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Große Kleine Anfrage

Die Union legt sich mit der demokratischen Zivilgesellschaft an. Nicht nur die Omas gegen Rechts sind entsetzt

Zwei Millionen Menschen haben seit Jahresbeginn gegen den Rechtsruck demonstriert – und die CDU diffamiert den Protest, anstatt sich der Kritik zu stellen Foto: Jason Tschepljakow/dpa

Von Konrad Litschko und Gareth Joswig

Ab 6 Uhr am Mittwoch klingelte bei Anna Ohnweiler das Telefon. Erst waren es aufgeregte Mitstreiterinnen, dann waren es Medien, die die 75-Jährige aus Nagold, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg, anriefen. Denn am Abend zuvor war eine Kleine Anfrage der Union im Bundestag bekannt geworden, Drucksache 20/15035, 551 Fragen lang, unterzeichnet von Friedrich Merz. Titel: „Politische Neu­tra­li­tät staatlich geförderter Organisationen“. 17 zivilgesellschaftliche Gruppen werden in der Anfrage ins Visier genommen, die sich nach der gemeinsamen Abstimmung mit der AfD im Bundestag kritisch zur Union äußerten. Eine davon: die Omas gegen Rechts. Anna Ohnweilers Omas. Die frühere Lehrerin hat 2018 die Omas gegen Rechts in Deutschland gegründet. Bis heute ist sie Vorsitzende des Vereins. Und nun im Bannstrahl der Union.

„Ich kann das immer noch nicht begreifen“, sagt Ohnweiler, als auch die taz sie anruft. „Man kann doch in diesen Zeiten nicht noch weiter spalten. Ich weiß wirklich nicht, was Herr Merz da tut. Das kannten wir bisher nur von der AfD.“ Für Ohnweiler besonders grotesk: Als sie vor sieben Jahren die Omas gegen Rechts gründete – ihr war wegen menschenverachtender Sprüche der rechtsextremen Identitären die Hutschnur geplatzt –, war sie selbst noch in der CDU. Bei der Gründung dabei war auch ein CDU-Stadtrat. Unlängst noch rief in Nagold auch die CDU mit zu Protesten für Demokratie auf. „Wir Omas kommen doch ohne jeden Zweifel aus der Mitte dieser Gesellschaft“, sagt Ohnweiler. „Ich bin ehrlich entsetzt.“

Mit ihren 551 Fragen zielt die Union neben den Omas gegen Rechts auf 16 weitere Gruppen und Medien: ­Campact, ­Attac, Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch, Foodwatch, ­Dezernat Zukunft, Deutsche Umwelthilfe, Agora ­Agrar GmbH, Greenpeace, BUND, Correctiv, Netzwerk Recherche, Neue deutsche Medienmacher*innen, Delta. Einige hatten nach dem Tabubruch der Union zu Demos aufgerufen. Andere scheinen der Union anderweitig ein Dorn im Auge.

Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg drohte bereits nach den jüngsten Großdemos den gemeinnützigen Organisationen, die sich an vermeintlichen „parteipolitischen Aktionen“ gegen die Union beteiligten, künftig Staatsgelder zu entziehen. Einen Tag vor der Wahl legte Merz nach: Man werde keine Politik machen „für irgendwelche grünen und linken Spinner“, sondern für eine Mehrheit, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe.

Tags zuvor hatte die Union bereits ihre Anfrage im Bundestag eingereicht. Einen Tag nachdem die rechtsextreme AfD ihr historisch bestes Ergebnis erzielt hatte, wurde sie veröffentlicht. Es ist ein Vorzeichen, welchen Kurs die künftige Merz-Regierung einschlagen könnte. Ein beunruhigendes.

„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität wahren“, betont indes die Union in ihrer Anfrage. Und ganz offen: „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“ Hier stellten sich Fragen zum „Gemeinnützigkeitsstatus“, bei dem Spen­de­r*in­nen Steuervorteile gewährt werden.

Allein zu den Omas gegen Rechts formuliert die Union 25 Fragen, nennt die Gruppe ein „besonders umstrittenes Beispiel“. Wie viel Gelder die Omas aus Förderprogrammen bekommen? Wie viele Spenden aus der Wirtschaft oder „dem Ausland“? Ob sie „gezielt gegen bestimmte Parteien oder Politiker Kampagnen“ führten oder „einseitige Narrative“ förderten? Ähnliche Fragen betreffen auch die anderen Gruppen.

