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Eine Schockwelle jagt die nächste

George Simion, ein Rechtsradikaler, könnte Rumäniens nächster Präsident werden. Er kündigt eine konservative Revolution an. Das Land steht vor einem Politikwechsel, der auch Europa nervös machen dürfte

Haben diese beiden Männer bald das Sagen in Rumänien? Rechts-außen-Schaulauf am 4. Mai im Wahllokal: Călin ­Georgescu im graublauen Jackett neben George Simion Foto: Vadim Ghirda/ap

Von William Totok

Der deutliche Sieg des rechtsradikalen Kandidaten George ­Simion in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat Rumänien kräftig durchgeschüttelt. Am 5. Mai, dem Tag danach, trat der Ministerpräsident und Chef der so­zial­demokratischen PSD Marcel Ciolacu zurück. Der kommissarische Staatspräsident ernannte daraufhin den amtierenden Innenminister Cătălin Predoiu zum neuen Regierungschef.

Die Koalitionsregierung, bestehend aus der PSD, der Na­tio­nal­liberalen Partei (PNL) und dem Demokratischen ­Union der Ungarn in Rumänien (UDMR) ging zur Präsidentschaftswahl mit einem gemeinsamen Kandidaten ins Rennen. Dieser jedoch erhielt nicht die nötigen Stimmen, um in die Stichwahl zu kommen.

In der zweiten Runde am 18. Mai stehen sich nun der Kandidat der rechtsradikalen Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), George Simion, für den rund 41 Prozent der Wäh­le­r*in­nen gestimmt haben, und der Unabhängige Nicuşor Dan, der knapp 21 Prozent erhielt, gegenüber. Laut einer Umfrage könnte Simion bei der Stichwahl auf mehr als 54 Prozent kommen, sein Rivale nur auf rund 45 Prozent.

Seit Dezember durchlebt Rumänien eine Schockwelle nach der anderen. Wegen angeblicher illegaler Wahlkampffinanzierung hatte das Verfassungsgericht die erste Runde der Präsidentschaftswahl am 24. November annulliert und damit den bevorstehenden Sieg des Ökofaschisten und Esoterikers Călin Georgescu verhindert. Mit raunenden Heilsversprechungen, vaterländischen Tiraden sowie Sympathiebekundungen für US-Präsident Trump war es Geor­gescu gelungen all jene anzusprechen, die mit der regierenden Parteienelite unzufrieden sind. Eine erneute Kandidatur Georgescus für die neu angesetzte Wahl am 4. Mai wurde abgelehnt.

Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen undurch­sich­tiger Finanzierung des Wahl­kampfs 2024. Ein angeblicher Geldgeber wurde festgenommen, jedoch mangels Beweisen aus der Untersuchungshaft entlassen. Georgescu bestreitet die Vorwürfe und behauptet, seine Kampagne in den sozialen Netzwerken verdanke sich allein dem Einsatz freiwilliger Unterstützer.

Diese Darstellung teilt auch Simion, der als Präsidentschaftskandidat mit dem Anspruch angetreten ist, das Programm Georgescus umzusetzen. Bei seinen öffentlichen Auftritten und in Internetbot­schaften erklärt Simion in staatsmännischer Pose, nach seinem Wahlsieg Călin Geor­gescu zum Ministerpräsidenten einer neuen Regierung einsetzen zu wollen. Sein gemeinsamer Auftritt mit Geor­gescu am Wahltag war als Signal dafür gedacht, dass ein zukünftiger Präsident Simion seine Versprechen auch umsetzen werde.

In mehreren Interviews skizzierte er weitere Maßnahmen, die darauf abzielten, seinen Unterstützerkreis zu erweitern. Simion, dessen Ansichten mit denen anderer euroskeptischer Rechtsparteien übereinstimmen, erklärte, 500.000 Staatsbeamte entlassen zu wollen. Die Maßnahme diene nicht nur der Zerschlagung alter, auf Vetternwirtschaft basierender Seilschaften, sondern auch der Sanierung des angeschlagenen Haushalts. Als Modell für die Verschlankung des Staats und den Bürokratieabbau nannte er den rechtspopulistischen argentinischen Präsidenten Javier Milei.

Dessen radikales Privatisierungsprogramm wird auch von Claudiu Năsui, einem einflussreichen Politiker der neoliberalen Union Rettet Rumänien (USR) geteilt. Die USR steht aber hinter Nicuşor Dan, dem ­Herausforderer Simions, den sie als einen „Isolationisten“ sieht und als Hemmnis für den ­europäischen Integrationsprozess.

Für eine Unterstützung des parteilosen Bukarester Oberbürgermeisters und Mathematikers Dan wirbt auch der Ungarnverband, nachdem die PSD des zurückgetretenen Premiers ihren Mitgliedern empfohlen hatte, nach eigenem Gewissen zu wählen.

Victoria Stoiciu, eine der wenigen authentischen linken Politikerinnen Rumäniens und als Senatorin der PSD im Parlament, kritisierte die Empfehlung ihrer Partei und plädierte für die Unterstützung des unabhängigen Kandidaten Dan in der Stichwahl. „Der Rückzug der PSD aus der Regierung ist eine Gelegenheit für eine Wiederbelebung einer glaubwürdigen Linken“, schrieb sie auf Face­book. „Rumänien braucht jetzt mehr denn je eine überzeugende Linkspartei, die ins Zen­trum ihrer Aufmerksamkeit eine Agenda rückt, die fundamentale Werte vertritt: Gleichheit, Inklusion und Solidarität.“ Gerade deren Missachtung führte zu einer sozialen Schieflage, von der Populisten und Rechtsradikale vom Schlage Simions profitieren.

32 Prozent der Menschen leben an der Armutsgrenze, 10,8 Prozent darunter

32 Prozent der Bevölkerung – von rund 19 Millionen – leben an der Armutsgrenze, 10,8 Prozent darunter. Betroffen sind insbesondere junge Menschen, Rentner, Roma, Arbeitslose und Alleinerziehende. 55 Prozent der 18- bis 35-Jährigen leben bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Der gesetzliche monatliche Bruttomindestlohn liegt bei 3.700 Lei (etwa 700 Euro), aber angesichts von Preisen, die stellenweise so hoch wie in Deutschland sind, profitieren die Unterprivilegierten nicht davon.

Ein Mix aus Frust, Unzufriedenheit und Hass auf das Establishment dominiert in breiten Schichten der Bevölkerung, die außerhalb großstädtischer Zen­tren wie Bukarest oder ­Temeswar leben. Das Gefühl, von den Regierenden ignoriert zu werden, hat auch die im Ausland lebenden Rumänen erfasst. Mehr als 60 Prozent stimmten für Simion, nachdem sie im November mehrheitlich Georgescu gewählt hatten.

Simion, dessen Erstrundensieg am vergangenen Sonntag auch die AfD begrüßte, erklärte, die konservative Revolution sei in vollem Gange und niemand könne sie noch aufgehalten. Sie werde schrittweise den ganzen Kontinent erfassen, letztendlich die EU zu einem Europa souveräner Vaterländer machen und den von Linken angestrebten Föderalisierungsprozess für immer stoppen.

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