: Die Madonna und der Autokrat
Giorgia Meloni hat beste Kontakte zu US-Präsident Donald Trump – und fährt zugleich einen klaren Pro-Ukraine-Kurs. Ist Italiens Ministerpräsidentin der Rettungsanker für den alten Westen, der zu zerbrechen droht?

Aus Rom Michael Braun
Was waren das für schöne Zeiten: Damals Mitte Juni 2024 auf dem G7-Gipfel im süditalienischen Apulien. Als Weltenlenkerin konnte Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni dort erscheinen. Auf dem Gruppenfoto wurde sie eingerahmt von US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, daneben stand der Brite Richi Sunak, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Kanzler Olaf Scholz, der Kanadier Justin Trudeau. Alle lächelten in die Kamera.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reiste als Ehrengast an. Großes Lob gab es damals für Italiens Ministerpräsidentin von den USA für die „standhafte Unterstützung der Ukraine durch Italien“. Und Meloni durfte für sich bilanzieren, dass ihr die Quadratur des Kreises gelungen war, dass sie, die radikal rechte Politikerin, weltweite Anerkennung erfuhr.
Gerade einmal neun Monate sind seit jenem Gipfel vergangen. Das Foto wirkt jetzt merkwürdig vergilbt. Vergilbt vor allem, weil seit dem 20. Januar 2025 nicht mehr Joe Biden im Weißen Haus sitzt, sondern Donald Trump die Macht übernommen hat – und weil er in nur wenigen Wochen die Karten der Weltpolitik völlig neu gemischt hat.
Dabei hatte Meloni seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 hart daran gearbeitet, sich den Ruf einer international zuverlässigen Politikerin zu erwerben. In der EU hatte Italien unter ihr nicht nur vertragstreu gewirkt, vor allem in der Fiskalpolitik, sondern Meloni war es auch gelungen, eine enge Beziehung zu EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zu pflegen. Mehrfach ging sie mit ihr auf Reisen, nach Tunis, nach Kairo, nach Lampedusa. Immer ging es um die Flüchtlingspolitik – und Meloni konnte die Kommissionspräsidentin als Verbündete für den harten und restriktiven italienischen Migrationskurs gewinnen. Der Einsatz zahlte sich aus. Als sich im November 2024 die neue EU-Kommission formierte, setzte Italien Raffaele Fitto, Kandidat aus Melonis Partei Fratelli d’Italia, als Exekutiv-Vizepräsidenten durch.
Genauso rund lief es auch bei den transatlantischen Beziehungen. Nahezu ikonisch ist das Foto von Melonis Besuch im Weißen Haus im März 2024, als der Gastgeber der anscheinend glücklich lächelnden Meloni einen Kuss auf die Stirn drückt. Ihr Ansehen bei Joe Biden hatte sie sich vor allem dadurch erworben, dass sie in EU und Nato nicht die Störerin nach dem Vorbild Viktor Orbáns gab. Vielmehr war sie bei der Unterstützung der Ukraine, bei Sanktionen gegen Russland genauso wie bei Waffenlieferungen an Kyjiw, immer dabei.
Doch das zählt heute nicht mehr. Die Ukraine? Für Donald Trump ein Land, das von einem Mann – Selenskyj – regiert wird, den er nirgends als Ehrengast sehen will, sondern lieber hochkant aus dem Oval Office wirft. Die Nato? Ein Verein, für den die USA nicht mehr zahlen wollen. Die EU? Ein Klub, der bloß gegründet wurde, um die USA übers Ohr zu hauen, „formed in order to screw the United States“, wie es Trump formulierte.
Melonis Kunstgriff der Quadratur des Kreises hat sich damit wohl erledigt. Dabei kennt sich die rechte Politikerin doch bestens mit diesem Instrumentenkasten aus. Auch in den Jahren, in denen die Postfaschistin sich zur seriösen Staatsfrau aufbaute, galt immer zugleich die umgekehrte Übung. Es lag ihr viel daran, ihren alten Vorlieben, ihren alten Freundschaften treu zu bleiben.
Meloni fuhr in den Jahren 2019 und 2022 zu den CPAC-Konferenzen in den USA, auf denen sich Trumps MAGA-Fans treffen. In den Jahren 2023 und 2024 entsandte sie Delegationen ihrer Partei. An ihrer ideologischen Nähe zu Trump ließ sie nie auch nur einen Zweifel aufkommen, verkniff sich zum Beispiel am 6. Januar 2021, dem Tag des Sturms auf das Kapitol, jede Kritik an ihm. Vielmehr lobte sie Trump dafür, dass er sich für ein Ende der Gewalt eingesetzt hätte.
Schon im Februar 2020, als Gast auf dem National Prayer Breakfast, hatte sie unterstrichen, dass Trump „ein Modell“ sei. Er stehe genau wie sie für „Gott, Vaterland, Familie“, für die „Verteidigung der Identität, der Grenzen, der amerikanischen Familie“. Die Nähe zahlte sich bei Trumps Wiederwahl aus. Am 5. Januar 2025 kam sie zu einem Überraschungsbesuch nach Mar-a-Lago, Trumps luxuriösem Domizil. Dieser nannte sie ganz gönnerhaft eine „fantastische Frau“. Am 20. Januar war Meloni die einzige zu Trumps Amtseinführung nach Washington eingeladene europäische Regierungschefin.
