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Kohle für den Staatsanwalt

Am Landgericht Hannover hat heute der Prozess gegen einen mutmaßlich korrupten Staatsanwalt begonnen. Er soll Drogendealer gegen Geld vor der Polizei gewarnt haben

Der angeklagte Staatsanwalt (4. v. r.) und ein weiterer Angeklagter (l.) beim Prozessauftakt Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Von Amira Klute

Es klingt wie das Eins-A-Drehbuch für einen NDR-Vorabendkrimi. Die Zutaten: 16 Tonnen Koks im Hamburger Hafen, ein mutmaßlich korrupter Staatsanwalt in Hannover, der Drogenbosse gegen Bezahlung vor der Polizei gewarnt haben soll, und ein System, das ihn offenbar lange machen ließ.

Aber: Es sind noch viele Fragen offen in diesem spektakulären Fall, der schon den Rechtsausschuss des Landtags Niedersachsen beschäftigt hat und deswegen der Bundesgerichtshof ein Urteil in einem der größten Kokainverfahren der europäischen Geschichte teilweise aufheben musste.

Jetzt sind die Hoffnungen groß, dass das Landgericht Hannover ein bisschen Licht in die Sache bringen wird. Dort muss sich der 39-jährige Staatsanwalt G. ab heute verantworten. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück wirft ihm vor, zwischen Juni 2020 und März 2021 regelmäßig Ermittlungsinformationen an international agierende Drogenhändler in Hannover weitergegeben zu haben – gegen eine monatliche Bargeldzahlung von 5.000 Euro und mehr.

Der Prozess startet verspätet. Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng, das Medieninteresse ist groß. Die Publikumsplätze sind bis auf den letzten Platz besetzt. Auf der Anklagebank schüttelt G., weißes Hemd, grauer Bart, unentwegt den Kopf, als er hört, wie sein Kollege von der Staatsanwaltschaft Osnabrück die Anklage verliest. G. sitzt seit Oktober 2024 in Untersuchungshaft.

Insgesamt 65.000 Euro soll er kassiert und sich teils „gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande“ in insgesamt 14 konkreten Fällen der Bestechlichkeit, in einem besonders schweren Fall der Verletzung des Dienstgeheimnisses und in zwei Fällen der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht haben.

Schauplatz soll ein Gym in Hannover gewesen sein, betrieben von G.s Freund, dem 41-jährigen F., einem Boxtrainer, der als Mittelsmann wegen Beihilfe ebenfalls angeklagt wurde. Im Gym sollen Infos gegen Geld getauscht worden sein. Als Staatsanwalt soll G. Drogenhändlern unter anderem verraten haben, dass die Polizei einen V-Mann eingesetzt hatte und wann sie Razzien plante.

Dass die Staatsanwaltschaft Osnabrück den Fall übernommen hat, ist alles andere als Zufall. G.s eigene Staatsanwaltschaft in Hannover hatte in diesem Fall mehrfach in der Kritik gestanden. Das lag auch daran, dass die Behörde die internen Ermittlungen gegen G. anfangs selbst übernommen hatte.

Schon ab 2021 hatte es Hinweise auf ein Leck bei den Ermittlern gegeben, weil Verdächtige offenbar vor Razzien gewarnt worden waren. Damals im Drogendezernat tätig, konnte G. den 16-Tonnen-Koks-Fall aber selbst dann weiter bearbeiten, als gegen ihn ab 2022 erste Ermittlungen liefen. Diese wurden zwar ein Jahr später eingestellt, Anfang 2024 aber wieder aufgenommen.

Trotzdem arbeitete G. nach NDR-Informationen noch bis kurz vor seiner Verhaftung im Drogendezernat. Mittlerweile beschäftigt sich das Justizministerium mit der Frage, ob G.s Vorgesetzte gegen Dienstvorschriften verstoßen haben.

Beim Prozessauftakt sind es G.s Verteidiger, die den „Elefanten im Raum“ ansprechen: dass hier ein Kollege auf der Anklagebank sitzt. Ein Korruptionsvorwurf gegen einen Staatsanwalt sei selten, doch genauso sachlich und emotionsfrei zu bewerten wie andere Fälle auch, sagt sein Anwalt Timo Rahn. „Enttäuschungen dürfen auf keinen Fall eine Rolle spielen“, sagt Rahn mit Blick auf die Vorsitzende Richterin, die schon mit dem Angeklagten als Staatsanwalt in Verfahren gesessen hat.

G.s Verteidiger ziehen alle Register: Die Medien hätten G. vorverurteilt und die Staatsanwaltschaft habe Beweismittel einseitig interpretiert. Sie beziehen sich auf die fast 300 Seiten lange Anklage, die sich vor allem auf Nachrichten aus verschlüsselten Chatprogrammen stütze. In diesen soll der angeklagte Staatsanwalt als „Cop“, sein Mitangeklagter als „Coach“ auftauchen.

Dafür, dass G. wirklich der „Cop“ war, der Informationen weitergegeben habe, gebe es aber keine Beweise, argumentieren die Verteidiger. „Alternativhypothesen“ liefern sie gleich mit und zeigen mit dem Finger auf das Landeskriminalamt (LKA). Namentlich erwähnen sie zwei LKA-Beamte sowie eine dubiose IT-Firma aus Celle, die das LKA berät, und stellen die Frage in den Raum: Könnte nicht auch bei der Polizei der Maulwurf sitzen?

Der Angeklagte G. äußert sich kurz vor Ende des ersten Prozess­tags doch noch. Nach vorn gebeugt spricht er quer durch den Saal zu seinen Kollegen von der Staatsanwaltschaft Osnabrück. „Ich will klarstellen, dass es für Sie immer noch Herr G. oder ‚der Angeklagte’ ist“, sagt er. Dann bittet er das Gericht darum, ihm „Rohdaten“ aus der Akte zu schicken, weil er dem LKA und der Staatsanwaltschaft nicht traue. Im Fall einer Verurteilung wegen Bestechlichkeit droht ihm eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren, zusammen mit den anderen Anklagepunkten könnte sie höher ausfallen.

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