Neue Regierung in Hamburg: Rot-Grün bleibt sich treu
Vier Wochen haben Hamburgs SPD und Grüne verhandelt, nun steht der Koalitionsvertrag. Überraschungen gibt es vor allem bei den Ressortzuschnitten.

Aus Fegebanks bisherigem Portfolio muss sie die Zuständigkeit für die sieben Hamburger Bezirke an die Finanzbehörde abgeben – eine leichte Machtverschiebung von den Grünen zur SPD. Der dort für die Bezirke zuständige Staatsrat soll zusätzlich die Zuständigkeit für das wichtige Zukunftsthema Energie übernehmen, das aber in der Umweltbehörde angesiedelt bleibt. Er würde also zwei Senatoren von unterschiedlichen Parteien dienen.
Inhaltlich bietet der 148-seitige Vertrag nicht viel Überraschendes und manch Trübes. Ein Überblick:
Abschiebungen
Unangenehm deutlich an den Zeitgeist angelehnt ist das Papier in puncto Abschiebung. Das nicht zuletzt durch ein Gerichtsurteil umstrittene „Dublin-Zentrum“ für die schnellere Rückführung von über EU-Staaten Eingereiste soll erhalten bleiben. Man werde für Menschen ohne Bleibeperspektive die Ausreisepflicht konsequent durchsetzen und die Zahl der Rückführungen erhöhen, schreiben SPD und Grüne auf Seite 94 ihres Vertrags.
Dafür werde man, wenn nötig, die Kapazität der Abschiebehaft „bedarfsgerecht“ erhöhen. Immerhin sollen jungerwachsene Geflüchtete verstärkte „Angebote für nachholende Schulabschlüsse“ bekommen und ein Projekt für deren Übergang in Ausbildung verstetigt werden. Und sie erhalten für diese Zeit eine Duldung.
Sicherheit
Hamburg will in den nächsten fünf Jahren 500 neue Polizisten einstellen und eine „hochmoderne neue Einsatzzentrale“ bauen. Um den Extremismus zu bekämpfen, soll es künftig vor Einstellungen in den öffentlichen Dienst wieder eine „Regelanfrage“ an den Verfassungsschutz geben. Die Maßnahmen rund um den Hauptbahnhof erklärt die Koalition in spe für erfolgreich.
Lägen Ordnungsverstöße wie „ordnungsstörendes öffentliches Lagern“ vor, werde man „niedrigschwellig Aufenthaltsverbote“ erteilen. Außerdem werde man bei festgestellten Aufenthaltsverstößen auch „Entziehung der EU-Freizügigkeit“ durchsetzen. Das zielt auf Obdachlose aus Osteuropa.
Verkehr
Der künftige Senat zeigt sich zumindest offen, was das umstrittene Thema Straßenbahn angeht. „Wir werden prüfen, wie und mit welchem Verkehrssystem der Öffentliche Personennahverkehr weiter in Richtung Süden entwickelt werden kann“, heißt es im Vertrag.
Das Bussystem soll durch intelligente Leitkonzepte leistungsfähiger werden. Dort, wo die Kapazität der Metro- und Expressbuslinien auch nach dem Ausbau nicht ausreicht, soll geprüft werden, „welches Verkehrsmittel stattdessen zum Einsatz kommen kann“.
Bei den Überlegungen zum Eisenbahnverkehr ist keine Rede vom Verbindungsbahn-Entlastungstunnel, einem S-Bahn-Tunnel mitten durch die Stadt, der den künftigen Deutschland-Takt der Bahn ermöglichen soll. Stattdessen heißt es, der Senat wolle sich dafür einsetzen, dass der Bund eine Studie zum Eisenbahnknotenpunkt Hamburg in Auftrag gibt. Der Tunnel gilt unter Eisenbahnaktivisten als teure und schlechte Lösung.
Der von den Umweltverbänden und bisweilen auch den Grünen kritisierte Bau der Autobahn A26 Ost, die im Süden Hamburgs die A1 mit der A7 verbinden soll, wird im Koalitionsvertrag verankert.
Klima
Der Senat hält an dem Ziel fest, die Stadt bis 2045 weitgehend klimaneutral zu machen. Dieses Ziel schon 2040 zu erreichen, wie es die Volksinitiative Zukunftsentscheid fordert, wäre nur möglich, wenn auf Bundes- und europäischer Ebene die Weichen viel stärker in Richtung Klimaschutz gestellt würden, halten die Koalitionäre fest.
