Wiederauferstehung des FC Bayern München: Mia san fast wieder mia
Vincent Kompany hat den FC Bayern zu einer unerwartet überzeugenden Meisterschaft geführt. Aber der Jubel hält sich in Grenzen.

Es ist an jenem Sonntag nicht wirklich ein Beben durch München gegangen, als um 19.24 Uhr feststand, dass die Männer des FC Bayern wieder mal Deutscher Fußballmeister geworden sind. So ist das eben in einer Stadt, deren großer Klub schon 33-mal zuvor den Titel gewonnen hat. Und dann ist den Münchnern der Titel an jenem Tag auch noch ohne eigenes Zutun zugefallen.
Verfolger Leverkusen hat in Freiburg nur einen Punkt geholt und so die letzte theoretische Chance verspielt, die Bayern an den verbleibenden beiden Spieltagen doch noch einzuholen. Sofameisterschaft ist das Wort, das die deutsche Fußballfachsprache dafür parat hält. Wie man eine solche beim FC Bayern feiert? Im Nobelrestaurant natürlich.
Beim Käfer im feinen Bogenhausen kamen die Spieler zusammen, grölten, soffen und verspritzten jede Menge Schaumwein aus riesigen Champagnerflaschen. Nicht viel mehr als 25 Fans warteten vor dem Lokal und freuten sich zusammen mit den abgeordneten Reportern der einschlägigen Boulevardpresse an den Gesängen, die aus dem Restaurant nach draußen drangen.
Später konnte man das Geschehen nachlesen. Und auf dem Instagram-Account von Stürmer Harry Kane, der nun tatsächlich den ersten Titel seiner Karriere gewonnen hat, konnte, wer unbedingt wollte, nachhören, wie es klingt, wenn betrunkene Fußballer „Sweet Caroline“ oder „We are the Champions“ singen. Über 1,3 Millionen Leute haben dafür auf Instagram ein Herz vergeben. Immerhin.
Nach dem totalen Absturz
Die ganz große Party mit den Fans auf dem Marienplatz, wo zusammen mit dem Frauenteam, das neben der Meisterschaft auch den Pokal gewonnen hat, vom Rathausbalkon gewunken wird, steigt erst am 18. Mai. Die Meisterschale haben die Bayern dann schon eine Woche lang, und auch wenn sich die Spieler mit dem Gebräu des Biersponsors innen und außen reichlich benetzen werden, rechnet niemand damit, dass die Stadt in totale Ekstase verfällt.
Dabei gäbe es Grund genug, so etwas wie eine Auferstehung zu feiern. In der Vorsaison waren die Bayern ja nur Dritte in der Bundesliga geworden, was im Verein als der totale Absturz wahrgenommen wurde. Ja, da hatte es die Leverkusener gegeben mit ihrer wahnsinnigen Saison ohne Niederlage und ihrem wahnwitzig aufspielenden Wunderbubi Florian Wirtz. Aber dass die Bayern in der Schlusstabelle auch noch hinter dem VfB Stuttgart standen, war der Beleg dafür, wie kaputt das teure Team in den letzten Wochen der Vorsaison unter dem damaligen Trainer Thomas Tuchel war.
Als kaputt wird die Mannschaft in diesen Tagen kaum einer bezeichnen. Die Spieler verstehen sich – beim Champagnersaufen ebenso wie auf dem Platz. Souverän sind sie Meister geworden und haben mit ihrer bisweilen bedingungslosen Offensive, mit ihrem kompromisslosen Gegenpressing, mit ihrer Präsenz vor und im gegnerischen Strafraum vor allem in der ersten Saisonhälfte für Spektakel gesorgt. Die Bayern sind wieder ein Hingucker in der Liga.
Trainer Vincent Kompany ist es gelungen, einen den Stärken der Spieler entsprechenden Ansatz zu etablieren. Und während Tuchel sich immer wieder beklagte, dass die Bayern für seine Philosophie die falschen Spieler habe, hat der Belgier nie auch nur ein schlechtes Wort über einen Spieler verloren. Er hat es geschafft, für Ruhe in diesem selbstbewussten Kader zu sorgen, der schon manchem Trainer zum Verhängnis geworden ist. Die Spieler, so ist es zu hören, können mit ihm. Die arrivierten genauso wie die neuen.
Verlachte Notlösung
Es ist viel gelacht worden, als die Bayern Kompany vor der Saison als neuen Trainer präsentiert haben. Ein 38-Jähriger ohne allzu lange Erfahrung an der Linie, der gerade mit dem Burnley FC aus der Premier League abgestiegen war, sollte den FC Bayern zurück an die Spitze führen? Heute lacht niemand mehr über Kompany, der zu seinem Amtsantritt nicht mehr als eine Notlösung war. Kein namhafter Trainer wollte bei den Münchnern anheuern. Sogar Tuchel, den man ja eigentlich loswerden wollte, fragten die Bayern irgendwann, ob er nicht vielleicht doch weitermachen wolle. Nicht nur auf dem Platz herrschte Ratlosigkeit, auch das Management wirkte hilflos.
