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Der rechte Flügel

Im Prozess gegen einen Hooligan von Alemannia Aachen drängt sich die grundsätzliche Frage auf, welche Verbindungen die Vereinsführung des Fußballdrittligisten zum rechtsextremen Milieu hat

Auch die rechtsextreme Fangruppierung Karlsbande ist sehr präsent im Stadion von Alemannia Aachen Foto: Picture Point/imago

Aus Aachen Daniel Theweleit

Erleichtert, gerade­zu befreit ist Heiner Back­haus, als er am vorigen Dienstag den Saal 9 des Aache­ner Amtsgerichts verlässt, um sich endlich wieder „auf den Fußball konzentrieren“ zu können. Gerade hat der Trainer des Drittligateams von Alemannia Aachen eine fast zwei Stunden lange Zeugen­be­fragung hinter sich, von der er eigentlich gehofft hatte, alle Fragen schnell klären zu können. Angeklagt ist der Hooligan Kevin P., dem versuchter Totschlag vorgeworfen wird. Doch der Richter und die Staatsanwältin bohren tief, nachdem Backhaus in den Weihnachtstagen von 2023 ein Video von Kevin P. erhalten hat, das den Angeklagten zeigt, wie er während seiner Tätigkeit für einen Sicherheitsdienst im Aachener Rotlichtmilieu einen Freier ins Krankenhaus prügelt. Mit einem Schlagstock, mit Tritten an den Kopf des wehrlos auf dem Boden liegenden Opfers. Der Mann hat einer Prostituierten ein Handy geklaut. „Ich kümmere mich derweil weiter um respektlose Freier oder in diesem Fall um Diebe“, schreibt Kevin P. unter das Video. Backhaus antwortet: „Richtig so!!!!“

Vor Gericht kann der Trainer glaubhaft versichern, dass er das Video nicht angesehen hat. Er habe auch nicht gewusst, dass Kevin P. seit Jahren Gewalt verherrlicht, anwendet und zumindest in der Vergangenheit rechtsextreme Haltungen verbreitete, sagt Backhaus. Den Hooligan habe er nur einmal getroffen.

Kevin P. ist auch sozial engagiert, betreibt eine Suppenküche für Obdachlose, die von der Alemannia unterstützt wird. Dort habe er den Hooligan als Kümmerer kennengelernt, berichtet Backhaus, und als er dann das Wort „kümmern“ in der Weihnachtsnachricht gelesen habe, habe er eben „Richtig so!!!!“ ins Handy getippt.

Diese Sache ist schnell geklärt und vielleicht sogar eine Privatangelegenheit. Doch hinter dem Prozess schwingen Fragen mit, die die ganze Stadt bewegen. Was ist Alemannia Aachen eigentlich für ein Verein geworden? Was hat es auf sich mit den angeblichen Verbindungen von Klubverantwortlichen in rechtsextreme und gewaltaffine Mi­lieus, über die immer wieder in unterschiedlichen Medien berichtet wird? Sind die Sorgen um die eigene Sicherheit berechtigt, von denen manche Stadionbesucher erzählen? Schon 2023 sagt die parteilose Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen gegenüber dem WDR-Magazin „Sport Inside“ in Anspielung auf die Hooligangruppe Boxstaffel 520 und deren Anführer Kevin P.: „Mir fehlt die klare Positionierung gegenüber diesen Menschen, weil sie gehören für mich nicht ins Stadion.“ Die Liste der fragwürdigen Vorfälle rund um den Klub ist lang.

Als im Januar des vergangenen Jahres in Folge der Correctiv-Recherchen zu den „Re­mi­gra­tions“-­Plänen der AfD Mil­lio­nen Menschen auf die Straße gehen, erklärt der Verein, man werde solchen Aktionen fernbleiben: „An der Spaltung der Gesellschaft werden wir ausdrücklich nicht teilnehmen.“ Kurz darauf rudert die Alemannia zurück, räumt einen „Fehler“ ein und versichert, niemand in der Klubführung sei fremdenfeindlich oder sympathisiere mit der AfD.

Es gibt aber auch Berichte von einem Ex-Hooligan mit einem tätowierten SS-Totenkopf auf dem Oberarm, der in einer Loge mit Funktionären der Alemannia gesehen wurde. Der von dem Fußballklub unterstützte Profiboxer Toni Estorer, der seine größten Erfolge in der in mehreren Ländern verbotenen Kampfsportart Bare-Knuckle-Boxing feiert, erregt ebenfalls Aufsehen. Es gibt ein Video, das Estorer beim Feiern mit einem Mann mit Hakenkreuztattoo auf der Brust zeigt; ein anderer Mann in dem Film deutet einen Hitlergruß an. Der in der vergangenen Woche aufgrund eines Ermittlungsverfahrens vorübergehend zurückgetretene Aufsichtsratschef Marcel Moberz lässt sich nach einer Wette in Estorers Tattoostudio ein Alemannia-Wappen stechen. Die Aachener Zeitung bezeichnet das Verhältnis der Männer als „freundschaftlich“. Und dann ist da noch diese alte Geschichte mit der Karlsbande.

