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Salvadorianische Soldaten patrouillieren durch eine Straße in San Salvador, als Maßnahme der Anti-Banden-Strategie Foto: Alex Pena/Anadolu Agency/picture alliance

Zivilgesellschaft in El SalvadorLeben unter dem Zocker-Präsidenten

Die USA schieben Ve­ne­zo­la­ne­r:in­nen nach El Salvador ab. Dort sagt Präsident Bukele Banden den Kampf an. Das stößt auf Zustimmung – und Ängste.

G efangene mit kurz geschorenen Haaren, weißem Shirt, weißer Hose, weißen Socken. Doch das Wichtigste an dieser Choreografie ist: Es gibt nur Gruppenauftritte. Alle Darsteller werden in dieselbe geduckte Körperhaltung gezwungen, sie müssen nacheinander – möglichst in gleichem Abstand – Gänge ablaufen und sitzen schließlich – großes Finale – in waagerecht und senkrecht geordneten Reihen auf dem Boden. Diese gefilmte oder fotografierte Inszenierung wird in El Salvador schon seit Jahren aufgeführt. Man kann davon ausgehen, dass alle Sal­va­do­ria­ne­r:in­nen diese Aufführung mehr als einmal gesehen haben. Von alleine erzählen sie einem überall im Land davon. „Der Präsident hat ein Gefängnis bauen lassen, da passen 40.000 Menschen rein.“ Und dann folgt immer – bedeutungsschwer ausgesprochen – der Satz: „Und da ist noch viel Platz!“

Nun sorgte diese Inszenierung erstmals auch für weltweites Aufsehen, weil vor wenigen Tagen die unfreiwilligen Darsteller nicht aus dem eigenen Land kamen. 238 venezolanische Gefangene wurden Mitte März, in einer nächtlichen Blitz­aktion, aus den USA nach El Salvador abgeschoben. Der allgegenwärtige Satz „Und da ist noch viel Platz!“ war also auch ein Angebot an befreundete Herrscher wie Donald Trump. Präsident Nayib Bukele vermietet auch Gefängnisfläche.

Seit 2019 regiert Bukele in El Salvador. Der 43-Jährige inszeniert sich dabei auf Social Media, nennt sich selbst den „coolsten Diktator der Welt“. Seit seiner Wahl geht das lateinamerikanische Land neue Wege. Bukele führte die Kryptowährung Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel ein. Vor allem aber sagte er der Bandenkriminalität den Kampf an, verhängt seit 2022 einen Ausnahmezustand über das Land. 82.500 Menschen wurden in den vergangenen Jahren inhaftiert, mit oft zweifelhaften Begründungen.

Die ersten Angehörigen der nun abgeschobenen Venezolaner suchen bereits die Öffentlichkeit um zu beteuern, dass ihr Mann, Sohn, Bruder unschuldig sei. Gleiche Stimmen hört man auch zu den inhaftierten Salvadorianer:innen. Die Menschenrechtsorganisation Socorro Jurídico Humanitario beklagt, dass knapp jeder Dritte zu Unrecht in den Gefängnissen des Landes verschwunden sei. Bei über sechs Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen kann man davon ausgehen: Jede und jeder kennt jemanden, der einsitzt – und viele kennen jemanden, der unschuldig einsitzt. Im Januar 2024 wurde Präsident Bukele trotzdem und mit großer Mehrheit wiedergewählt. Sein Kalkül ist zunächst einmal aufgegangen.

Die 82.500 Gefangenen haben Cintia Flores (Name geändert) den Weg zurück in ihre alte Heimat ermöglicht. Die 24-Jährige verkauft selbstgemachte Teigtaschen aus ihrem Bauchladen auf dem Markt von Nahuizalco, einer Stadt mit etwa 50.000 Ein­woh­ne­r:in­nen im Westen des Landes. Sie hätte gerne einen festen Marktstand wie ihre Eltern, erzählt sie. Aber sie bekäme keinen, obwohl manche Frauen gleich drei Stände hätten. Doch das seien Kleinigkeiten im Vergleich zu früher. Da sei es hier um Leben und Tod gegangen, sagt Flores. „Meine Eltern hatten einen Marktstand. 2009 sollten sie der Bande, die die Stadt beherrschte, eine ‚Abgabe‘ zahlen. Sie sahen das nicht ein. Die Marktfrauen, die der Bande kein Geld gaben, wurden umgebracht. Meine Eltern flohen mit uns drei Töchtern nach Guatemala.“ Cintia Flores war da neun Jahre alt.

Diese Banden hatten sich ab 1992 in El Salvador ausgebreitet. Damals war der dreizehn Jahre währende Bürgerkrieg im Land zu Ende gegangen, viele in die USA geflüchtete Sal­va­do­ria­ne­r:in­nen wurden in ihre Heimat abgeschoben. Die meisten kamen aus Los Angeles. Dort hatten sie nur in Gruppen überleben können, gegen die mexikanischen, afroamerikanischen und philippinischen Gangs. Zurück in ihrem Heimatland trafen sie auf junge Männer, die in den Bürgerkriegsjahren mit Straßenschlachten und Messerduellen aufgewachsen waren. Schnell wuchs zusammen, was nur Gewalt als Mittel zum Überleben kannte.

„Jetzt kann man hier ganz ruhig leben“

Seit Bukele Präsident wurde und anfing, zehntausende Männer einsperren zu lassen, die als Bandenmitglieder beschuldigt wurden, sank die Kriminalität. 2022 kam Cintia Flores daher zurück, nun mit Mann und Sohn, danach wurde noch ihre Tochter geboren. Ihr guatemaltekischer Mann, ein Elektriker, ist auf dem Markt dazugekommen und ergänzt, dass sogar die Uber-Fahrer in Nahuizalco erpresst worden seien. Flores ist heute 24 Jahre alt und zufrieden: „Ich kenne hier auf dem Markt so viele Familien. Nahuizalco ist übersichtlich. Jetzt, da Frieden herrscht, kann man hier ganz ruhig leben.“

Etwa eine Stunde weiter nordwestlich liegt der Nationalpark „El Imposíble“. Edwin Arévalo nennt ihn sein Wohnzimmer. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht Stunden draußen verbringe, sagt er. Nur das würde ihn ins Gleichgewicht bringen. An diesem Tag ist es ein wenig windig. Bei Wind würden sich die Schlangen zurückziehen, sonst könne man sie zischeln hören, erzählt Arévalo. Der 35-Jährige hat mit neun Jahren angefangen, Touren anzubieten. Damals seien überwiegend Einheimische gekommen. „Die Salvadorianer und auch die Guatemalteken bewegen sich nicht gerne. Also: so nah wie möglich an die Wasserfälle heranfahren, dann Fotos machen und dann zurück zum Auto und essen gehen. Das ist für die meisten der perfekte Ausflug.“

Präsident Nayib Bukele ist allgegenwärtig in El Salvador – hier als Figur einer Markthändlerin in Nahuizalco Foto: Adri Salido/Anadolu Agency/picture alliance

Dann hätten die Banden die ganze Zone übernommen. Die salvadorianischen Tou­ris­t:in­nen seien weggeblieben, weil es zu gefährlich gewesen sei. Aus­län­de­r:in­nen sollten her und das habe auch funktioniert, sagt Arévalo. Die Tou­ris­t:in­nen hätten ihn nicht während der Tour bezahlen können, sondern per Banküberweisung oder außerhalb des Parks, eher konspirativ. Sonst wäre das Geld weg gewesen, berichtet Arévalo. Doch jetzt könne man hier in Frieden arbeiten.

Arévalo zeigt auf eine Pflanze mit dem Namen Tarro. Wie Sterne stehen ihre Dornen vom Stamm ab. Sie sieht trocken und harmlos aus, doch wenn man sich an einer ihrer Dornen sticht, sei man innerhalb weniger Stunden tot. „Ein Tourist hat sich mal beim Hinsetzen gestochen, als er sich abstützte, und da war ein Dorn“, erzählt Arévalo so ruhig, dass man ihm Falle des Falles sein Leben anvertrauen würde. „Innerhalb der ersten Stunde hat man die Chance, das Gift herauszuholen. Es macht sich erst langsam durch die Blutbahn auf den Weg zum Herzen. Ich hab das gemacht und der Tourist hat überlebt.“

„El Imposible“ ist der größte Nationalpark El Salvadors, ein „tropischer Trockenwald“. Mehr als 5.000 Schmetterlingsarten, 53 Amphibien- und Reptilienarten, 285 Vogelarten, gut 100 Arten von Säugetieren und mehr als 500 Pflanzenarten gibt es hier. Die meisten Be­su­che­r:in­nen kämen aus Deutschland, sagt Arévalo, dann USA, Frankreich, Italien und Niederlande. Den ganzen Tag über sieht man keinen Menschen. Wie sieht es mit ­seinen früheren Schulkameraden aus? Haben sich welche einer Bande angeschlossen? Ja, sagt ­Arévalo. „Manche sind nun tot, manche im ­Gefängnis, manche spurlos verschwunden.“

