piwik no script img

Spasibo sagen – aber wie und wo?

Berlin feiert den Tag der Befreiung, nicht nur mit einem einmaligen Feiertag, sondern auch mit vielen Veranstaltungen – und Konfliktpotenzial

Am 8. und 9. Mai im Fokus: das Sowjetische Ehrenmal, Gedenkstätte und zugleich Soldatenfriedhof im Treptower Park Foto: Jeremy Knowles/imago

Von Erik Peter

Wer nicht feiert, hat verloren!

Der 8. Mai, Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, muss gefeiert werden – daran gibt es aus antifaschistischer Sicht schon immer nichts zu rütteln. Den 80. Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht begeht Berlin als einziges Bundesland mit einem Feiertag. Der Senat begründete dies mit der immensen historischen Bedeutung und damit, dass Berlin im Ländervergleich die wenigsten Feiertage hat.

Es ist das zweite Mal nach dem 75. Jahrestag 2020, dass Berlin den Tag als Feiertag begeht. Einen bundesweiten und dauerhaften Feiertag zu etablieren statt eines „Gedenktages“, fordern linke Organisationen und Gewerkschaften schon lange. Doch wahrscheinlich ist das nicht angesichts der politischen Mehrheiten im Bund sowie lautstarken Forderungen, Feiertage zum Wohle des Bruttoinlandsproduktes zu streichen.

Hilfe, die Russen kommen!

Knapp 80.000 sowjetische Soldaten ließen allein in den beiden Wochen der Schlacht um Berlin ihr Leben. Doch seit 2022 Russland den Krieg gegen die Ukraine entfesselte, ist das Gedenken an die Befreiung durch die Rote Armee nicht mehr so unbeschwert, wie es einmal war. Denn in Russland wird das Gedenken, das dort am 9. Mai begangen wird, für die eigene Kriegspropaganda instrumentalisiert, und auch hierzulande ist der Grat zwischen Gedenken und Werbung für Putins Russland bei einigen sehr schmal.

Ein erstes Opfer dieser unseligen Vermischung war das traditionelle Fest der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der An­ti­fa­schis­t:in­nen (VVN-BdA) am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, wo 7.000 Sowjetsoldaten bestattet sind. Jahrelang feierten hier Antifas und russische Mi­gran­t:in­nen zusammen oder zumindest nebeneinander, tanzten zu Ska-Musik und tranken Wodka. Während sich viele, vor allem anti-autoritäre Linke zurückgezogen haben und auch von offizieller Seite dort keine Kränze mehr niedergelegt werden, kommt die russische Community weiter, vor allem am 9. Mai.

Erwartet werden dann auch wieder Rocker des russischen Motorradclubs Nachtwölfe. Sie wollen im Konvoi vom Tiergarten nach Treptow fahren, 200 Teilnehmer sind angemeldet – unter strenger Beobachtung der Polizei.

Zeigt her eure Winkelemente!

Für die Ehrenmäler in Treptow, an der Straße des 17. Juni im Tiergarten und in Schönholz gilt für beide Tage eine polizeiliche Allgemeinverfügung, die jegliche russische Propagandaversuche ersticken soll. Verboten sind dabei neben russischen auch sowjetische Fahnen, dabei wurde Berlin unter dem Symbol von Hammer und Sichel befreit, und das auch von ukrainischen Soldat:innen. Kontrolliert werden alle Be­su­che­r:in­nen zudem auf schwarz-orangefarbene St.- Georgs-Bändchen, die zur Unterstützung der russischen Regierungspolitik verwendet werden, und auf den Buchstaben Z, der als Propagandazeichen für den Angriffskrieg in der Ukrai­ne fungiert.

Das Fahnenverbot wurde erstmals vor drei Jahren durchgesetzt und war nach einer gegenteiligen Entscheidung vom Verwaltungsgericht schlussendlich vom Oberverwaltungsgericht bestätigt worden. Inzwischen gehört das Umgehen des Verbots etwa durch Kleidung in Farben der russischen Flagge oder das Hineinschmuggeln von Armbändern aber zum Volkssport. Ausgenommen vom Verbot sind Veteranen des Zweiten Weltkrieges sowie Diplomaten. Ukrainische Flaggen sind für alle erlaubt.

Offizielles Gedenken

Die seit vergangenen Freitag laufende Gedenkwoche Berlins umfasst mehr als 100 Veranstaltungen, darunter Diskussionen, Ausstellungen oder Stadtführungen. Das Brandenburger Tor wird speziell beleuchtetet, und auf dem Pariser Platz erzählt eine Freiluftausstellung über das Kriegsende und persönliche Schicksale von Über­lebenden. An diesem Mittwoch gibt es eine Gedenkstunde von Senat und Abgeordnetenhaus im Roten Rathaus. Hier wird Margot Friedländer, inzwischen 103-jährige Holocaust-Über­lebende, eine Lesung halten.

Teil des Gedenkens sind diverse Kranzniederlegungen, an denen Ver­tre­te­r:in­nen vom Senat, den Bezirken und den Parteien teilnehmen: vom Urnenfriedhof Seestraße, über das Museum Karlshorst, Ort der Kapitulation, bis zu den kleineren Sowjetischen Ehrenmalen in Hohenschönhausen oder Buch.

Der Senat weicht nach Schönholz aus, um dem umkämpften Trubel in der Innenstadt zu entgehen. Ohne allzu großen öffentlichen Aufschrei hat er entschieden, keine ausländischen Gäste einzuladen, vermeiden will man dabei vor allem ein gemeinsames Gedenken mit russischen und belarussischen Vertreter:innen.

Im Treptower Park sind 7.000 Sowjetsoldaten bestattet

Gedenken selber machen

Die wohl attraktivste Veranstaltung in diesem Jahr, frei von autoritären Putin-Fans oder auch Verschwörungsgläubigen, organisiert die VVN-BdA am Donnerstag. Nach dezentralen Gedenkkundgebungen etwa am Museum Karlshorst, dem Ehrenmal Buch und später am Garbátyplatz, den Gedenkstätten in Treptow und Tiergarten sowie am Schulenburgring in Tempelhof, wo am 2. Mai 1945 die Kapitulation Berlins unterschrieben wurde, führen Fahrradkorsos zum Bebelplatz. Dort erwartet die An­ti­fa­schis­t:in­nen ein Programm mit den Lebensgeschichten von Zeitzeug:innen, die aus Lagern befreit wurden, im Widerstand kämpften oder ins Exil gingen, sowie Konzerte.

Wer sich in den Treptower Park traut, kann dort etwa bei der exilrussischen Gruppe „Demokrati-Ja“ vorbeischauen, die mit Ausstellungen, Bühnenprogramm und Denkmalführungen das Gedenken mit einer Kritik an Stalinismus und Ukrainekrieg verbindet. Weniger distanziert wird es am 9. Mai bei einem Fest der SDAJ, Jugendorganisation der DKP. Angekündigt ist ein „Befreiungsfest mit viel Bass“ und anschließendem Rave im Rosengarten.

8. mai 1945, seiten 4–7,

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen