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Friedrichund seinNaziopa

Am Dienstag soll Friedrich Merz zum Kanzler gewählt werden – und muss sich gleich zum 80. Jahrestag der Befreiung verhalten. Als sie vor Jahren zur Vergangenheit seines Großvaters recherchierte, verklagte Merz die taz. Wie sieht er seinen Naziopa heute?

Friedrich Merz auf dem CDU-Bundesparteitag 2024 Foto: Nikita Teryoshin

Von Martin Teigeler

Vor 21 Jahren, im Januar 2004, habe ich mit Kolleginnen und Kollegen bei der taz zur Nazivergangenheit des Großvaters von Friedrich Merz recherchiert. Auslöser war eine Rede, in der sich der damalige stellvertretende Fraktionsvize der Union positiv über seinen Opa mütterlicherseits, ­Josef Paul Sauvigny, geäußert hatte. Vor Parteifreunden in seinem sauerländischen Heimatort Brilon rief Merz dazu auf, das „rote Rathaus“ der Stadt „zu stürmen“. Zur Begründung verwies er auf seinen Großvater, der dort einst als Bürgermeister amtiert hatte.

Wir bekamen Hinweise darauf, dass Merz’ Großvater als Bürgermeister von Brilon ein glühender Hitler-Anhänger war. Ein 20-jähriger Zivildienstleistender mit SPD-Parteibuch, Dirk Wiese, grub im Stadtarchiv eine braune Rede Sauvignys aus und meldete sich bei der taz. Heute ist Wiese SPD-Bundestags­abgeordneter.

Merz behauptete damals, sein Opa sei kein Nationalsozialist gewesen: „Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister.“ Die taz recherchierte, dass Sauvigny Mitglied der NSDAP und der SA war. Der Opa lief ab 1933 von der Deutschen Zentrumspartei zu den Nazis über.

„Der journalistische Stil der taz ist widerlich“, schrieb Merz damals. Sauvigny sei „ohne sein Zutun“ zum SA-Unteroffizier befördert und ebenfalls „ohne eigenes Zutun“ in die NSDAP überführt worden. Merz klagte gegen Teile der Berichterstattung. Er bekam nur in einem Punkt recht: Die taz durfte nicht mehr behaupten, sein Großvater sei sein „größtes Vorbild“ oder „politisches Vorbild“. Die Recherche beanstandete das Gericht nicht.

Bis heute ist diese online nachzulesen. Zum Beispiel die Analyse von Christian Semler, wie Merz die Schutzbehauptungen seines Großvaters aus dessen Entnazifizierungsverfahren von 1947 unkritisch übernommen hatte.

Merz wurde in der beginnenden Merkel-Ära immer bedeutungsloser. 2009 verließ er den Bundestag. Ein Politikcomeback später ist Friedrich Merz ab Dienstag voraussichtlich der zehnte Kanzler der Bundesrepublik.

Im Wahlkampf kam Merz’ Umgang mit seinem Naziopa kaum vor. In einem Podcast von Table Media wurde die „Causa Paul Sauvigny“ kurz erwähnt. Weggefährten aus Brilon wurden gefragt, doch keiner wollte sich so richtig äußern. Einmal sprach Merz über seinen Großvater – und zwar Mitte Januar im Interviewpodcast der Zeit.

Merz: „[…] Na ja, und diesen Großvater habe ich ja auch noch kennengelernt – der ist 1967 im Alter von 92 Jahren gestorben, da war ich 13 –, der aber schon seit 1917 Bürgermeister war, […] als Zentrumspolitiker. Und dann eben auch in diese Abgründe des National­sozialismus hineingeraten ist und 1937 dann aufgehört hat. Ja, und das hat auch unsere Familie immer wieder begleitet.“

Man ist halt irgendwie „hineingeraten“, in „Abgründe“. Vokabeln mit einem geschichtspolitischen Sound der Entlastung. So richtig wird nicht klar, ob Friedrich Merz doch schon vor 2004 wusste, dass sein Großvater NSDAP- und SA-Mitglied war.