Die Angst, im Gefängnis zu verschwinden

Davor hat auch Luis Marzo (Name geändert) Angst. Doch nicht, weil er einer Bande angehört hätte, sondern weil er gegen eine geplante Goldmine kämpft. Er lebt nahe der Stadt Juayua, wo es sieben Wasserfälle gibt. Die Regierung wolle den Goldabbau fördern, erzählt der 32-Jährige. „Hier sollen Minen entstehen. All die schönen Wasserfälle zum Beispiel würden dann zerstört. Die Bevölkerung ist dagegen.“ Alle seien in einer Hab-Acht-Stellung, sagt Marzo. „Wir haben Angst, festgenommen zu werden und in einem der Gefängnisse zu verschwinden.“ Da steht sie wieder im Raum, die Gefängnisdrohung: „Und da sind noch viele Plätze frei.“

Nach Marzos Worten könnten Bukele-Jünger – sei es ein Polizist, ein Soldat oder ein Nachbar – einen­ Vorwurf erfinden, zum Beispiel, dass man ein Bandenmitglied sei, und dann: ab in den Knast. Unter dem Ausnahmezustand, den die Regierung seit drei Jahren alle vier Wochen verlängert, dürfen Zeu­g:in­nen anonym bleiben. „Die Bukele-Fans hetzen auch in den sozialen Medien ­gegen die Menschen, die an Regierungsmaßnahmen konkret Kritik äußern. Dann folgt ein Shitstorm.“

Auf die Sache mit den Festnahmen hat der Polizist Pedro Ruiz (Name geändert) einen ganz anderen Blick. Früher habe die Polizei einen Menschen festnehmen können, wenn er eine Waffe trug, sagt Ruiz. Sie durfte ihm die Waffe abnehmen, musste aber den Menschen wieder freilassen. Ein paar Tage später sei dieser wieder aufgetaucht, mit einer neuen Waffe, und das ganze Spiel sei von vorne losgegangen. Heute könnten sie ihn festnehmen und er komme nicht mehr frei. Der Polizist findet das angemessen, denn es würden ja, so sieht er es, ausschließlich Bandenmitglieder festgenommen.

Ruiz macht mit seiner Frau und seinen Söhnen, elf, acht und drei Jahre alt, an diesem Sonntag gerade einen Ausflug zur Laguna Verde in der Nähe der Stadt Apaneca. Der Kratersee liegt auf 1.830 Meter Höhe und ist umrahmt von Pinien, Zypressen und Teichbinsen. Ruiz grüßt freundlich. Grüßen ist überall in El Salvador – außer in der Hauptstadt – normal. Man lächelt viel und wünscht sich einen wunderschönen Tag oder Ähnliches. Der 37-Jährige freut sich sichtlich, aus seinem Leben erzählen zu können. Er und seine Frau seien schon drauf und dran gewesen, nach Italien auszuwandern, wo ein großer Teil der Familie lebe. Der Grund: „Die Kriminalität, die Unsicherheit. Die Kinder konnten nicht draußen spielen. Früher war es so, dass man zum Beispiel in Santa Ana als Polizist bestimmte Stadtviertel gar nicht betreten konnte. Die sind bewacht worden von der herrschenden Bande. Wenn man trotzdem reinging, ist man nicht mehr lebend herausgekommen.“

Dann wurde Bukele Präsident, und die Situation habe sich total geändert. „Die Kinder sind jetzt außer Gefahr“, lobt Ruiz. „Und die Polizei ist heutzutage viel moderner, auch bei der Ausstattung. Wir haben viele Schulungen bekommen, zum Beispiel zum Thema Menschenrechte.“

Ruiz sagt, er habe erwartet, dass der neue Präsident wie seine Vorgänger korrupt sein würde, aber das sei nicht eingetreten. Er findet, dass alle staatlichen Einrichtungen jetzt gut funktionierten, zum Beispiel bei Stellenbewerbungen. Ein Bekannter habe gedacht, da er jemanden kenne, würde er genommen werden. Aber nein: Alle müssten sich nun ordentlich bewerben und würden nach Qualifikation eingestellt. Der Bekannte habe die Stelle nicht bekommen.

