: Der dunkle Königsmacher
Seit seiner Amtseinführung betreibt Donald Trump mit seinem Erfüllungsgehilfen Elon Musk den Umbau der US-amerikanischen Demokratie zu einer Techno-Monarchie. Deren Vordenker ist der neoreaktionäre Blogger Curtis Yarvin

Von Sebastian Moll
Es dauerte eine gute Woche, nachdem Trump ins Weiße Haus eingezogen war, bis sich der ansonsten ungemein produktive Curtis Yarvin auf seinem Substack-Blog Gray Mirror zu Wort meldete. Doch als Yarvin in die Tasten griff, strömte die Euphorie nur so aus ihm heraus. „Trump 47 ist nicht Trump 45“, jubelte er. „Er zupft nicht an ein paar Fäden des Gordischen Knotens, der zwischen ihm und der Ausübung seiner Exekutivgewalt steht. Er reißt riesige Stücke heraus.“ Die moralische Energie der Exekutive, schrieb Yarvin weiter, sei plötzlich um ein vielfaches Größer als die des administrativen und sogar des judikativen Zweiges der Regierung.
Worauf Yarvin selbstverständlich so freudig reagierte, war die Flut an Anordnungen, mit der Trump und sein ungewählter Regierungspartner Musk daran gingen, den Staatsapparat zu demontieren. Das hatte Yarvin Trump nicht zugetraut. Noch im Jahr 2021 hatte Yarvin dem ultrakonservativen Essayisten Michael Anton, der seinerseits am 25. Januar 2025 zum politischen Planungsdirektor von Trump ernannt wurde, ein langes Interview gegeben. Darin bezeichnete Yarvin Trump als „miserablen CEO“, der es kaum geschafft habe, die kleine Kamarilla um sich herum im Zaum zu halten. Was das Land hingegen an seiner Spitze brauche, sei ein Macher, einer, der aus dem Nichts etwas schafft. So jemanden wie Musk eben.
Nun hat Yarvin beides: Musk und einen vor Kraft strotzenden Trump, der nicht davor zurückschreckt, sich König zu nennen, an der Spitze der Macht in den USA. Es ist, als seien alle Träume in Erfüllung gegangen, die Yarvin je gehegt hat. Die New York Times nannte kürzlich Yarvin „Amerikas berühmtesten Monarchisten“ und führte mit ihm ein langes Interview, in dem er, trotz oft geäußerter Verachtung für die Times, geduldig die Grundzüge seiner politischen Philosophie erläuterte.
Es ist eine Philosophie, die er ausformuliert, seit er im Jahr 2008 einen Blog-Post mit dem Titel „Wie ich lernte, die Demokratie zu hassen“ schrieb. Die Philosophie gipfelt in einer Form der autoritären Machtübernahme, die er selbst „Caesarismus“ nennt, die von Kommentatoren aber treffender als eine Art von Silicon-Valley-Diktatur beschrieben wird. Und das, was Yarvin da seit vielen Jahren beschreibt, ist der US-amerikanischen Realität dieser Tage auf gespenstische Art und Weise ähnlich.
Yarvin bezeichnet den bisherigen US-amerikanischen Status quo als eine „theokratische Oligarchie“, als eine Herrschaft prestigeträchtiger Institutionen, die er auch „die Kathedrale“ nennt. Dazu zählte er, lange bevor Trump begann, gegen die „Eliten“ zu wettern, liberale Medien wie die New York Times und den Club von Eliteuniversitäten, die eine Kaste mit einem ganz bestimmten Weltbild hervorbringen. Dieser Kreis der Mächtigen, so Yarvin, beschreibe trügerisch das Amerika, das sie beherrschen, als Demokratie.
Es ist kein gänzlich originelles Bild des amerikanischen gesellschaftlichen Systems, das Yarvin da zeichnet. Sein intellektueller Urvater Angelo Codevilla beklagte bereits in den 80er Jahren ein linksliberales politisches Establishment, welches die Macht des amerikanischen Militärs einzuschränken suche. Später weitete Codevilla seine Kritik der in Harvard und Yale ausgebildeten liberalen Eliten auf die gesamte amerikanische Gesellschaft aus und beklagte deren Deutungshoheit über das, was in Amerika als gut und böse, falsch und richtig gelte. Jeder, der nicht aus dieser Kaste stamme und nicht diese Werte teile, werde ausgegrenzt, also die ganze Masse der ungebildeten, von Hilary Clinton als „Deplorables“ Bezeichneten, die, wie Yarvin einmal sagte, Trump wie einen „Scheck über eine Billion Dollar vom Bürgersteig aufgelesen hat.“
Für Yarvin kam zu der Kritik dieses Kastensystems die Kritik an der Verkalkung und Ineffizienz des politischen Apparats unter diesem vermeintlich oligarchischen System. Die Unfähigkeit Washingtons, Probleme zu lösen, mache einen Systemwechsel geradezu notwendig. Und im Bild der aristotelischen Staatslehre gebe es nur zwei Alternativen zur Oligarchie – Monarchie und Demokratie. Echte Demokratie in seinem Sinn, von den liberalen Eliten als Populismus diskreditiert, habe sich unter der ersten Trump-Regierung jedoch auch nicht als besonders effektiv herausgestellt.
