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Polizeiforscherin über Diskriminierung„Natürlich gibt es Rassismus in der Polizei“

Astrid Jacobsen von der Polizeiakademie Niedersachsen erklärt, warum Po­li­zis­t*in­nen rassistisch handeln können, ohne solche Einstellungen zu haben.

Kontrollen können rassistisch diskriminieren, ohne dass der oder die Po­li­zis­t:in bewusst ausgrenzen will Foto: Felix Kästle/dpa
Interview von Aljoscha Hoepfner

taz: Frau Jacobsen, Sie sind seit über 20 Jahren Polizeiforscherin. Gibt es Rassismus in der Polizei?

Astrid Jacobsen: Ja, natürlich gibt es rassistische Diskriminierung in der Polizei. Zu dem Schluss komme ich aber nicht, weil ich 20 Jahre Polizeiforscherin bin, sondern weil die Diskriminierungs- und Rassismusforschung zeigt, dass rassistische Kategorien in unserer Gesellschaftsordnung eine Rolle spielen. Das gilt für alle gesellschaftlichen Teilbereiche, auch für die Polizei.

taz: Nach der Erschießung von Lorenz A. ist in der Diskussion um Rassismus in der Polizei trotzdem von „Vorverurteilungen“ die Rede. Warum fällt es der Polizei so schwer anzuerkennen, dass auch sie rassistisch handelt?

Jacobsen: Es ist zum einen das Missverständnis, dass Rassismuskritik bedeutet, Po­li­zei­be­am­t*in­nen werde vorgeworfen, überzeugte Ras­sis­t*in­nen zu sein. Das schafft in der Polizei Empörung und wird als Angriff auf die professionelle Integrität verstanden. Die Polizei gerät zum anderen in der Rassismuskritik stark in den Fokus. Wir haben andere rechtsstaatliche ­Instanzen – Staatsanwaltschaften, Gerichte, die bislang kaum thematisiert werden. Außerdem beanspruchen Teile der Polizei leider immer noch die Deutungshoheit für polizeiliche Angelegenheiten, was per se jede Kritik von außen als inkompetent diskreditiert.

taz: Po­li­zis­t*in­nen müssen also keine rassistische Einstellung haben, um rassistisch zu handeln?

Jacobsen: Nein. Diskriminierung kann da entstehen, wo Menschen handeln, ganz unabhängig von der Überzeugung der Handelnden.

taz: Sie haben im vergangenen Jahr eine Studie zu Diskriminierung durch die Polizei veröffentlicht. Was genau war Ihre Motivation?

Jacobsen: Wir waren unzufrieden mit dem Fokus auf Einstellungen von Po­li­zei­be­am­t*in­nen in der Debatte und überzeugt, dass es wissenschaftliche Befunde zu den Diskriminierungsrisiken braucht, die durch polizeiliche Arbeitsprozesse selbst entstehen. So kann die Polizei Ansatzpunkte für diskriminierungssensible Polizeiarbeit gewinnen.

Bild: blachura | photography
Im Interview: Astrid Jacobsen

ist Soziologin und Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen.

taz: Warum gibt es so eine Studie erst jetzt und nicht schon vor 20 Jahren?

Jacobsen: Black Lives Matter hat das Thema auf die öffentliche und politische Agenda gebracht und als gesellschaftlich relevant markiert. Das ist der Verdienst dieser Bewegung. Vor 20 Jahren wurde Diskriminierung fast ausschließlich unter Betroffenen diskutiert. Wir brauchten für unsere Studie die Unterstützung der Polizeiakademie Niedersachsen, der Polizei Niedersachsen und des Innenministeriums. Und die hatten wir erst 2020.

taz: Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Jacobsen: Wir haben polizeiliche Praxis im Zeitraum eines Jahres begleitet und die Arbeitsprozesse beschrieben. Anschließend haben wir diese Arbeitsprozesse auf Diskriminierungsrisiken untersucht.

taz: Was war das Ergebnis?

Jacobsen: Wir haben 12 typische Risikokonstellationen für Diskriminierung identifiziert. Dabei haben wir aber auch zahlreiche Arbeitsprozesse beschrieben, die typischerweise nicht diskriminierungsanfällig sind.

taz: Können Sie eine typische Risikokonstellation genauer beschreiben?

Jacobsen: Die Polizei muss Gefahren einschätzen und Verdacht generieren. Dafür nutzt sie Kategorien zu Anlässen oder Personen. Dabei gibt es bestimmte Gefahrentrigger, etwa „Bedrohungslage“ oder „Messer“, die Zeit- und Handlungsdruck erzeugen. Es gibt auch personenbezogene Kategorien wie die ethnische Zugehörigkeit, die ebenfalls als Gefahren­trigger fungieren können. Wenn das geschieht, ohne dass es konkrete, anlassbezogene Informationen gibt, dass diese Kategorie relevant für den Einsatz ist, handelt es sich um Diskriminierung.

taz: Wie wurde die Studie in der Polizei und der Politik ­aufgenommen?

Jacobsen: Genauso kontrovers, wie das Thema selbst. In der Polizei gibt es eine Spanne zwischen „Endlich wird darüber auf diese Art und Weise gesprochen!“ und Abwehr. In der Politik waren die Reaktionen eher verhalten. Auf Landesebene haben sich vor allem die Grünen dafür interessiert.

Ich wünsche mir, dass sichergestellt wird, dass die Anti­diskriminierungs­arbeit eine dauerhafte Aufgabe wird

taz: Was wird jetzt mit den Erkenntnissen der Studie ­gemacht?

Jacobsen: Das niedersächsische Innenministerium hat eine Landesarbeitsgruppe eingerichtet, die Maßnahmen erarbeitet hat, die die von uns analysierten Diskriminierungsrisiken verringern sollen. Derzeit wird der Abschlussbericht vorgelegt.

taz: Welche Maßnahmen würden Sie sich wünschen?

Jacobsen: Konkrete Maßnahmen lassen sich nur gemeinsam mit der Polizei erarbeiten. Aber ich wünsche mir Rahmenbedingungen zu dem Thema. Ich wünsche mir, dass die Debatte gleichermaßen die Expertise der Betroffenen, wie die Expertise der Polizei ernst nimmt. Ich wünsche mir, dass sichergestellt wird, dass die Antidiskriminierungsarbeit in der Polizei eine dauerhafte Aufgabe wird und auch die Forschung weiterläuft. Und ich wünsche mir eine unabhängige Beschwerdestelle mit Ermittlungskompetenz.

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1 Kommentar

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  • Ah, wir nähern uns langsam der Erkenntnis, dass "race" und "racism" nicht ohne Weiteres mit "Rasse" und "Rassismus" übersetzbar sind, da die letzteren Beiden stark mit so Dingen wie NS-Rassenlehre und KuKlux-Clan assoziert werden und sich die beim "outcaling" angesprochene Person dadurch oft derart angegriffen fühlt, dass ein sinnstiftendes Gespräch unmöglich wird.