Es klingt nicht so, als hätte Merz sich nach der Recherche in der taz eingehender mit Schuld und Verantwortung seines Vorfahren beschäftigt.

Die Zurückhaltung, wenn es um die Geschichte seines Naziopas geht, steht im Widerspruch zu Merz’ politischer Rhetorik, in der historische Anspielungen öfter vorkommen. So bezeichnete er die Ampelparteien als „Novemberbankrotteure“. Das klingt, in Anspielung auf die Novemberrevolution, verdächtig nach einem rechten Kampfbegriff der Weimarer Republik, den „Novemberverbrechern“. Im Januar betonte Merz, den weiteren Aufstieg der AfD verhindern zu wollen, und machte einen historischen Vergleich: „Einmal’33 reicht.“ Wenig später nahm er AfD-Stimmen in Kauf. In seiner berüchtigten Suada gegen „grüne und linke Spinner“ kurz vor der Bundestagswahl sprach er von „Judenfahnen“.

Die Frage, ob und welche Lehren Friedrich Merz aus der deutschen Geschichte gezogen hat, ist angesichts des Umgangs der Union mit der AfD relevanter denn je. Warum wird dieser Bezug in den deutschen Medien bisher kaum hergestellt? Die Berichte ausländischer Korrespondenten zur Nazifamiliengeschichte des CDU-Chefs sind in dieser Frage deutlich pointierter.

Der Berlinkorrespondent des britischen Telegraph etwa machte sich auf nach Brilon im Sauerland. In der Heimatstadt von Merz recherchierte James Rothwell unter anderem zu einem „dunklen Familiengeheimnis aus den dreißiger Jahren“. In seinem im Januar erschienenen Artikel zitierte er den Direktor eines örtlichen Museums für Lokalgeschichte, Carsten Schlömer. Übersetzt heißt es in dem Artikel:

„[…] Wie in vielen wohlhabenden deutschen Familien gibt es auch hier ein schwarzes Schaf: Josef Paul ­Sauvigny, der Großvater mütterlicherseits von Herrn Merz, war in den frühen Jahren des Dritten Reichs Bürgermeister von Brilon und Mitglied der NSDAP. Aus lokalen Archivunterlagen, die dem Telegraph vorliegen, geht hervor, dass Herr Sauvigny in einem Stadtrundschreiben für seinen ‚nationalsozialistischen Geist‘ gelobt wurde, als er 1937 als Bürgermeister zurücktrat. Während seiner Amtszeit wurden zwei Straßen in Brilon in ‚Adolf-Hitler-Straße‘ und ‚Hermann-Göring-Straße‘ umbenannt.

Darüber hinaus gibt es in Brilon offenbar nur wenige Aufzeichnungen über seine Beteiligung am Dritten Reich. Einer Akte aus dem Briloner Archiv zufolge ist nicht einmal klar, wann genau er der NSDAP beitrat. Herr Schlömer, der sonst vor Stolz auf seine Museums­ausstellungen strotzt, wirkt etwas verlegen, wenn er nach der NS-Vergangenheit von Herrn Merz’ Großvater gefragt wird. […]“

Bereits im Juli 2023 berichtete die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP über Merz und Sauvigny. Der damalige AP-Korrespondent Frank Jordans stellte Bezüge her zwischen der politischen Vergangenheit des Opas und der politischen Strategie des Enkels:

„[…] Merz reagierte gereizt auf die Frage, ob die deutschen Konservativen aus der Vergangenheit gelernt hätten, etwa aus dem Verhalten seines Großvaters, der als Bürgermeister der westfälischen Stadt Brilon nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 mit den Nazis kooperierte. Solche Vergleiche seien unangebracht, sagte der 67-Jährige. […]“