Eine Inszenierung, wie sie in El Salvador bekannt ist: Inhaftierte im berüchtigten Gefängnis CECOT, südöstlich von San Salvador Foto: El Salvador Presidency/Handout via picture alliance

Ruiz’ drei Söhne toben herum. Seine Frau hat sie permanent im Blick und beteiligt sich nur mit gelegentlichem Nicken am Gespräch. „Bei der Polizei gibt es eigentlich keine Korruption mehr“, sagt Ruiz. „Aber jeder macht mal einen Fehler, und so gibt es einzelne Menschen, die korrupt sind. Sie verlieren sofort ihre Stelle, wenn das herauskommt, und zwar nicht nur in der Polizei, sondern im öffentlichen Dienst allgemein. Ich würde also sofort entlassen werden. Doch von mir hängt so viel ab: meine Frau, meine Kinder, mein Haus. Es wäre völlig töricht, mein gutes Leben zu gefährden. Und so sehen das auch meine Kollegen.“

Als erstes Land Bitcoin als Staatswährung eingeführt

Mit seinem Vorgehen gegen die Banden, mit den Festnahmen und dem Ausnahmezustand versucht Präsident Bukele eine Kehrtwende hinzubekommen, die seinen Vorgängern nicht gelungen war. Doch das sind nur einige der Wände eines Kartenhauses. Die Bel Etage, mit der man richtig Einnahmen erzielen kann – in anderen Ländern die Rohstoffe oder die Ingenieurskunst –, soll in El Salvador der Bitcoin sein. Bukele hat alles auf diese Karte gesetzt.

Über sechs Millionen Sal­va­do­ria­ne­r:in­nen leben in ihrem Land und noch einmal drei Millionen im Ausland. Diese tragen mit ihren Überweisungen nach Hause erheblich zum Wohlstand – wenn man das so nennen mag – des Landes bei. Bukele wollte das gleich mehrfach nutzen. 2021 führte El Salvador als erstes Land überhaupt den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel ein, neben dem US-Dollar. Wenn nun die Sal­va­do­ria­ne­r:in­nen im Ausland in der Kryptowährung Überweisungen machen, sparen sie die Auslandsgebühr. Die Regierung gibt dazu keine Zahlen heraus, doch die Rechercheplattform „El Faro“ trug Zahlen zusammen, die den Schluss nahelegen, dass diese Möglichkeit kaum genutzt wird.

Anders sieht es mit dem Bitcoin als Geld­anlage aus. Polizist Ruiz berichtet, wie andere auch, dass seine Familienmitglieder in Italien und der Schweiz sich bereits mit Bitcoins eindecken würden. Sie würden auch viele Investitionen in El Salvador tätigen. Nun wollten sie ihre Häuser und Grundstücke hier auf Vordermann bringen um zurückzukehren. Und Bukele hatte noch einen Extrabonbon für sie: In seiner ersten Amtszeit ließ er das Wahlrecht ändern. Nun dürfen auch Sal­va­do­ria­ne­r:in­nen im Ausland ihre Stimme abgeben. Über Nacht kamen damit etwa fünfzig Prozent mehr Wahlberechtigte hinzu, und zwar solche, die ein Interesse daran haben könnten, dass der Bitcoin floriert, und die zumindest keine Angst haben müssen festgenommen zu werden.

Und schon 2021 verkündete Bukele auch seine Vision einer „Bitcoin City“, und zwar im Osten des Landes, am Fonseca-Golf. Dort befindet sich der Conchagua-Vulkan und dieser sollte mit seiner Wärmeenergie die Bitcoin City betreiben. Klingt verrückt? Ist es auch. Doch einige Familien ­konnten über die Pläne gar nicht lachen. Ihnen gehörte das Land, auf dem die neue Stadt gebaut werden sollte, und sie wurden mit sehr perfiden Methoden gezwungen, ihr Haus und Hof zu verkaufen – und das noch unter dem Marktpreis.

Eine luxuriöse Strandparty für die In­ves­to­r:in­nen

Auf der anderen Seite tat die Regierung alles für den schönen Schein, denn die In­ves­to­r:in­nen aus den USA und Europa sollten ihr Geld am Fonseca-Golf anlegen. Zunächst wurden sie zu einer luxuriösen Strandparty eingeladen, bei der die Pläne, eine Bitcoin City zu bauen, präsentiert wurden. In der geplanten Stadt sollte es weder Grundsteuer noch Kapitalertragsteuer geben. Luxusappartements für eine Viertelmillion Dollar sollten zu kaufen sein, elegante Hotelzimmer bereitstehen und natürlich sollte ein Flughafen gebaut werden. Bitcoin City sollte hauptsächlich finanziert werden durch die Gewinne der Transaktionen, welche die Regierung mit dem Bitcoin machen würde – sie wollte vom Auf und Ab der volatilen Kryptowährung profitieren.