Als harmonisch dürfen auch Melonis Beziehungen zu Elon Musk gelten. Der war schon im Juni 2023 bei ihr in Rom im Amtssitz des Ministerpräsidenten zu Gast. Beide plauderten über künstliche Intelligenz und sinkende Geburtenraten. Musk kam im Dezember 2023 zur Mammutkonferenz „Atreju“ der postfaschistischen Fratelli, um dort den Klimawandel kleinzureden.
Und es war Musk, der im September 2024 eine Rede auf Meloni hielt, als sie in New York den Global Citizen Award erhielt. Er sparte nicht an Komplimenten: Die Ministerpräsidentin erfuhr, dass Musk sie „bewundert“, dass sie „authentisch, ehrlich, wahrhaftig“, dass sie „im Inneren noch schöner als äußerlich“ sei.
Ihren hervorragenden Kontakt zum Trump-Lager konnte Meloni auch über die Biden-Jahre retten. Doch was macht sie jetzt damit? Jetzt, da es nicht mehr um sie selbst in der EU, in der Nato, gegenüber den USA geht, sondern um Trump, Europa, den bröckelnden Nordatlantikpakt und die plötzlich aufgerissenen tiefen Gräben?
Einen ersten Eindruck lieferte Melonis Reaktion auf den Eklat im Oval Office, als Trump und J. D. Vance den „undankbaren“ Selenskyj vor die Tür setzten. Von der Leyen, Macron, Scholz, Keir Starmer überschlugen sich mit Solidaritätserklärungen für den ukrainischen Präsidenten. Von Meloni dagegen waren ähnliche Worte nicht zu hören. Weiterhin beharrte Meloni, ohne Selenskyj überhaupt zu erwähnen, auf einem „dauerhaften und gerechten Frieden“, auf der „Stärkung der Position der Ukraine“. Dann legte sie nach: „Jede Spaltung des Westens macht uns alle schwächer.“
Als sie in den Folgetagen nach ihrer Position zum Eklat zwischen Trump und Selenskyj gefragt wurde, fügte sie nur hinzu, eine solche Frage sei „selbstzweckhafte Polemik“. Überhaupt sei es „in dieser Phase unnütz, sich als Fans aufzuführen“.
„Dringend“ sei deshalb ein EU-USA-Gipfel nötig. Das meint zumindest Meloni. Doch von einem solchen Gipfel redet außer ihr gegenwärtig niemand auf beiden Seiten des Atlantiks. Dringend würde sie auch gerne im Weißen Haus vorsprechen. Doch dort setzt niemand auf die von ihr ersehnte Rolle als Vermittlerin. Ein Termin ist nicht in Sicht, vielleicht gehe etwas „Ende März“, sickert aus italienischen Regierungskreisen durch.
Jubelnde Fanauftritte – sei es für Trump, sei es für den früher ihrerseits hochgelobten Selenskyj – bietet Meloni gegenwärtig nicht. Stattdessen scheint sie ein Schweigegelübde abgelegt zu haben. In diesen Wochen sagt sie entweder nichts öffentlich, oder sie meldet sich mit nichtssagenden Äußerungen zu Wort. Ein Beispiel: Sie verlangte, „mit kühlem Kopf, ohne sich von Emotionen mitreißen zu lassen, und mit einem strategisch ausgerichteten Nachdenken“ die „sich weiterhin wandelnde Welt“ zu analysieren. Angeblich telefoniert Meloni regelmäßig mit Trump, so auch einen Tag nach dem Showdown im Oval Office. Was die beiden einander bei den Telefonaten sagen, bleibt bisher geheim.
Überliefert ist dagegen, dass Meloni einerseits mit dem Auftritt des US-Vizepräsidenten J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz sehr einverstanden war. Die Aufregung quer durch Europa konnte sie nicht verstehen. „Vance hat Tieferes geäußert, Identität, Demokratie, freie Rede“, analysiert Meloni. Und ganz auf dieser Linie weiß sie auch, „dass Europa auf dem Altar der Wokeness, der Bürokratie, des Merkantilismus geopfert wurde“.
Andererseits rührt sie weiterhin die Trommel für jene alte Welt, die Trump gerade einreißt. Sie lobt die Ukrainer als „stolzes Volk, das kämpft“, will den Erhalt der Nato genauso wie „Artikel 5-Garantien“ für die Ukraine, sprich die Beistandszusage der Nato. Italienische Friedenstruppen in der Ukraine kann sie sich aber nur mit einem UN-Mandat vorstellen. „All das, was ich für den Erhalt eines geeinten Westens tun kann, werde ich tun“, lautet Melonis Fazit.
Ihr Angebot steht – doch wie es scheint, gibt es keine Nachfrage. Bisher haben weder Macron noch Starmer, noch Trump ihr Vermittlungsangebot auch nur ansatzweise angenommen. Sie lassen Giorgia Meloni damit einen unbequemen Platz: zwischen allen Stühlen.
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