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Tödlicher Polizeieinsatz in OldenburgSchon wieder kam ein junger schwarzer Mann ums Leben

Mohamed Amjahid
Kommentar von Mohamed Amjahid

Hätte der Tod verhindert werden können? Hoffnung machen die Initiativen, die unermüdlich für Aufklärung kämpfen – sie geben keine Ruhe.

Blumen und Kerzen als Zeichen der Trauer um den jungen Mann, der in Oldenburg von der Polizei erschossen wurde Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

B eim für so viele erdrückenden Thema der (tödlichen) Polizeigewalt gibt es seit wenigen Jahren eine positive Entwicklung, die – zwar vorsichtig, aber immerhin – ein wenig Hoffnung macht. Überall dort, wo in den vergangenen Jahren Menschen durch Polizeigewalt gestorben sind, tauchten kurze Zeit später Initiativen auf, die Aufklärung einfordern, Erinnerung pflegen und trotz eines staatlichen und gesellschaftlichen Widerstands keine Ruhe geben. So auch nach den aktuellen Ereignissen in Oldenburg.

Am vergangenen Wochenende wurde nach einer mutmaßlichen Auseinandersetzung vor einer Diskothek der 21-jährige Lorenz von einem Polizisten erschossen. Laut einem ersten Obduktionsbericht wurde der in Oldenburg aufgewachsene Schwarze Jugendliche von vier Kugeln getroffen, drei davon kamen von hinten. Die Schüsse sollen Lorenz an der Hüfte, am Oberkörper und am Kopf getroffen haben.

Laut verschiedenen Erhebungen gibt es pro Monat mehr als einen vergleichbaren Fall in Deutschland: Menschen werden erschossen, sie sterben in Polizeigewahrsam, es folgt zu oft keine Aufklärung, die Tä­te­r*in­nen erleben selten Konsequenzen. Im Gegenteil: Das Zusammenspiel einiger Polizeibehörden, der Innenpolitik, Polizeigewerkschaften und einiger Medien stellt die getöteten Opfer oft als „gefährlich“ dar, möchte einer breiten Öffentlichkeit erklären, dass Po­li­zis­t*in­nen stets in Notwehr handeln, wenn sie zu tödlicher Gewalt greifen. Unzählige journalistisch rekonstruierte Fälle und die polizeikritische Wissenschaft sehen das anders.

Sie haben ein System hinter der Polizeigewalt herausgearbeitet, das unzählige Menschen in den vergangenen Jahrzehnten routiniert das Leben gekostet hat. Aber genau in diesem Zerren um die Deutungshoheit ist eine positive Entwicklung zu erkennen. Zur Realität gehört, dass die Polizei in Deutschland weiterhin eine hegemoniale Macht genießt. Auch im Fall von Lorenz aus Oldenburg springen auf sozialen Medien viele Deutsche automatisiert der Polizei bei. Im Sinne von: alles gut so, wie es abgelaufen ist.

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Konnte der Tod verhindert werden?

Dabei sind viele Fragen nicht annähernd geklärt: Was würde ein Sekundenprotokoll der Tatnacht über die mutmaßlich unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch den polizeilichen Schützen aussagen? Spielte ein rassistisches Motiv eine Rolle? Welche Ideologie hat der Polizist und seine Entourage bisher geprägt? Konnte dieser Tod, so wie viele andere davor, vielleicht verhindert werden?

Genau diese und viele andere unangenehme Fragen stellen viele Ak­ti­vis­t*in­nen und vor allem engagierte Angehörige mittlerweile in ganz Deutschland: Die Schwester des in Polizeigewahrsam verstorbenen, psychisch erkrankten Ante P. aus Mannheim kämpft seit Jahren für eine Aufarbeitung des Falls und gegen das Vergessen, in Dortmund sorgten Ak­ti­vis­t*in­nen dafür, dass die Angehörigen von Mouhamed Dramé zumindest dem Prozess beiwohnen konnten, in Bremen machen Freiwillige seit Jahren Öffentlichkeitsarbeit im Fall Mohamed Idrissi, und ohne die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ wäre der grausame Tod des Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeiwache längst vergessen.

Das sind nur wenige Beispiele, die zeigen, dass längst eine kritische Öffentlichkeit erwachsen ist, die es den staatlichen Stellen, polizeifreundlichen Medien und der Polizei-Lobby selbst nicht mehr so einfach macht. Es werden kritische Texte gelesen und geteilt, Demonstrationen werden organisiert und das nicht nur an Jahrestagen, ganze Kongresse werden auf die Beine gestellt, Wissen wird ausgetauscht. Die Vernetzung der Betroffenen und Ehrenamtlichen hat sich längst verstetigt.

