Brandschatzung und Massenflucht in Sudan: „Zamzam wird jetzt systematisch zerstört“
Sudans größtes Kriegsvertriebenenlager in Darfur ist an die RSF-Miliz gefallen. Das Schicksal Hunderttausender entkräfteter Menschen ist unbekannt.

In Sudan liefern sich Einheiten der Armee und der paramilitärischen RSF-Miliz (Rapid Support Forces) seit dem 15. April 2023 Kämpfe im ganzen Land. Der Machtkampf setzt den Bemühungen zur Demokratisierung Sudans vorläufig ein Ende.
„Zamzam wird jetzt systematisch durch Feuer zerstört, mittels absichtlicher Brandstiftung durch RSF-Truppen“, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Bericht des Humanitarian Research Lab an der US-Universität Yale, einer Expertengruppe zur Erforschung von Verbrechen in Kriegsgebieten weltweit. Auf der Grundlage der Auswertung von Satellitenaufnahmen aus dem Zeitraum 11. bis 14. April kommen die Forscher zu dem Schluss, dass eine Fläche von 1.183 Quadratkilometern in Brand gesteckt worden ist, darunter der wichtigste Markt von Zamzam. Mutmaßlich mehrere Hunderttausend Menschen seien in die Flucht getrieben worden.
„Glaubwürdige Berichte von vor Ort zeigen, dass viele Zivilisten bei der Flucht aus dem Camp gestorben sind“, heißt es weiter. Da zahlreiche Fliehende an Hunger, Entkräftung und Wassermangel „tot umgefallen“ seien, „muss davon ausgegangen werden, dass eine in die Tausende gehende unbekannte Anzahl der Zivilbevölkerung von Zamzam, vor allem Kinder und Ältere, die seit fast einem Jahr unter einer Hungersnot leben, zu schwach zum Fliehen waren.“
Da zahlreiche Videoaufnahmen aus Zamzam – viele solcher Aufnahmen hat die RSF selbst verbreitet, um ihren Erfolg zu beweisen – „summarische Hinrichtungen von Zivilisten durch die RSF“ belegten, müsse jetzt für die verbleibende Bevölkerung vom Schlimmsten ausgegangen werden: „Folter, konfliktbezogene sexualisierte Gewalt und Massaker“.
Hungersnot am Rande einer belagerten Stadt
Zamzam ist eines von drei großen Lagern für Binnenvertriebene am Rande von El Fasher, der Hauptstadt von Norddarfur und die einzige der fünf Provinzhauptstädte Darfurs, die immer noch nicht von der RSF kontrolliert wird. Die RSF belagert El Fasher fast seit Kriegsbeginn. Die Stadt und die Camps am Stadtrand haben sich in dieser Zeit mit Geflohenen aus von der RSF eroberten Gebieten in Darfur gefüllt. Die RSF-Miliz ist aus der arabischen Reitermiliz Janjaweed hervorgegangen, die vor zwanzig Jahren auf Befehl der damaligen Militärdiktatur systematische Massaker in Darfur beging, die der Internationale Strafgerichtshof später als Völkermord wertete.
Im August 2024 war Zamzam der erste Ort in Sudan, in dem das UN-Hungerexpertengremium IPC eine Hungersnot ausrief, die höchste und weltweit nur selten festgestellte von fünf Stufen der Ernährungsunsicherheit. Inzwischen gilt diese Einstufung auch für weitere Orte in der Umgebung und droht nach IPC-Einschätzung unmittelbar auch für El Fasher insgesamt. Kaum jemand in der Stadt oder den Lagern verfügt über Geld, Lebensmittel kommen nur selten an und sind horrend teuer: umgerechnet 18 Euro für ein Kilo Linsen, 1,50 Euro für eine einzige Zwiebel, berichtete jüngst der unabhängige sudanesische Radiosender Radio Dabanga.
Auch medizinische Versorgung ist kaum noch möglich. Die letzte noch funktionsfähige Klinik in Zamzam wurde von der RSF am vergangenen Freitag zerstört, als die Miliz ihre Großoffensive auf das Camp startete. Stundenlang wurden auch der Markt und die angrenzenden Wohnviertel beschossen. Am Sonntag verkündete die RSF, sie habe Zamzam nunmehr „befreit“ und stationiere ihre Kämpfer, „um Zivilisten und humanitäres Gesundheitspersonal zu schützen“. Gleichzeitig war auf Videoaufnahmen zu sehen, wie RSF-Kämpfer am Boden liegende Menschen erschießen.
Die RSF will Darfur vollständig erobern
Erst Ende März war die RSF vollständig aus Sudans Hauptstadt Khartum vertrieben worden, die seit Kriegsbeginn umkämpft gewesen war. Die Miliz zieht sich nun nach Darfur zurück. Um dort uneingeschränkt zu herrschen, muss sie El Fasher und seine Vertriebenenlager unter Kontrolle bringen. Anfang April setzten massive Bombardierungen ein – nach dem Sturm auf Zamzam wird nun ein Großangriff auf El Fasher selbst befürchtet.
Eine unbekannte Anzahl entkräfteter Menschen ist nun aus Zamzam auf der Flucht. Das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen berichtete am Montag, in Tawila, 80 Kilometer westlich von El Fasher, habe man am Samstag und Sonntag „mehr als 10.000“ Geflohene aus Zamzam eintreffen sehen. „Sie kamen in einem fortgeschrittenen Zustand von Dehydrierung, Erschöpfung und Stress an. Sie haben nur die Kleidung, die sie tragen, nichts zu essen und zu trinken.“
Was mit den Zurückgebliebenen geschieht, lässt sich anhand der Satellitenbilder und Videoaufnahmen nur erahnen. Mindestens 500 Menschen seien gezielt getötet worden, Hunderte verschleppt oder gefangen, erklärte die Lagerleitung von Zamzam in der Nacht zum Dienstag. Die RSF habe das Camp „mit den modernsten Waffen, Drohnen und Artillerie großer Reichweite“ gestürmt und an der Bevölkerung „Massentötungen, öffentliche Vergewaltigungen vor den Augen der Familienangehörigen, systematische Entführungen und das komplette Niederbrennen von Behausungen“ begangen.
Man richte einen Aufruf „an das stolze sudanesische Volk, an das menschliche Weltgewissen und an alle nationalen und internationalen Kräfte“, so die Erklärung weiter: „Was in Zamzam geschehen ist, ist nicht nur eine humanitäre Tragödie. Es ist ein Schandfleck auf dem Gewissen der Menschheit, ein systematischer Akt des Völkermords, der sofortiges und dringliches Eingreifen von jedem lebenden Bewusstsein der Welt erfordert“.
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