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Von Abstiegs­angst bis Zuwan­derungs­rekord

Als Künstlerin ordnet Käthe Kruse die Welt. Nun ist eine große Werkschau des ehemaligen Mitglieds der Gruppe „Die tödliche Doris“ in der Berlinischen Galerie zu sehen

Ein Schlagzeug in Lederbezug von Künstlerin und Musikerin Käthe Kruse Foto: Jens Ziehe, VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Von Jenni Zylka

Wenn stimmt, was Wolf Vostell 1961 formuliert, nämlich „Kunst ist Leben, Leben ist Kunst“; wenn zudem stimmt, was der Volksmund seit jeher weiß, nämlich „Ordnung ist das halbe Leben“ – ist Ordnung dann nicht auch Kunst? Und umgekehrt?

In der Kunst Käthe Kruses, der die Berlinische Galerie unter dem Titel „Jetzt ist alles gut“ eine Werkschau widmet, berühren sich diese Bereiche. Sie werden evaluiert, kategorisiert, nummeriert – und neu strukturiert: Bereits Kruses erste eigenständige Arbeit nach sieben Jahren mit der Künstlergruppe „Die tödliche Doris“, gegründet 1980 von Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen, beschäftigt sich mit dem Ordnen. „Der geregelte Zustand“ von 1986 „regelt“ eine Sammlung von Automatenfotos, die Müller und Utermöhlen einst fanden. Auf 30 mit der Schreibmaschine vollgeschriebenen Blättern werden verwaschene Kopien der Fotos einer hochkomplizierten, absichtlich nebulös formulierten „Überordnung“ aus Seriennummern, Gruppen und Beschreibungen zugewiesen: „Serie 17, Nr. 3, Gruppe A, zwei Frauen sitzen auf einem Tisch, schauen in eine Karte. Ich kann Teile ihrer Körper sehen: zwei Beine, eine Hand und zwei Köpfe.“ Die sachlichen Schilderungen erinnern an eine Auktion, doch im gleichen Ton werden in den eng getippten Zeilen Rückschlüsse eingestreut: „Ich glaube die Frauen wollen einen Ort auf der Welt finden, an dem sie ihre Ferien verbringen können. Das wird immer schwieriger. Kennst du einen Platz, an dem noch Frieden herrscht, und keine Kontamination?“

Jenes Ordnen, das Käthe Kruse mit Farben, mit Garn, selbst mit Worten betreibt, wie in ihrer großartigen Serie „Von Abstiegsangst bis Zuwanderungsrekord“, die Worte aus Schlagzeilen zwischen 2015 und 2020 erschienener Tageszeitungen zu alphabetischen „Wörterbildern“ zusammenfügt, ist dabei stets politisch: Dadurch, dass die Worte aus einem Zusammenhang herausgenommen und in einen neuen überführt wurden, kommt ihre eigentliche Bedeutung zutage. Sie belegen den Anstieg von rechtsradikalen Haltungen und Ereignissen in der Gesellschaft, die sich naturgemäß in Schlagzeilen spiegelt. „Drohungen, Diktatur, Dramatik“ liest man auf einem Bild, „Todeszone, Trauma, Terrorattacke“ auf einem anderen.

Für die Schau hat Kruse siebzehn Wörterbilder gehängt, jedes repräsentiert einen Buchstaben. Fügt man sie zusammen, liest man die Frage, die man einer Gesellschaft ebenso stellen kann wie seinem Gegenüber: „Wie geht es dir jetzt“ – und eine weitere „Überordnung“ ist entstanden. Kruses Ordnung, ihr Regeln hat Kreativität erschaffen. Und die Antwort auf ihre Frage ist der Name der Ausstellung.

Mit „Die tödliche Doris“ hatte Kruse sich immer wieder auch akustischer Kunst gewidmet

Im Kataloginterview spricht Kruse von ihrer Bewunderung für die Konzeptkünstlerin Hanne Darboven. Im Vergleich mit deren penibel-manischen Ziffernbildern sind Kruses Arbeiten jedoch – trotz und wegen der politischen Ebene – hoffnungsvoller, humorvoller. Als 1958 geborene Ex-Hausbesetzerin und Wahlberlinerin brechen sich in ihrem Werk auch Popkultur und Feminismus Bahn – davon zeugen Beschäftigung mit „hauswirtschaftlichen“ und damit traditionell weibliche besetzten Materialien (Knüpfteppiche, Nähgarne). Vor allem mit der auch als Bandkollektiv funktionierenden „Die tödliche Doris“ hatte Kruse sich immer wieder akustischer Kunst gewidmet. Die Vinylplatte als Medium, das nicht nur Kunst wiedergibt, sondern Kunst ist, zieht sich durch ihre Arbeiten: In der Berlinischen Galerie sind sechs Kofferplattenspieler zu sehen, auf denen mit Ölfarbe bemalte Scheiben liegen – Kruse hat die Platten mit dem klassischsten aller Künstlerwergzeuge, der Farbe, unhörbar gemacht. „Die tödliche Doris“ kreierte bereits Mitte der 80er eine „imaginäre“ Platte, die nur entsteht, wenn man zwei Platten der Gruppe gleichzeitig hört – diese Arbeit ist ebenfalls zu sehen. Die mit Leder bezogenen Instrumente, zu denen neben Kruses Schlagzeug eine Gitarre, ein Bass, eine Geige und eine Klarinette gehören und auf denen Kruse zuweilen gemeinsam mit ihren Töchtern performt, treiben die Unhörbarkeit auf die Spitze: Man kann sie noch spielen, doch sie sind fast stumm.

Um den Urheberkomplex aufzubereiten, ist am Anfang der Ausstellung der Film „Der Vertrag“ von 2013 zu sehen: Nackt sitzt Kruse an einem Tisch und liest eine Vereinbarung vor, die den Umgang der Gruppenmitglieder der „tödlichen Doris“ mit den gemeinsamen Werken regelt. Auch das Zeigen gemeinsamer Kunst in einer Käthe Kruse-Soloschau hat also seine Ordnung – ein Glück.

Käthe Kruse:„Jetzt ist alles gut“. Berlinische Galerie, bis 16. Juni

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