Am Fonseca-Golf, im Hafen von La Unión, sitzt der Fährmann Rudolfo und wartet auf Ausflugsgäste. Unter seinen Kollegen ist er der Einzige, bei dem man die Bootstour mit Bitcoin bezahlen kann. Manche Tou­ris­t:in­nen würden das machen, sagt der 51-Jährige. Er nutze die Kryptowährung nicht nur als Zahlungsmittel, sondern habe auch in Bitcoin investiert. Unter den Fährleuten sei er auch damit der Einzige. Vergangene Saison habe er 1.600 Dollar gewonnen und 100 Dollar verloren. Derzeit habe er keine Bitcoins – Rudolfo zeigt sein Konto in der App –, da der Preis viel zu hoch sei.

Im Fonseca-Golf mit dem Conchagua-Vulkan im Hintergrund ist von der Bitcoin City noch nichts zu sehen. Die Surfer-Stadt El Zonte, weiter westlich, gilt als Bitcoin-Mekka, ist aber zu klein, um mit den Zahlungen der jungen Leute das Kartenhaus des Präsidenten zu stabilisieren. Zahlenmäßig zeugt nur das nahegelegene Berlin vom Aufbruch. In der 20.000-Einwohner:innen-Stadt nutzt ein Viertel der Bevölkerung den Bitcoin. Die Temperatur ist angenehm hier auf über 1.000 Meter Höhe, anders als die über 30 Grad überall in den tieferen Zonen des Landes. An vielen Läden und Restaurants klebt das Bitcoin-Zeichen.

Eine Cafébetreiberin berichtet, dass Kun­d:in­nen aus den USA, Kanada, Deutschland, Australien, Neuseeland, Irland, Argentinien, Italien, Frankreich, Indien, Spanien, Kolumbien und Panama bei ihr mit Bitcoin bezahlt hätten. „Es gab eine erste App, die ‚Chivo Wallet‘, die hat aber nicht gut funktioniert.“ „Chivo“ ist umgangssprachlich für „cool“. So wie sich eben auch Bukele als „coolster Diktator der Welt“ bezeichnet. Vielleicht ist das Scheitern der coolen App ein Vorbote. Die Café­betreiberin zeigt die neue App, die funktioniere. „Es gibt in Berlin Hotels und Hostels, die ausschließlich Bitcoin akzeptieren. Wenn man in einer Stadt überall mit Bitcoin bezahlen kann, dann werden zusätzlich diejenigen Touristen angelockt, die das machen wollen. Dadurch werden weitere Bitcoins ins System gespült.“ Diesen Zusammenhang hat sie im Bitcoin-Informationszentrum in Berlin gelernt, dem Ort, wo sich auch lokale Unternehmen Unterstützung holen und Bitcoin-Nerds Geschäfts­ideen entwickeln können.

Und diese Bitcoin-Community musste vermutlich schlucken, als das salvadorianische Parlament im Januar kleinlaut das Ende des Bitcoin als offizieller Währung beschloss. Der Internationale Währungsfonds hatte einen zwei Jahre dauernden Kampf gewonnen. El Salvador will einen Kredit von 1,4 Milliarden US-Dollar. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sorgte sich um die Finanzstabilität und den Verbraucherschutz. Kri­ti­ke­r:in­nen hatten beklagt, Geld könne mit dem Bitcoin zu einfach gewaschen werden. Der IWF forderte, dass die Liquiditätsreserven der Banken erhöht werden, dass es freiwillig sein soll, den Bitcoin zu verwenden, und dass die Regierung ihre Ausgaben reduziere. Zudem solle sie ihre Entscheidungen transparenter machen. Das klingt nach einer Ohrfeige.

Damit könnte der IWF erreicht haben, was Men­schen­recht­le­r:in­nen und andere bisher nicht schafften: das Kartenhaus des „coolsten Diktators der Welt“ zum Einsturz zu bringen. Derzeit ist El Salvador ein Land auf Bitcoins Schneide.

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9 Kommentare

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  • Unser liberaler demokratischer Rechtsstaat funktioniert nur deshalb, weil die meisten Menschen hier sich von sich aus an die Gesetze halten, weil sie sie für gerecht und vernünftig halten und weil sie gut von liebevollen Eltern erzogen wurden.