Wohnungsbau
An dem Ziel, 10.000 neue Wohnungen im Jahr zu genehmigen, soll festgehalten werden. Um die Mietpreisentwicklung zu dämpfen, soll sich der Mietenspiegel künftig am Median statt am Mittelwert orientieren. Damit verlieren die Ausreißer an Bedeutung. Die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen soll von 15 auf elf Prozent binnen drei Jahren gesenkt werden.
Innovationspolitik
„Wir wollen Hamburg zum Innovationszentrum Europas machen“, lautet die Ansage. Die vier Innovationsparks der Stadt sollen weiterentwickelt werden. Dabei geht es um grüne Technologie, Life Sciences, Luftfahrt in Verbindung mit Airbus und Lufthansa Technik sowie maritime Technologie und smarte Logistik. Die Science City in Bahrenfeld am Deutschen Elektronen Synchrotron (Desy) soll zu einer Drehscheibe für Quantentechnologie werden.
Zudem wollen die Koalitionäre eine IT-Umgebung schaffen, in der KI gefahrlos ausprobiert werden kann. Der Senat will Ausgründungen aus Hochschulen fördern und junge, innovative Unternehmen mit dem alten Geld der Herz- und der Otto-Stiftung auf die Beine bringen.
Schule
Besonders in der Schulpolitik will Rot-Grün am Bisherigen festhalten: der Struktur aus Gymnasium und Stadtteilschule. Das Ressort bleibt in der Hand von SPD-Politikerin Ksenja Bekeris, immerhin mit einem konkreten Ziel: Sie will die Grundkompetenzen in Deutsch und Mathe stärken und die Zahl der Kinder, die hier die Mindeststandards verfehlen, halbieren.
Um auf Kritik am Turbo-Abi zu reagieren, darf es an Pilotschulen eine „flexible Oberstufe“ geben. Für Auszubildende soll es bis 2030 3.000 Wohnheimplätze geben.
Kinder und Jugend
Anders als von Kritikern erhofft, taucht auch die umstrittene Einrichtung „Casa Luna“, die auch geschlossene Unterbringung ermöglichen soll, im Koalitionsvertrag auf. Das noch nicht gebaute Heim in Hamburg-Groß Borstel soll Kindern, die zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe pendeln, „bestmögliche Betreuung“ bieten. Immerhin verspricht das Papier, man werde dabei irgendwie auch die Kinderrechte berücksichtigen.
Für die Jugendhilfe insgesamt nimmt sich die Koalition einiges vor. So soll, wie schon lange gefordert, der überlastete Kinder- und Jugendnotdienst dezentralisiert werden. Auch will man die Vorschriften bei den Jugendämtern überprüfen, damit Fachkräfte mehr Zeit für die Menschen haben.
Und es soll einen Ausbau von geeigneten Jugendwohnungen geben, worunter wohl eine Art Housing-First-Konzept für sonst obdachlose, junge Menschen gemeint ist. Zu guter Letzt will sich Hamburg gar für einen Fonds einsetzen, damit Heimkinder, die physische oder psychische Gewalt erfuhren, entschädigt werden.
Soziales
Trübe sind die Aussichten für einen sozialen Arbeitsmarkt in ärmeren Quartieren. Hier nennt der Vertrag gar keine Zielzahlen. Hamburg will sich wieder für die Olympischen Spiele bewerben und darüber ein Referendum durchführen.
Gesundheit
Die neue Koalition will dafür sorgen, dass in allen Stadtteilen genügend Haus- und Kinderärzte sind und gucken, wo für die Sicherstellung der Versorgung Medizinische Zentren nötig sind. Die Suchthilfe soll durch das Angebot eines „Drug-Checking“ erweitert werden.
Ein Zentrum für Long-Covid-Patienten, wie von Betroffenen gefordert, ist nicht im Vertrag verankert, etwas ungenauer heißt es, man baue zusammen mit der U<niklink und den Kassenärzten „die Hilfen für Betroffene in Hamburg aus“. Und es soll mehr Prävention zur Verhinderung des Fetalen Alkoholsyndroms (FASD) geben.
Kultur
Hamburg will eine Förderung für Literaturverlage einführen und die bestehende Clubförderung und die Filmförderug aufstocken. Um mehr Live-Musik im Sommer zu ermöglichen, soll es eine Fläche für Open-Air-Konzerte der Clubs geben. Als „Leitprojekte“ soll es ein „Haus der digitalen Welt“ geben und der Bau der neuen Kühne-Oper vorangetrieben werden. Und um die koloniale Vergangenheit der Stadt aufzuarbeiten, wird eine „zivilgesellschaftliche Koordinierungsstelle Hamburg dekolonisieren“ geschaffen.
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