Tiktok-Trend „Skinny Girl Mindset“: Die Skinny Girls rufen zum nächsten Schlankheitswahn
Schon wieder soll man dünn sein, diesmal angeblich ohne Essverbote und dank der richtigen Lebenseinstellung. Manche feiern das als Empowerment.

Kaum erholt sich die Millennial-Generation von jahrzehntelanger Diätkultur und Lowrise-Jeans-Traumata, klopft der Dünnheitswahn wieder an. Allerdings ohne Weight Watchers und Kalorientabelle. Heute heißt es: „Wenn du ein Skinny Girl sein willst, dann denke wie ein Skinny Girl.“ Unsere Lebenseinstellung macht uns also schlank und rank. Zumindest, wenn man den Dünnen, den Skinny Girls, auf Tiktok glaubt.
Das „Skinny Girl Mindset“ oder auch „Skinny Tok“ ist ein Trend, bei dem vornehmlich junge Frauen von ihrer Reise zum Idealkörper erzählen. Oder bei dem die, die es bereits geschafft haben, Tipps und Routinen teilen. Essenziell ist dabei eine neue Mentalität: Keine großen Verbote mehr rund ums Essen.
Es soll reichen, überschaubare Portionen zu essen, und ein Stück Sahnetorte kann man auch gut teilen. Wichtig sei, emotionales Essen, sei es aus Frust oder sozialer Laune, zu überwinden und eine gesunde Beziehung zum Essen zu entwickeln. Sport ist optional möglich – vor allem Laufbänder fürs Eigenheim boomen –, dennoch: Das Skinny Girl Mindset verkauft Schlankheit nicht als Ergebnis von Sport oder Ernährung, sondern als Lebenseinstellung.
Dünnsein ist eine Frage des Wollens. Und wer es wirklich will, lässt sich auf Tiktok anfeuern: „Belohn dich nicht mit Essen, du bist kein Hund. Dein Highlight des Tages kann nicht Essen sein, such dir ein Leben!“ Sie nennen es Empowerment.
Warnung vor Essstörungen
Kritiker*innen warnen vor einer neuen Generation Essgestörter. Mögliche Folgen unrealistischer Schönheitsideale und Körpervergleiche sind ja bekannt. Befürworter*innen des Trends, auch solche, die nach eigener Aussage selbst mit Magersucht oder Bulimie zu kämpfen hatten, finden den Content, der aktuell die Feeds unzähliger junger Frauen flutet, unproblematisch.
Abnehmen führe nicht automatisch in ein suchtgestörtes Verhalten. Dafür brauche es psychologische und emotionale Ursachen, erklären sie. Sich nicht grundlos den Wanst vollzuschlagen, sei nicht toxisch, sondern gesund. Außerdem sterben statistisch mehr Menschen an Übergewicht und den Folgen von übermäßigem Zuckerkonsum als an Mangelernährung. Und überhaupt: „Mein Körper, meine Entscheidung“, so der finale Punkt der Argumentationskette.
Gesellschaft hasst dicke Körper
Den Wunsch, dünn sein zu wollen, stellt aber eigentlich niemand ernsthaft in Frage: Es ist, wenngleich nicht für alle erstrebenswert, für alle nachvollziehbar. Die Gesellschaft hasst dicke Körper, besonders die der Frauen. Body Positivity war auch nichts anderes als ein schnelllebiger Trend.
Einen strukturellen Wandel hat es in Bezug auf Körperbilder und Inklusivität nie gegeben. Die Rückkehr zum Schlankheitswahn fällt leicht. Besonders, wenn die Laufstegmode wieder mit Size Zero liebäugelt und Abnehmspritzen bereits Normalität geworden sind. Eine Sache scheint die neue Abnehmwelle von den bisherigen allerdings zu unterscheiden. Viele Skinny Girls beziehen sich immer wieder auf die Zeit während und nach der Pandemie, die nicht nur emotionale Spuren hinterlassen, sondern auch ihren Körper verändert hat.
Routinen, vor allem beim Essen, geben ihnen ein Gefühl der Sicherheit, Stabilität und Kontrolle über das eigene Leben. Wie problematisch der Trend wirklich ist, wissen wir spätestens diesen Sommer, wenn die Skinny-Girl-Armee zeigt, was sie erreicht hat.
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