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Bremen kürzt Budget fürs Wohnen

Mietzuschüsse für begehrte Stadtteile sollte Sozialhilfeempfängern das Wohnen auch dort ermöglichen. Nicht rechtens, sagen Gerichte; nicht nötig, sagt eine Studie

Beliebtes Quartier und entsprechend teurer: Ostertorviertel in Bremen Foto: Schöning/imago

Von Lotta Drügemöller

Wer Sozialhilfe bekommt, dürfte es in Bremen ab sofort noch schwerer haben, eine neue Wohnung zu finden: Viele Wohnungen, deren Miete bisher noch vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen wird, gelten bald als zu teuer. Denn ein Instrument, das zur besseren Durchmischung der Stadt beitragen sollte, wurde von Gerichten abgelehnt, – und wird vom rot-rot-grünen Senat nun abgeschafft.

Sozialhilfe- und Bürgergeldempfänger*innen, bekommen auch ihre Mieten erstattet – zumindest in „angemessenem Rahmen“. Alle paar Jahre müssen Städte neu definieren, was so ein „angemessener Rahmen ist“. Auch Bremen hat vergangene Woche seine „Angemessenheitswerte“ angepasst – und sie dabei angesichts steigender Mieten faktisch gekürzt.

Auf den ersten Blick wirken die Veränderungen klein: Abgesehen von großen Haushalten mit sechs oder mehr Personen, die demnächst einen deutlich höheren Mietrahmen ausschöpfen dürfen (plus 108 Euro), wurden die Richtwerte nur ganz geringfügig heraufgesetzt. Ein Ein-Personenhaushalt etwa bekommt künftig 428 Euro für seine Kaltmiete ersetzt – zwei Euro mehr, als bisher. Bei Zwei-Personen-Haushalten gibt es einen Euro mehr als bisher.

Ermittelt wurden die neuen Richtwerte in einem Gutachten der Bochumer Inwis; das Institut ist auf Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung spezialisiert. Zurückgreifen konnten die Gutachter dafür auf den neuen Bremer Mietspiegel – das Instrument zum Vergleich der Miethöhen wurde für Bremen erst 2024 eingeführt.

Zusammen mit der Anpassung der Angemessenheitswerte hat der Senat eine Sonderregel abgeschafft: Bisher nämlich gab es in bestimmten Stadtteilen Ausnahmen von der Angemessenheitsregel: Dort, wo weniger als 15 Prozent der Haushalte Sozialhilfe bekommen, konnten auch höhere Mieten übernommen werden: In Mitte, der Neustadt, in Obervieland, der Östlichen Vorstadt, in Schwachhausen, Horn-Lehe, Oberneuland, Hemelingen und Findorff war es möglich eine Wohnung auch dann zu beziehen, wenn sie bis zu zwölf Prozent teurer ist, als die Richtwerte das vorsehen; so soll sichergestellt werden, dass auch So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen dort eine Wohnung bekommen können.

Doch diese Praxis glaubt, das Sozialressort nicht mehr fortführen zu können und verweist dabei auf einige Gerichtsurteile. Das Bundessozialgericht hatte 2019 entschieden, dass „unterschiedliche Angemessenheitswerte innerhalb eines Vergleichsraums“ kein Konzept begründen dürften; das Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen bewertete die Bremer Stadtteil-Zuschläge 2022 als „unschlüssig“. Der Senat sieht seine Hände gebunden.

Zwar gilt für bestehende Mietverträge Bestandsschutz. Der Bremer Erwerbslosenverband sorgt sich aber um die Zukunft. „Es ist nicht nur Sozialabbau, was das von SPD-Sozialsenatorin Schilling geführte Sozialressort hier beschlossen hat“, sagt Tobias Helfst vom Erwerbslosenverband. „Es ist ein Skandal: Arme und Erwerbslose werden so auch im Wortsinne an den Rand gedrängt, an den Stadtrand. So zementiert das Sozialressort Ghettobildung.“

Genau das versucht das Gutachten von Inwis zu widerlegen. In seiner Analyse kommt der Wirtschaftswissenschaftler Michael Neitzel zum Fazit: Es gibt in Bremen überhaupt kein Problem, eine günstige Wohnung zu bekommen. 65,2 Prozent der Wohnungen lägen ohnehin im Rahmen dessen, was das Jobcenter bezahlt. Dabei brauchen nur 32,4 Prozent der Menschen als Leis­tungs­emp­fän­ge­r*in­nen eine solche Wohnung.

Unterschiede innerhalb der Stadt sieht die Studie zwar und durchaus große. Aber selbst in Bremen-Mitte, wo es laut dem Gutachten am wenigsten erschwinglichen Wohnraum gibt, kommen noch 24 Prozent der Wohnungen für So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen in Frage. Von einer „Ghettoisierung“ von So­zi­al­hil­fe­emp­fän­ge­r*in­nen in wenigen billigen Stadtteilen könne keine Rede sein – zumindest nicht aufgrund der Mietkosten.

Das Gutachten konzentriert sich in seiner Bewertung auf die geringen Bestandsmieten

„Die Angemessenheitsgrenzen in Bremen“, schließt die Studie, „sind als sehr hoch einzustufen“. Das Gutachten hat dem Senat damit freie Bahn gegeben, den von Gerichten kritisierten Wohnlagenzuschlag abzuschaffen.

Doch das Ergebnis widerspricht Erfahrungswerten zu steigenden Mieten in Bremen. Eine kurze Online-Recherche etwa bei Immobilienscout liefert nur eine Handvoll Wohnungen, die innerhalb der Angemessenheitsgrenzen liegen – allerdings tatsächlich verteilt über unterschiedlich situierte Stadtteile.

Das Gutachten konzentriert sich in seiner Bewertung stark auf den Mietspiegel – und damit auf Bestandsmieten. Dass „Angebotsmieten“, also für Wohnungen, die aktuell zu haben sind, höher sind, wird zwar bei der Berechnung der neuen Richtwerte berücksichtigt, in der Argumentation gegen Mietzuschüsse spielt es aber keine Rolle – dort wird ausschließlich mit den günstigen Bestandswohnungen argumentiert.

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