Die Empörung ist groß. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht von einem „Einschüchterungsversuch“. Gemeinnützige Organisationen müssten und dürften Missstände benennen und Debatten anstoßen. Campact geißelt eine „Aneinanderreihung von Halbwahrheiten“, Attac einen „Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter einer Regierung Merz“. Auch Journalistenverbände üben scharfe Kritik und fordern, die Fragen, die Medien betreffen, zurückzunehmen.

Die Drohgebärden der Union werden auch zur Belastung für die Sondierungsgespräche mit der SPD, die am Freitag starteten. SPD-Chefin Saskia ­Esken erklärte, das Agieren der Union sei „einer demokratischen Volkspartei unwürdig“. Lars Klingbeil sprach von einem „Foulspiel“. Hamburgs SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf erklärte, seine Partei stehe „für Zustände wie in Trump-Amerika nicht zur Verfügung“. Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe, auch SPD, sekundierte: „So wird das nix.“

Doch die Union nimmt bisher nichts zurück. Einzelne Abgeordnete äußern hinter vorgehaltener Hand Kritik an der Form und Wirkung der Anfrage, öffentlich äußern aber will sich niemand aus der ersten Reihe. Die breite Mehrheit hält die Anfrage für genau richtig. Fraktionsvize Middelberg betonte nach der Aufregung, die Kontrolle von Steuermitteln sei „Kernaufgabe des Parlaments“. Dieser Verantwortung komme man nach, und deshalb habe man die Anfrage gestellt.

Anna Ohnweiler ärgert das. Denn die Omas gegen Rechts seien doch überhaupt nicht gemeinnützig und ihr Verein bekomme auch keine Fördergelder, betont die Rentnerin. „Alles, was wir bekommen, sind Mitgliedsbeiträge aus unserem Verein und Spenden.“ Zwar gab es 2023 mal 5.000 Euro für die Ortsgruppe in Buxtehude aus einem Aktionsfonds des Bundes für ein Projekt gegen Rassismus, dies aber zusammen mit anderen Gruppen. Weitere rund 18.000 Euro hätten sich in Klein­beträgen auf weitere Gruppen verteilt, aber alles projektgebunden. „Es bleibt kein Pfennig bei uns hängen“, betont auch Sandra Schöngeist von den Omas gegen Rechts Nord, „Unsere Fördermittel sind immer projektbezogen. Man freut sich bei Bewilligung fünf Minuten lang und hat dann lange mit Papierkram zu tun.“

Dass die Omas jetzt auch noch mit zu den „linken Spinnern“ gezählt werden, „das lässt mich nicht kalt“, sagt Anna Ohnweiler. 20 Jahre lang war sie Mitglied der CDU. 2018, als die weit rechte Werteunion noch in der Partei aktiv war, haderte sie so sehr damit, dass sie austrat. Inzwischen ist Ohnweiler SPD‑Mitglied. Aber sie betont, dass die Omas überparteilich seien, Extreme würden nicht geduldet. 50.000 Menschen über 50 Jahre engagierten sich mittlerweile in 300 Ortsgruppen der Omas gegen Rechts, 4.000 davon im Verein, alle ehrenamtlich. „Und wir machen das doch gerade, weil wir uns um die Demokratie sorgen und uns für sie einsetzen.“

Auch andere Gruppen, die die Union ins Visier nimmt, wie Campact, sind nicht gemeinnützig. Die Umwelthilfe, die Amadeu Antonio Stiftung oder Correctiv erhalten dagegen öffentliche Förderung – etwa aus dem Programm „Demokratie leben“, angesiedelt beim Bundesfamilienministerium. Aber Correctiv etwa betont, dass diese weniger als 10 Prozent der Gesamteinnahmen ausmache, man schon qua Redak­tions­statut überparteilich sei und keine Kampagnen organisiere.

Wie weit sich gemeinnützige Gruppen politisch äußern können, ist indes seit einem Grundsatzurteil von 2019 strittig: Damals erklärte der Bundesfinanzhof den Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac für rechtmäßig, weil die Gruppe sich zu weitgehend politisch geäußert habe und darauf abziele, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Klar ist, dass sich gemeinnützige Vereine politisch äußern dürfen, wenn ihre Aussagen dem Vereinszweck entsprechen, sich also Umweltverbände umweltpolitisch äußern. Der Bochumer Rechtsprofessor Sebastian Unger sieht darüber hinaus tatsächlich rechtliche Grenzen. „Aber wenn sich die Argumentation an konkreter Sachpolitik aufhängt, dann ist es unschädlich, wenn dabei mittelbar auch Parteien kritisiert werden“, sagte er der taz.

