piwik no script img

Die 5c gegen das System

Fünft­kläss­le­r:in­nen in Hamburg kämpfen gegen die Abschiebung ihrer Mitschülerin Chanelia. Mit Protesten und Petition setzen sie alles daran, dass sie bleiben kann

Halten für ihre Mitschülerin Chanelia zusammen: Schü­le­r:in­nen der 5c einer Stadtteilschule in Hamburg-Wandsbek Foto: privat

Von Amira Klute

Du kaufst drei Tüten Äpfel, in jeder Tüte sind fünf Stück. Wie viele Äpfel hast du? Das ist so eine Frage, die Schü­le­r:in­nen in der fünften Klasse normalerweise beschäftigt. An einer Stadtteilschule in Hamburg-Wandsbek müssen sich die Fünft­kläss­le­r:in­nen gerade mit einer ganz anderen Frage herumschlagen: Wird unsere Mitschülerin abgeschoben?

Anfang Januar hat die 12-jährige Chanelia aus der 5c einen Brief bekommen. Innerhalb einer Woche müssen sie und ihre Mutter ausreisen, stand darin. Nach Mazedonien, ein Land, mit dem Chanelia fast nichts verbindet. Sie spricht die Sprache nicht, ist in Hamburg aufgewachsen, geht hier zur Schule, hat hier Familie und Freund:innen. Chanelias Familie sind Rom*nja, die in Mazedonien diskriminiert werden.

Sie selbst ist staatenlos. Zwar hat sie einen volljährigen Bruder in Hamburg, ihr Aufenthaltstitel ist aber an den ihrer Mutter geknüpft, die das alleinige Sorgerecht hat. Weil der nicht verlängert wurde, betrifft das auch Chanelia. Ohne gültigen Aufenthaltstitel folgt die sogenannte Aufforderung zur freiwilligen Ausreise. Wer die Frist darin, oft nur wenige Wochen, verstreichen lässt, dem droht die Abschiebung.

Wie erklärt man das einer fünften Klasse? Vor dieser Frage stand wiederum zum ersten Mal in ihrem Berufsleben Charlotte Wachsmuth, die Klassenlehrerin der 5c. Als sie von dem Abschiebebescheid erfahren hat, sei ihr klar gewesen, „dass wir das den Kindern mitteilen. Einfach aus dem Grund, dass es sein kann, dass Chanelia nächste Woche nicht mehr da ist.“

Am Anfang hätte die Nachricht von Chanelias drohender Abschiebung auch Ängste ausgelöst. Gerade die Kinder, die selbst keinen deutschen Pass haben oder deren Eltern nicht aus Deutschland sind, hätten sich gefragt: Kann mir das auch passieren?

Im nächsten Moment habe die Reaktion der Klasse sie aber sehr überrascht, sagt Wachsmuth. „Auch wenn die sich sonst viel gestritten haben, waren die in dem Moment eins.“ Die Klasse fand: Chanelia muss bleiben. Schnell sei es um die Frage gegangen: Was können wir tun?

„Wir haben erst mal Plakate gemalt, die Kinder wollten demonstrieren, sind durch die Schule gelaufen und haben bei Mitschülern Unterschriften gesammelt.“ Die Initiative sei von den Schü­le­r:in­nen ausgegangen, sagt Wachsmuth. Sie und ihre Kol­le­g:in­nen hätten dann entschieden, den Protest der Kinder in die Erwachsenenwelt zu tragen.

So haben Charlotte Wachsmuth und ihre 5c in den vergangenen Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt. Erst reichte Wachsmuth in Absprache mit Chanelias Eltern „in einer ersten Pause“ eine Eingabe beim Hamburger Senat ein, der die Abschiebung vorerst aussetzte. Dann kam die Petition, die inzwischen mehr als 50.000 Unterschriften hat. Dann die Ausflüge, auch auf den Volksdorfer Marktplatz im Februar, mitten im Hamburger Wahlkampf, wo die 5c mit dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sprach. Und in eine Sitzung der Bezirksversammlung Wandsbek, woraufhin sich die Versammlung bei der Innenbehörde für Chanelia einsetzte, ein bis dahin einmaliger Vorgang. Die lokalen Zeitungen berichteten.

Ähnlich hohe Wellen schlug im vergangenen Jahr der Fall des damals 18-jährigen Joel, der kurz vor seinem Abitur nach Ghana abgeschoben werden sollte. Auch da machten seine Mit­schü­le­r:in­nen ordentlich Wirbel, es gab eine Petition, am Ende konnte Joel durch eine Entscheidung der Hamburger Härtefallkommission bleiben.

Darauf hofft auch Chanelias Klassenlehrerin Charlotte Wachsmuth. Am Montag wird sie mit Schü­le­r:in­nen aus ihrer 5c noch einen Ausflug machen, ins Hamburger Rathaus. Dort übergeben die Kinder die gesammelten Unterschriften symbolisch an den Eingabenausschuss der Hamburger Bürgerschaft, der Chanelias Fall an die Härtefallkommission weiterleiten könnte. Die Härtefallkommission ist die letzte Möglichkeit, eine Abschiebung zu verhindern, wenn alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft sind.

Charlotte Wachsmuth hofft, dass Charnelia bleiben kann. Auch für die ganze 5c. Dann könne die Klasse, hoffentlich vollzählig, zum Alltag übergehen. Textaufgaben lösen zum Beispiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen