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Sozialwissenschaftlerin zur Spargelernte„Er sagte: ‚Nirgendwo war es so schlimm wie in Deutschland‘“

Spargelbauern holen Zigtausende Ern­te­hel­fe­r:in­nen nach Deutschland. Oft herrschen katastrophale Bedingungen, sagt die Expertin Kateryna Danilova.

Harte Ernte: Spargelfeld in NRW Foto: Rupert Oberhäuser/imago

taz: Frau Danilova, Sie werfen den deutschen Spargelbauern im Jahresbericht der Initiative Faire Landarbeit massive Ausbeutung ihrer Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen vor. Wie sieht die aus?

Kateryna Danilova: In unserem aktuellen Bericht liegt der Fokus vor allem auf den überteuerten und schlechten Unterkünften. Aber wir stellen noch viele andere Probleme fest, wie die Mindestlohnunterschreitung und eine extreme Ausdehnung des Arbeitstages. Hinzu kommt, dass die teils kriminellen Arbeitsvermittlungsstrukturen nicht reguliert sind. Aber wir bekommen auch immer mehr Hinweise auf sexualisierte Ausbeutung.

Bild: Antje Pahl
Im Interview: Kateryna Danilova

ist Sozialwissenschaftlerin und beim Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen sowie beim gewerkschaftlichen Netzwerk Faire Mobilität für Landwirtschaft zuständig.

taz: In welcher Form?

Danilova: Es gibt bislang nur Hinweise, da die Betroffenen selbst die Vorfälle nicht melden. Wir erfahren das über ihre Kolleg:innen, durch Zufall, wenn wir in den Betrieben sind, um uns die Arbeitsbedingungen anzusehen. Meist nutzen den Schilderungen nach die festangestellten Vorarbeiter ihre Machtposition aus und zwingen die Beschäftigten zu sexuellen Handlungen.

taz: Woher kommen Ihre Informationen?

Danilova: Den Kern unseres Berichts macht aus, was wir in unserer Beratungspraxis und bei unseren Feldaktionen beobachten. Wir gehen an die Feldränder und sprechen dort mit den Saisonarbeiter:innen. Unsere Beobachtungen aus den direkten Gesprächen ergänzen wir durch wissenschaftliche Expertise.

taz: Wer sind die Menschen, die als Sai­son­ar­bei­te­r:in schuften?

Danilova: Das sind vor allem Menschen aus Rumänien, die hier im Rahmen einer kurzfristigen Beschäftigung arbeiten, das heißt sozialversicherungsfrei, auf drei Monate begrenzt – extrem prekär. Sie kommen auch aus anderen osteuropäischen Ländern und auch immer mehr aus Drittstaaten, zum Beispiel aus den zentralasiatischen Ländern oder sogar aus Indien oder China.

taz: Um wie viele Menschen geht es?

Im ­vergangenen Jahr hatten wir 241.000 Saison­arbeite­r:innen, das ist knapp ein Drittel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft. Ohne diese Menschen können Spargel und Erdbeeren nicht geerntet werden. Die Beschäftigten leisten einen unersetzbaren Beitrag – das haben wir auch zu Corona-Zeiten gesehen –, werden aber ausgebeutet.

taz: Sie sprachen gerade von Unterschreitungen beim Mindestlohn. Der ist doch gesetzlich vorgeschrieben, liegt aktuell bei 12,82 Euro brutto pro Stunde. Wie kann es da zu Verfehlungen kommen?

Danilova: Nicht alle gearbeiteten Stunden werden festgehalten und bezahlt. Jemand kann 12, 13 oder auch 14 Stunden pro Tag arbeiten und dann nur für 8 davon Lohn bekommen. Oder die Arbeitgeber holen sich ihr Geld über die Wohnkosten zurück. Die Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen bekommen zwar die Unterkünfte vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt, aber zu sehr hohen Preisen.

taz: Wie hoch?

Danilova: Wir sprechen von Beträgen, die höher sind als in Metropolregionen in Deutschland, und das für Container in einem brandenburgischen Dorf. Drei bis vier Personen teilen sich ein Zimmer, manchmal aber auch bis zu 14. Ein rumänischer Saisonarbeiter, den wir in unserem Bericht zitieren, meinte: „Nirgendwo war es so schlimm wie in Deutschland.“ Er hatte zuvor in Italien auf der Baustelle und in Dänemark auf den Feldern gearbeitet.

taz: Wie reagieren die Land­wir­t:in­nen auf Ihre Feldbesuche?

Danilova: Manche lassen uns frei mit den Beschäftigten sprechen, andere fordern uns sofort auf, ihre Felder zu verlassen. Es kam auch schon vor, dass die Flyer, die wir verteilten, sofort von den Vorarbeitern wieder eingesammelt wurden. Meine Kolleginnen wurden nach der Aktion sogar mal mit einem Auto verfolgt.

taz: Rechtfertigen sich die Land­wir­t:in­nen vor Ihnen?

Danilova: Ein Landwirt meinte zu uns mal, die Menschen seien „nichts Besseres“ gewohnt und bei ihnen zu Hause sei alles „noch schlimmer“. Ein anderer sagte gar, die Saisonarbeit sei wie Urlaub für die Beschäftigten. Wir sprechen von einer schweren physischen Arbeit, die viel Präzision erfordert – viele Stunden pro Tag unter direkter Sonneneinstrahlung.

taz: Verbessert sich denn auch etwas in den Betrieben?

Danilova: Bei manchen Betrieben konnten wir in den letzten zwei Jahren Verbesserungen feststellen. Von systematischen Verbesserungen in dieser Branche sind wir aber immer noch weit entfernt. Seit Anfang dieses Jahres gibt es eine neue Regelung innerhalb der gemeinsamen Agrarpolitik der EU, nach der Subventionen nun an die Einhaltung gewisser Standards geknüpft sind. Da werden wir aber erst in diesem Jahr beobachten, ob das auch einen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen hat.

taz: Es scheint viele Betroffene zu geben. Wieso wehren sich nicht mehr Menschen gegen die Ausbeutung?

Danilova: In der Regel bekommen die Sai­son­ar­bei­te­r:in­nen ihre Löhne als einmalige Barzahlung am Ende der Saison. Sie verlassen ihre Unterkunft, und da steht schon der Bus bereit, der sie zurück nach Rumänien bringt. Es sind vielleicht 1.000 Euro weniger, als sie erwartet haben – aber sie können nichts mehr tun. Eine Klage ist sehr schwierig, die Menschen sprechen meist kein Deutsch, kennen das bürokratische System nicht. Für Verhandlungen vor Gericht müssten sie immer wieder nach Deutschland kommen, was ins Geld geht. Wir als arbeitsrechtliche Beratungsstellen versuchen, die Menschen zu empowern und Löhne außergerichtlich einzufordern. Gleichzeitig hat die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt eine spezielle Mitgliedschaft für Saisonbeschäftigte, die ihnen zu begünstigten Bedingungen Rechtsschutz gewährt.

taz: Was kann die Politik tun?

Danilova: Der Mindestlohn muss fortbestehen, aber auch tatsächlich ausgezahlt werden. Außerdem müssen die Unterkunftspreise gedeckelt und die Arbeitsvermittlung reguliert werden. Die Saisonbeschäftigten verdienen mehr für ihre Arbeit.

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