Auch in Oldenburg formierte sich innerhalb von wenigen Stunden eine zivile Bewegung in der Stadt. Für das Wochenende hat sie schon eine Demonstration angekündigt, Angehörige und Freun­d*in­nen von Lorenz schreiben in emotionalen Nachrichten, dass sie trauern und zugleich selbst für eine lückenlose Aufklärung sorgen wollen.

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Wachsende Polizeikritik

Die wird derweil von der niedersächsischen Innenpolitik, Polizei und Justiz versprochen. Früher versandeten diese Versprechen meist in einem System, das unter allen Umständen die Polizei in Watte einpacken möchte. Mit der weiter wachsenden Polizeikritik in der Gesellschaft wird das nicht mehr so einfach gehen.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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9 Kommentare

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    Die Moderation    

  • Konnte der Tod verhindert werden? Nein.



    Hätte der Tod verhindert werden können? Vielleicht.

  • "Hätte der Tod verhindert werden können?" sollte es heißen, nicht "konnte", etc.



    Dieses stümperhafte Deutsch nimmt unter JournalistInnen leider ganz schön zu. Es führt zu Ungenauigkeiten in der Berichterstattung und ist einfach ärgerlich!

  • "Auch im Fall von Lorenz aus Oldenburg springen auf sozialen Medien viele Deutsche automatisiert der Polizei bei. Im Sinne von: alles gut so, wie es abgelaufen ist."

    Die "Deutschen" wissen einfach bescheid.

    "Dabei sind viele Fragen nicht annähernd geklärt: Was würde ein Sekundenprotokoll der Tatnacht über die mutmaßlich unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch den polizeilichen Schützen aussagen?"

    Genau wie die wahrscheinlich, laut Autor "Nichtdeutschen".

    2024 gab es 22 Tote durch Schusswaffen der Polizei. 2023 11. Man muss sagen über die letzten 45 Jahre hat sich die Statistik nicht groß verändert, auch wenn sie stark schwangt. Wenn man jetzt noch wüsste, wie viele bedrohliche Situationen pro Jahr für die Polizei entstehen, könnte man sich sogar ein Bild über die Ausbildung machen. Es macht nämlich ein Unterschied ob 20 Prozent aller solcher Fälle tödlich enden oder vllt 0.002 Prozent.

    Jeder Tote der vermieden werden kann, verhindert leid auf beiden Seiten.

    Im Vergleich zu einigen anderen Menschen, kann ich mir nicht vorstellen wie es ist als Polizist. Aber leider wollen nicht die besonnen reagierenden dort hin, welche zu jeder Zeit und Situation super entspannt sind.

  • Der Fall ist noch nicht ausermittelt, da fordert die DPolG schon den Einsatz von Taser-Waffen. So kann man auch von dem Geschehen in Oldenburg ablenken und es auf eine rein waffentechnische Angelegenheit zu reduzieren versuchen.

    • @flopserver:

      Jetzt fordern sie Taser, die sie bis letzte Woche noch abgelehnt haben

    • @flopserver:

      Für den Verein ja schon eine fast moderate Forderung.

  • Es ist durchaus möglich, dass die getötet Person sich bei der schnellen Schussabgabe im Sturz gedreht hat. Vorallem ist es auch möglich, dass der schießende Polizist aufgrund von Tränengas nicht mehr richtig sehen konnte, gleichzeitig aber berechtigt von einer lebensbedrohlichen Situation ausgehen musste. Vielleicht nicht sehr wahrscheinlich, aber Grund genug sich vorerst zurückzuhalten.

  • Ist es nicht sogar so, dass die Polizei Delmenhorst ermittelt.. und in Delmenhorst ist letztens jemand im Polizeigewahrsam gestorben?

    In der Tat sind es ja immer die gleichen Polizeiwachen, die auffällig werden.



    Die Wache am Hauptbahnhof in Köln zum Beispiel.



    Aber ist es dann nicht eher ein Versagen der Polizeiführung?



    Warum sieht ein Reul nicht die Gefahr, dass seine Beamten unglaubwürdig werden? Am Ende steht der Durchschnittsbürger da und sagt "die schon wieder" und pampt die "Bullen" an...