Es war eine elende Zeit für dieses sonst so kraftstrotzende Mia-san-mia-Gebilde. Deshalb war es alles andere als selbstverständlich, dass die Bayern den Titel holen. Und nur deshalb klopfen sie Kompany so kräftig auf die Schulter. Es gab schon Jahre, da galt eine Saison beim FC Bayern nach einem Scheitern im Viertelfinale der Champions League als völlig misslungen. Das ist nun anders.
Doch während Vincent Kompany weitgehend unbehelligt von Gescheitmeiereien aus der Vereinsführung oder aus dem Wohnhaus von Uli Hoeneß am Tegernsee arbeiten konnte, steht Sportdirektor Max Eberl unter andauerndem Beschuss. Mit einem Transferminus von 60 Millionen Euro ist er in die Saison gegangen. Doch das ist nicht der einzige Grund für Kritik an ihm. Er war angetreten, um aufzuräumen im überbezahlten Kader des FC Bayern. Doch so einfach ist das nicht, wenn die Gehälter so hoch sind, dass die Spieler einfach nicht wechseln wollen, auch wenn man ihnen sagt, dass für sie kein Platz mehr im Team ist.
Leon Goretzka ist so einer. Den wollte Eberl eigentlich rausekeln. Als dann Not am Mann war und Goretzka doch gebraucht wurde, lieferte er blitzsaubere Leistungen ab und wurde sogar wieder zum Nationalspieler. Loswerden wollten die Bayern auch Kingsley Coman. Den Franzosen hatte man fast schon nach Saudi-Arabien abgeschoben, doch dem war ein gut bezahltes Leben als Ergänzungsspieler an der Isar lieber als ein Karriereherbst in der Operettenliga am Golf.
Hoeneß und das Sondervermögen
Immerhin Thomas Müller sind die Bayern losgeworden. Dass der Vertrag mit dem sogenannten Urgestein nicht verlängert worden ist, mag sportlich gut zu begründen sein. Und dennoch steht Eberl jetzt so da, als hätte er das Denkmal für Gerd Müller vor der Arena im Münchner Norden eigenhändig abmontiert und eingeschmolzen. In dieser Woche soll Eberl vor dem Aufsichtsrat des Klubs darüber Auskunft geben, wie er sich den Kader für die kommende Saison vorstellt.
Da wird er unter anderem auf Uli Hoeneß treffen, der nicht müde wird, für eine Verpflichtung von Leverkusens Superstar Florian Wirtz zu werben. Höchstpersönlich hält er vom Tegernsee aus Kontakt zu Wirtz, so heißt es. Und während Eberl immer vorgehalten wird, er solle doch gefälligst weniger Geld ausgeben, hat Hoeneß im Fall Wirtz sogar das neue deutsche Wort für Schulden in den Mund genommen: Sondervermögen.
Schulden gehören nicht unbedingt zum Stil des FC Bayern. Und für den Gewinn einer deutschen Meisterschaft reicht wohl auch in Zukunft das viel besungene Festgeldkonto der Münchner. Aber der Klub möchte eben wieder den Anschluss an die absolute europäische Spitze finden. Wie weit die Mannschaft von der entfernt ist, auch das hat diese Saison gezeigt.
Die Niederlagen gegen Aston Villa, Feyenoord Rotterdam oder Celtic Glasgow haben deutlich gemacht, dass dem Team noch die nötige Balance zwischen Stabilität und Angriffslust fehlt. Der FC Bayern möchte derartige Probleme traditionell eher mit Aktivitäten auf dem Transfermarkt bekämpfen als durch Arbeit auf dem Trainingsplatz. Und so wird auch in Fanforen oder -podcasts derart intensiv diskutiert über den Kader der Mannschaft für die kommende Saison, dass einfach nicht genug Energie bleibt für eine angemessene Würdigung der eben errungenen Meisterschaft.
Aufgemotzte Hymne
Einen Neuzugang gibt es schon zu vermelden. In der Playlist der Bayern für die Heimspiele findet sich eine neue Hymne. „Immer vorwärts, FC Bayern“ ist ein Fangesang, der schon lange in der Südkurve geschmettert wird. Den hat nun der Komponist und Produzent Hans Franek mit Streichern und Bläsern zu einer bombastisch klingenden Hymne aufgemotzt.
Die organisierten Fans der Südkurve haben dem Klub zum 125. Geburtstag das Lied spendiert, zu dem die Spieler einlaufen werden. 8.000 Fans haben sich zum Einsingen in der Arena getroffen. Und weil das allein für einen Klub wie den FC Bayern nicht genug ist, schmettert Startenor Jonas Kaufmann, ein gebürtiger Bogenhausener übrigens, kräftig mit. Auf Italienisch trägt er ein paar Zeilen vor. Denn die Hymne fußt auf dem Italo-Pop-Schlager „Montagne Verdi“ von Marcella Bella, in dem es heißt: „Mein Schicksal ist es, neben dir zu sein.“
Am 31. Mai wird dieses Lied wohl nicht in München zu hören sein. Am Tag des Champions-League-Finals gehört die Stadt den Fans aus Mailand und Paris. Gespielt wird im Stadion der Bayern. Es wird ein harter Tag werden für die rot-weiße Gemeinde in München. Die 34. Meisterschaft der Bayern ist dann schon längst kein Thema mehr in der Stadt.
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