!“ zu hören. Das Video sei vor allem eine akustische Wiedergabe des Konflikts, außerdem lückenhaft, so die Richterin. Gefüllt wurden diese durch Zeugenaussagen.
Während die Richterin ihr Urteil begründet, stöhnen und seufzen Leute aus dem Publikum: Dass Ayan M. nicht vorbestraft ist und die Stimmung emotional aufgeheizt war, hat die Richterin mildernd in ihr Urteil einfließen lassen. Der Versuch von Elisabeth S., Ayan M. zu filmen, sei zudem eine Provokation gewesen.
Die Angeklagte hätte laut der Richterin ihr Urteil beeinflussen können, wenn sie selbst gesprochen hätte. Ayan M. äußerte sich jedoch ausschließlich über ihren Anwalt. Nachfragen ließ sie nicht zu. Nun hat sie eine Woche Zeit, in Berufung zu gehen.
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