Die Empörung und Sorge der Ini­tia­tiven ist auch deshalb so groß, weil die AfD schon länger versucht, missliebige Vereine mit Anfragen oder Anzeigen bei Finanzämtern über das Gemeinnützigkeitsrecht zu attackieren. Das rechtsextreme Netzwerk Ein Prozent lieferte dafür eigens einen Leitfaden. Und in Ungarn, in Österreich oder Italien lässt sich beobachten, wie die progressive Zivilgesellschaft bereits unter Druck gesetzt wird.

Wie das auch hierzulande konkret läuft, hat Micky Wenngatz direkt erlebt. Die 64-jährige Münchnerin und heutige SPD-Stadträtin hat mit ­anderen vor 15 Jahren den Verein „München ist bunt!“ gegründet, als Neo­nazis durch ihr Stadtviertel Fürstenried ziehen wollten. Als der Verein auch die AfD kritisierte, forderte ein Abgeordneter der Partei das Finanzamt auf, die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. „Was tut schon mehr weh als der Entzug von Spendengeldern?“, erklärte der AfD‑Mann. Monatelang seien nach der Anzeige die wenigen Ressourcen der Ehrenamtlichen gebunden gewesen, um Schriftsätze zu formulieren, erzählt Wenngatz. Am Ende war der Angriff erfolglos, aber man musste sogar einen Rechtsanwalt bezahlen.

Seit den Protesten nach dem Tabubruch der Union folgt nun die nächste Welle. Als zu einer München-ist-bunt!-Demo bis zu 350.000 Menschen kamen, versuchte das rechtsradikale Propagandaportal Nius zu skandalisieren, dass steuerfinanzierte NGOs angeblich die Proteste gegen rechts organisierten. Es folgten Bild und Welt, wo gar von einem „Deep State“ fabuliert wurde. Dann sattelte die Union auf – die in ihrer Anfrage ihrerseits den Welt-Artikel heranzog und von einer „Schattenstruktur“ raunt, „die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“.

Als Anna Ohnweiler die Omas gegen Rechts gründete, war sie noch in der CDU

Micky Wenngatz kann darüber nur den Kopf schütteln. „Anstatt dass die Herren von der Union sich die breit getragene Kritik mal zu Herzen nehmen und überlegen, ob sie nicht vielleicht doch etwas falsch gemacht haben können, bringen sie nun die Demons­trierenden in Misskredit und suggerieren, sie seien gekauft.“ Dabei finanziere sich München ist bunt! ausschließlich über Spenden, alle seien ehrenamtlich aktiv. Die Union falle den Aktiven in den Rücken in einem ohnehin schon aufgeheizten Klima, in dem Hassmails an der Tagesordnung seien, es auch zu physische Drohungen komme, klagt Wenngatz. „Viele Vereine sind auf Fördermittel angewiesen und haben jetzt Angst. Man hat das Gefühl, es wird einem ein Maulkorb verpasst für politisch unliebsame Äußerungen.“

Für die Initiativen wird nun zum Problem, dass die Ampelregierung weder die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts noch das angestrebte Demokratiefördergesetz gegen die Blockaden der FDP durchbekommen hat. Erst im Sommer 2024 forderten gut hundert Ini­tia­tiven eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts – folgenlos.

Anna Ohnweiler berichtet, dass ihre Omas gegen Rechts seit der Unions-Drohgebärde immerhin zahlreiche Spenden und 500 neue Vereinsmitglieder bekommen hätten. Einige Omas schickten auch Pakete mit Tassen an Merz, um zu zeigen, dass sie sehr wohl „alle Tassen im Schrank“ hätten. Eine Petition fand sofort Zehntausende Unterzeichnende.

Dabei will sich Ohnweiler gar nicht mit der Union anlegen. Die 75-Jährige hofft auch, dass die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD erfolgreich sind: „Denn wir brauchen ja eine stabile demokratische Regierung, damit wir die Extremen zurückdrängen können.“ Einen Brief aber schickte auch Ohnweiler an Merz, den wohl künftigen Kanzler. Eine erste, wütende Version ließ sie in der Schublade. In der zweiten, abgeschickten Variante heißt es, man könne die Anfrage immer noch nicht fassen. Offenbar habe er, Merz, Falschinformationen „ungeprüft, ohne Faktencheck, einfach übernommen“. Aber: „Wir werden auch in Zukunft, mit den Mitteln, welches das Grundgesetz uns bietet, furchtlos unsere Meinung kundtun.“

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