So glaubt Yarvin schon lange an eine Art von Monarchie, eine zentralisierte Herrschaft eines kompetenten Führers, am besten aus dem Silicon Valley. Eine Idee, die er ganz direkt von einem weiteren Mentor, dem austro-amerikanischen Anarcho-Kapitalisten Hans-Hermann Hoppe bezieht. Hoppe hatte in seinem Buch von 2001, „Demokratie: Der gescheiterte Gott“, ganz explizit eine neomonarchistische Staatsform gefordert. Doch noch vor drei Jahren glaubte Yarvin nicht daran, dass ein Systemwandel so schnell passieren könne. „Es gibt einfach kein Machtvakuum.“ Die theokratische Oligarchie der liberalen Eliten, glaubt er, werde wohl noch Jahrzehnte andauern.
Nun ist Yarvin ganz aus dem Häuschen, dass es doch so schnell geht. Dabei hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass nur anderthalb Monate nach der Regierungsübernahme Trumps alles danach aussieht, als befänden wir uns mitten in einem Übergang zwischen einer wenigstens noch nominell funktionierenden Demokratie zu einer Techno-Monarchie. Seit mehr als zehn Jahren hat Yarvin Schritt für Schritt den Plan für Gleichschaltung und Machtübernahme aufgezeichnet. Und man hat ihn aufmerksam gelesen. Peter Thiel gehört zu seinen Förderern, Elon Musk ist mit seiner Arbeit wohl vertraut. Seine Gedanken haben sich in einer neuen intellektuellen Bewegung, die sich das „Dark Enlightenment“ – die dunkle Aufklärung – nennt, verbreitet, unter anderem in einem populären Finanzblog namens Zero Hedge. Und es ist kein Zufall, dass Yarvin als Ehrengast zu Trumps Inauguration in Washington eingeladen war.
Schon vor 13 Jahren schrieb Yarvin von einer Strategie namens RAGE, Akronym für „Retire All Government Employees“ – schickt alle Regierungsangestellten in den Ruhestand. Mit überwältigender Geschwindigkeit müsste der neue Monarch in den ersten Wochen seiner Amtsübernahme den kompletten Regierungsapparat aushöhlen und gleichschalten. Yarvin sprach unverhohlen von der Notwendigkeit einer Notstandsregierung, das historische Vorbild ist in Deutschland wohlbekannt. Dabei Gerichtsurteile einfach zu ignorieren, hält Yarvin für zielführend und gerechtfertigt.
Trump und Musk halten sich zwar vorerst noch an gerichtliche Versuche, ihre Initiativen zu stoppen. Doch es ist gegenwärtig nicht klar, welche Konsequenzen es hätte, wenn sie das nicht täten. Und dass Trump sich selbst bereits als König bezeichnet, deutet daraufhin, dass er zumindest schon einmal etwas von der neomonarchistischen Ideologie gehört hat, in deren Verwirklichung er nun eine Hauptrolle spielt.
Das Ziel des Coups ist laut Yarvin die Überführung in ein besseres Regierungssystem für alle Bürger, besser, weil kompetenter. Er sieht es als freudvolle Revolution und ist fest davon überzeugt, dass die Bürger ihrem neuen Herrscher zujubeln werden, wenn sie erst sehen, welches Glück er ihnen bringt.
Davon sind die USA freilich noch weit entfernt. Ein Großteil der Bevölkerung versucht noch zu verstehen, was ihnen da mit rasender Geschwindigkeit widerfährt. Und statt einer glänzenden Techno-Monarchie sehen sie kollidierende Flugzeuge nach dem Aushöhlen der Flugbehörde, kollabierende Infrastruktur, verseuchte Flüsse und verpestete Luft und Massenarmut. Dass Musk all das mit Algorithmen und Apps lösen kann, erscheint derzeit eher utopisch.
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