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Berlins CDU-Kultursenator Joe ChialoKein Geld, kein Plan

Nach der jüngsten brutalen Kürzungsrunde dilettiert die CDU-geführte Kulturverwaltung schon an der nächsten. Selbst die SPD hat die Faxen dicke.

Sparen, bis es quietscht: Kultursenator Joe Chialo (CDU) Foto: Annette Riedl/dpa

Berlin taz | Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat ein Händchen dafür, die Kunst- und Kulturszene der Hauptstadt gegen sich aufzubringen. Die Empörung über die von Chialo für das laufende Jahr gerade erst widerstandslos durchgewunkenen 130-Millionen-Euro-Kürzungen in seinem Etat ist noch nicht abgeebbt, da geistern schon die nächsten Katastrophenzahlen durch den Nachrichtenorbit.

Nach einem Videocall des Senators mit Ver­tre­te­r:in­nen der Kulturszene am Mittwochabend standen plötzlich Einsparungen in Höhe von 300 Millionen Euro für 2026 und 2027 im Raum – zusätzlich zu den 130 Millionen, um die der ursprünglich mal etwas mehr als eine Milliarde Euro umfassende Jahresetat der Kulturverwaltung zuletzt für die nächsten Jahre abgesenkt wurde.

Ganz so wild soll es dann doch nicht kommen. Denn tatsächlich sehen die am Tag zuvor vom Senat beschlossenen Eckwerte für den kommenden Doppelhaushalt im Chialo-Etat zwar weitere Kürzungen vor – aber dann doch nicht in diesem Ausmaß. Für das kommende Jahr etwa geht es um 34 Millionen Euro, die auf Chialos 130-Millionen-Sparliste noch einmal obendrauf gepackt werden müssen.

Klingt verkraftbar, ist es aber nicht, sagt Daniel Wesener. Der Sprecher für Kulturfinanzierung der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus und ehemalige Finanzsenator geht davon aus, dass im kommenden Jahr alles in allem trotzdem fast 100 Millionen Euro „irgendwie aus der Kulturförderung herausgestrichen werden müssen“.

Tückische Einmaleffekte

Bei den 34 zusätzlich einzusparenden Millionen wird es Daniel Wesener zufolge jedenfalls nicht bleiben, weitere rund 65 Millionen dürften hinzukommen. Das ist jener Kürzungsbetrag, der in Chialos aktuellem 130-Millionen-Streichkonzert nur „durch klassische Einmaleffekte“ wie den Verzicht auf Investitionen oder das Verfrühstücken der Rücklagen der Kulturinstitutionen erbracht wird.

„Das Geld ist nun weg“, sagt Wesener zur taz. In der Folge bedeutet das, dass es 2026 erneut, dann aber woanders weggenommen werden muss. Der Etat bleibt schließlich auch im kommenden Jahr abgesenkt.

Er habe die „herauszustreichenden“ 100 Millionen Euro mal auf den aktuellen Kulturhaushalt umgelegt, sagt Wesener. Das Ergebnis: Selbst wenn die gesamte Projektförderung für sämtliche Sparten, die kulturelle Bildung und die Bezirkskultur zum Jahreswechsel komplett gestrichen werden, kommt die Kulturverwaltung nicht auf diesen Betrag.

Ihm fehle „wirklich jede Fantasie, wie die anstehenden Kürzungen im Kulturhaushalt 2026 umgesetzt werden können“, sagt der Grünen-Politiker. Er habe bislang gedacht, die Kulturverwaltung habe keinen Plan. „Aber es ist viel schlimmer: Angesichts dieser Zahlen kann es auch gar keinen Plan geben.“

Déjà-vu zur vorangegangenen Kürzungsrunde

Das sieht in der schwarz-roten Koalition auch die SPD so: „Es ist klar, dass Einsparungen im Kulturbereich vorgenommen werden müssten – aber das hier passt doch vorn und hinten nicht“, sagt Melanie Kühnemann-Grunow, die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, zur taz. Mehr noch: „Da fehlt mir inzwischen auch der Wille, das in irgendeiner Weise zu verteidigen.“

Sie hätte sich gewünscht, „dass wir uns erst einmal zusammensetzen und die Zahlen plausibilisieren“, so Kühnemann-Grunow. „Und ganz ehrlich, ich habe da ein Déjà-vu.“ Schon bei der Kürzungsrunde im vergangenen Jahr habe Chialo auf Kommunikation verzichtet.

Herausgekommen war dann jene – im Detail teils stümperhaft zusammengestellte – Einsparliste, deren Auswirkungen derzeit spürbar werden, ob bei den angehobenen Eintrittspreisen und gestrichenen Produktionen bei Theater- und Opernhäusern oder den auf der Kippe stehenden Honoraren in den kommunalen Galerien der Bezirke.

Dass die 2025 durch Einmaleffekte zusammenkommenden 65 Millionen Euro im kommenden Jahr an Stellen eingespart werden müssen, die bislang verschont blieben, sei ihr bei Chialos Plänen von Beginn an klar gewesen, sagt Melanie Kühnemann-Grunow. Ihre Befürchtung ist aber, dass die Kulturverwaltung nun wirklich alle Kürzungen auf die freie Szene und den Bereich der kulturellen Bildung abwälzt.