    Wenn aber eine hinreichend starke Minderheit im Klima der Gewalt aufgewachsen ist, die Polizei nur als (eine von mehreren) gegnerische(n) Bande(n) ansieht, lieber von Raub und Erpressung als von hartenär Arbeit leben möchte, dann kommt die Gegenreaktion der Bürger:



    Sie wählen einen robusten Polizeichef statt eines Sozialarbeiters an die Macht.

  • Accusata et Scusata. Klar ist es grausam soviele Menschen wegzusperren, schaut man sich aber die Mordrate vorher an, war El Salvador de facto im Bürgerkrieg. Jetzt ist die Mordrate nahe an mitteleuropäischen Levels. Wie der Artikel zeigt geht es vielen Menschen besser. Klar muss sich zeigen was aus der Bitcoin Wirtschaftspolitik wird, man muss jene Menschen aus den Gefängnissen holen die unschuldig sind und der Ausnahmezustand muss aufgehoben werden. Aber es lässt sich leicht über die Rechte vermeintlicher Krimineller reden im warmen und sicheren Deutschland.

    • @Machiavelli:

      Der Vergleich aus Herrschaftsform und Kriminalität ist irreführend. Mord und Vergewaltigung sind in Nordkorea z.B. nahezu null, das können wir aber nicht als Vorbild nehmen weil a) mit Sicherheit die Zahlen gefälscht sind und b) dort eine Diktatur herrscht.

      Entsprechend vorsichtig sollten wir den Führungsstil in El Salvador loben.

      • @Troll Eulenspiegel:

        Das Bedürfnis nach Überleben kommt aber vor dem Bedürfnis nach politischer Partizipation.

        Nur weil man ein Regime nicht verurteilt, heißt das nicht, dass man es lobt.

        Dass es den Menschen besser geht und Mordrate und Kriminalität deutlich gesunken sind, wird im Artikel als sachliche Tatsache beschrieben

        • @rero:

          Zum Preis von was? In El Salvador werden mittlerweise auch Totgeburten als Abtreibung angesehen, die Frau muss dafür jahre- bis jahrzehnte lang ins Gefängnis.

          Tolle Priorität! Aber nein, menschenrechtsverachtend.

          • @Troll Eulenspiegel:

            Dass Menschen, die Angst haben, zu autoritären Führern tendieren und Menschen-und Freiheitsrechte dabei auf der Strecke bleiben, ist doch nichts Neues.

            Ich sitze warm, trocken und sicher.

            Ich kann mich mit dem Verurteilen zurückhalten

            Lob wird daraus nicht.

  • Wenn er gewählt wurde, wieso ist er dann diktator?



    Ansonsten scheint es ja funktioniert zu haben die Bandenkriminalität einzudämmen.



    Die Situation in El Salvador war so verheerend, dass nur drastische Maßnahmen etwas verbessern konmte.



    Mit singender Korruption funktioniert auch das Rechtssystem besser und die die wirklich unschuldig im Gefängnis sitzen können vielleicht auf einen fairen Prozess hoffen.

    • @Jesus:

      Putin wurde auch gewählt, nur mal so. Ein Diktator ist er trotzdem. Und: "faire Prozesse"? Ernsthaft? Wenn Menschen ohne begründeten Verdacht weggesperrt, teilweise buchstäblich gekidnappt werden, werden - wie es in den USA die Behörde ICE gerade demonstriert - hat das nichts mit einem funktionierenden Rechtssystem zu tun. Es ist Willkür.

  • Ach, sieh einer an. Wieder beweist ein Präsident in seinem Land, dass der Kapitalismus in seiner ungezügelten Form nichts weiter als eine Diktatur ist. Muss er wohl von Präsidenten aus Chile, Singapur, Argentinien, (beinahe) Südkorea und jetzt den USA gelernt haben. Natürlich ist es naheliegend, dass Bukele und Trump da dicke Freunde sind und die Abschiebung aus den USA nicht zufällig ist.

    Der "coolste Diktator der Welt" privatisierte vor nicht allzu langer Zeit Wasser in seinem Land, womit der Zugang zu Trinkwasser nun eingeschränkt ist. Auch wurden Schwangerschaftsabbrüche verstärkt kriminalisiert. Von seinen einst linken Ideologien hat er sich mittlerweile weit entfernt.

    So ist er nunmal, der "Trumpito", wie er von der Bevölkerung liebevoll genannt wird. Der merkt garnicht, dass er sein Land und seine Bewohner mit Bitcoins und Trump-Fanatismus in den Ruin treibt.