Der Historiker Götz Aly beschreibt in seinem Buch „Unser Nationalso­zia­lismus“ von 2023 das „weit verbreitete Bedürfnis nach maximaler Distanz“. Aber die Taten zwischen 1933 und 1945 hätten „keine Außer­irdischen“ verbrochen, „die Nationalsozialisten“ oder „die Rassenideologen“, sondern „normale Menschen aus allen Schichten der deutschen Bevölkerung“. Die „allermeisten heutigen Deutschen möchten aus den Verbrechen ihrer hitlerdeutschen Vorfahren lernen. Aber was?“

In seiner taz-Analyse von 2004 schrieb der verstorbene Christian Semler, Merz interpretiere die politischen Motive seines Großvaters in genau der gleichen Weise, wie Sauvigny selbst sich gerechtfertigt habe: „Die Frage ist jedoch, ob Merz mit seinen apologetischen Erklärungen für das Handeln seines Großvaters nicht an einem politischen Klima mitwirkt, das Opportunismus und Anpassertum an den Nazismus als Tugend preist und damit der politischen Kultur unseres Landes schadet“, schrieb Semler. „Im Kern argumentiert Merz: Mein Großvater war und blieb Antinazi, aber politisch konnte er leider nicht anders.“

Von einem Politiker, der Bundeskanzler sein will, kann eine kritische Öffentlichkeit mehr, Genaueres und auch Persönlicheres erwarten als die auch von Merz vorgetragenen Bekenntnisse zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus.

Zwei Tage nach der Bundeskanzlerwahl wird Merz sich wohl auch zum 80. Jahrestag des Kriegsendes äußern. Es wäre eine Gelegenheit, über Lektionen aus der eigenen Familiengeschichte zu reflektieren. 40 Jahre nach der Weizsäcker-Rede von 1985 wäre es ein Signal eines Kanzlers Merz, wenn er am 8. Mai über die Rolle seines Großvaters im NS-Staat sprechen würde – und damit über die Frage, wie ein Land mit vielen Millionen Nazivergangenheiten erinnern und daraus lernen kann.

„Der journalistische Stil der taz ist widerlich“

Friedrich Merz, 2004

Hoffentlich lässt Merz sich bei seiner Rede nicht von seinem designierten Kulturstaatsminister Wolfram Weimer beraten. Weimer schrieb 2018 in seinem „Konservativen Manifest“ vom „monströsen Abgrund des Nationalsozialismus“. Weimer beklagt, in Deutschland sei „Herkunftsbewusstein“ nach 1945 „bekämpft und systematisch zerstört“ worden, als hätte es „die Welt vor 1933“ nie gegeben. Kapitel wie „Nation ehren“ lesen sich stellenweise anschlussfähig zu AfD-Mitgründer ­Alexander ­Gauland, für den Hitler und die Nazis ein „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ waren. Friedrich Merz’ Golfkumpel wird im Kabinett auch für die NS-Gedenkstätten verantwortlich sein.

Der Großvater von Friedrich Merz vollzog in den 1930er Jahren einen „flotten Farbenwechsel“, wie Semler schrieb, vom politischen Katholizismus zum Nazitum. Es bleibt abzuwarten, welche Wechsel sein Enkel noch durchzieht. Dass politischer Opportunismus von ihm zu erwarten ist, zeigten der Umgang mit der AfD vor und die Abwendung von der Schuldenbremse nach der Bundestagswahl.

Vielleicht bekommt Friedrich Merz von Maischberger, Lanz oder Illner irgendwann doch noch die Frage gestellt: Herr Merz, niemand kann etwas für seinen Naziopa – aber was haben Sie seit 2004 aus der Geschichte Ihres Großvaters gelernt?

Auf Anfrage der taz wollte sich Friedrich Merz nicht äußern.

Martin Teigeler war bis 2007 taz-­Redakteur. Heute arbeitet er als freier Journalist, unter anderem für den WDR.

politik 4–5, gesellschaft 25–27, ­kultur 41

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