Aber möglicherweise ist Joe Chialo da auch längst ausgeflogen und ein:e Nach­fol­ge­r:in muss sich mit seinen Haushaltshinterlassenschaften herumschlagen. Das Gerücht, dass der ehemalige Musikmanager nach der Bundestagswahl unter einem möglichen CDU-Kanzler Friedrich Merz Kulturstaatsminister des Bundes wird, hält sich jedenfalls wacker.

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10 Kommentare

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  • Herr Chialo wird unterschätzt.



    Er ist nun leider gerade in der Zeit tätig, in der gespart werden muss.



    Ein wenig Hybris der Kulturszene ist schon auch dabei, wenn dermaßen gegen Kürzungen protestiert wird; es gibt politisch-gesellschaftliche Bereiche, die ebenso sparen müssen, aber nicht über das privilegierte kreative Potential verfügen, sich dermaßen in Szene setzen zu können.



    Die Kultur sollte endlich aus ihrer Blase herauskommen und wieder gesellschaftlich relevanter, heisst, auch solidarischer werden mit anderen.



    Dabei schließe ich ausdrücklich Bildungsbereiche aus, wie Bibliotheken, die allen zugute kommen, hier sollte man nicht sparen.



    Aber ob eine Opernkarte soviel oder so-und-soviel kostet, ist deshalb irrelevant, da bürgerliche Schichten sie ohnehin mit links bezahlen können.



    Oper ist das I-Tüpfelchen auf einem sowieso vorhandenen Wohlstand.

    • @Toni Zweig:

      Irgendwann ist aber auch der Punkt, wo mensch ein Feigenblatt für den Abbau von Kulturpolitik wird.



      Nebenpunkt: Oper war mal ein Massenmedium mit den Logen für die Hautevolée, aber auch dem Parkett für Viele. So groß Berlin auch ist, würden das zwei Opern auch reichen, gewiss. Das war aber auch nicht gemeint.



      Und gespart werden muss bei den Steuerverkürzungen für Schwerreiche, bei den umweltschädlichen Zuschüssen an Auto, Flug, Energieraushauen, ... und dann irgendwann auch mal bei Kultur, die aber so viele Leben auf den richtigen Pfad setzen kann.

  • Dann könnte er ja gleich zweimal in Berlin scheitern. Es ist nicht nur Geld. Er hätte sich beim allseits respektierten Vorgänger Klaus Lederer abgucken können, wie man auch unter Haushaltsdruck die Kultur der Stadt fördert.



    Schade, doch als Föderalist ist mir Berlin zugleich auch nur ein Ort unter sehr vielen in der Republik. Das gerade von einem ausgemachten Vornamen-Provinzler regiert wird, weil die Giffey-SPD nicht mal normalen Gestaltungswillen aufbrachte.

  • Das Problem ist, dass Herr Chialo aus der Kreativwirtschaft kommt - und nicht aus der Kunst. In der Politik gibt es seit ca. 15 Jahren eine immer stärkere Begriffs-Vermischung von Kultur- und Kreativwirtschaft einerseits und Kunst und Kultur andererseits.

    Es macht nunmal einen großen Unterschied, ob man Popmusik produziert oder eine Barockoper aufführt. Mit dem einen kann man Gewinne machen, mit dem anderen nicht. Soll man es deshalb lassen? Die CDU in Berlin meint wohl "ja".

    Kunst ist - genau wie Bildung - niemals in der Erstverwertung rentabel. Daher ist auch der Begriff der Subvention irreführend. Kunst muss man fördern. Dauerhaft. Wirtschaft kann man subventionieren, damit sie anspringt und von allein läuft.

    Durch die Vermischung der Begriffe Kreativwirtschaft, Kultur, Kunst landet auf einmal die Werbeagentur (Kreativwirtschaft) mit dem Theater (Kunst) in einem Pott. Und schon fragt sich der Laie: Warum kann das Theater denn nicht 10% einsparen?

    Ja, weil genau mit diesen 10% die Kunst gemacht wird. Das andere sind Heizung, Miete, usw. Und man kann mit Kunst keine Gewinne machen.

    • @Maradine:

      Die Unterscheidung zwischen Kunst und Kreativwirtschaft ging in den Diskussionen der letzte Jahren häufig verloren. Danke – Ihr Kommentar spricht mir aus dem Herzen.

  • Die Ausgaben des Landes Berlin für Kultur pro Einwohner liegen gigantisch über dem bundesweiten Durchschnitt.

    • @alterego:

      Berlin hat teilungshistorisch eine doppelte Versorgung. Es hat sehr viele Touristen und eine Hauptstadtfunktion zu erfüllen. Bonn hatte damals als 250.000-Seelen-Ort rasch eine Oper samt Ballett, ein Schauspiel, Kammerspiele, eine starke Museenmeile, eben auch für die Staatsgäste.



      Auch versorgen Großstädte immer auch das Umland und die Provinz mit. Zugegeben, ganz Ostdeutschland rund um Berlin hat deutlich weniger Einwohner als Nordrhein-Westfalen allein, aber eben auch weniger Kultur in der Fläche.



      Falls Sie denn eine Erklärung finden wollten.

      • @Janix:

        Es gibt immer eine Erklärung, häufiger als eine überzeugende Begründung.

        • @alterego:

          Sie wollten keine Erklärung, verstanden.

    • @alterego:

      Zeigt wie schlimm es in Deutschland mit Kulturförderung steht.