Diese weiterhin existierende Fangruppierung vertreibt vor gut zehn Jahren die für Vielfalt und Toleranz engagierten „Aachen Ultras 1999“ unter Gewaltanwendung aus der Kurve. Heute hängt bei Heimspielen in der Kurve das Banner von der Boxstaffel im Zentrum der Kurve, hinter dem auch schon ein bekannter NPD-Funktionär zu sehen war. Dennoch genehmigt der Verein der Boxstaffel einen Verkaufsstand im Stadion, weil mit dessen Erlösen die Suppenküche von Kevin P. unterstützt werden soll. Im Rahmen verschiedener Recherchen tauchen noch etliche weitere Verstrickungen auf, die auf zweifelhafte Verbindungen hindeuten. Patrick Arnold, der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte in NRW, sagt vor einigen Monaten: „Der Verein Alemannia Aachen kann sich glücklicherweise auf Gewaltfreiheit berufen, dieses Ziel ist in der Satzung mehrfach handlungsleitend festgehalten.“ Zugleich weist Arnold aber darauf hin, „dass es in Deutschland keinen anderen Klub gibt, wo sich eine Hooligangruppe mit einem eigenen Infostand im Stadion präsentieren darf“.

Der heutige Trainer Backhaus erzählt vor Gericht von Warnungen „von Leuten, die den Klub seit 50 Jahren kennen“: „Du machst das gut, aber du darfst nicht zu nah an gewisse Prozesse rankommen.“ Mehrfach hätten Leute zu ihm gesagt: „Pass auf dich auf.“ Jetzt wird klar, was damit gemeint ist. Reichlich unglücklich erscheint überdies, dass der Klubjustiziar und Alemannia-Aufsichtsrat Osama Momen einer der Verteidiger von Kevin P. ist, der noch 2024 einen Aussteiger aus der Neonaziszene als „Verräter“ beschimpft und auf dessen Handy mehr als ein Dutzend weiterer Videos gefunden werden, die seine Gewalttaten zeigen.

Im Verein selbst wird der Vorwurf, man pflege zu enge Verbindungen in ein problematisches Milieu, jedoch konsequent zurückgewiesen. Erst vorige Woche erklärte der Aufsichtsrat Moberz: „In unserem Verein gab und gibt es nie Platz für rechtsradikale Arschlöcher, Extremisten und Spalter. Das vielleicht noch mal für jeden, der das immer noch nicht kapiert hat. Deutlicher geht es nicht.“ Moberz ist eine Schlüsselfigur in diesem Alemannia-Drama, das gerade immer weiter eskaliert.

Der IT-Unternehmer ist das Mastermind hinter dem sportlichen Aufschwung, er nennt sich selbst „Chef“, findet Sponsoren, ist an klugen Personalentscheidungen beteiligt, ist der Hoffnungsträger vieler Fans, die von der Rückkehr in die Bundesliga träumen. Eigentlich soll auch der IT-Unternehmer in dem Prozess als Zeuge aussagen, allerdings ist er inzwischen selbst mit einem Ermittlungsverfahren konfrontiert, weshalb er sein Amt ruhen lässt und von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.

Genau wie Backhaus hat die Untersuchung des im Zuge der Verhaftung beschlagnahmten Kryptohandys von Kevin P. ergeben, dass er das Video mit der Gewalt gegen den Freier erhalten hat. Im Fall von Moberz besteht der Verdacht, dass er die Aufnahmen weiterverbreitet hat, was strafbar wäre. Auf die Gewaltvideos und eine dazugehörige Sprachnachricht von Kevin P. soll der Aufsichtsrat geantwortet haben, dass jemand, der Prostituierte „auch noch beklaut“, es „in die Fresse verdient“ habe.

Am Dienstag erklärt er dazu auf Facebook: „Das hat nichts mit Befürwortung von Gewalt zu tun oder mit etwas gegen den Rechtsstaat, sondern mit Werten die aus meiner Sicht jeder in sich tragen sollte.“ Er sei eben der Ansicht, „dass man eine in die Fresse verdient hat, wenn man diese gebeutelten Frauen auch noch beklaut. Nicht mehr und nicht weniger“, wobei: „Das rechtfertigt natürlich nicht, dass man jemanden schwer verletzt. Hätte ich das rechtzeitig gewusst, wäre diese Aussage so nicht in dieser Deutlichkeit gefallen.“

Wenige Tage vorher schreibt Moberz noch auf den Kanälen der Alemannia, bei den Ermittlungen gegen seine Person handle es sich um ein „Verfahren, das es nie geben dürfte“. Er habe sich nicht vorstellen können, dass so etwas „in unserem Land möglich“ sei. Selbstkritik fehlt fast vollständig. Dabei hätte Moberz spätestens nach dem Erhalt des Gewaltvideos Ende 2023 klar sein müssen, dass die Sache mit der zweiten Chance für den Kriminellen Kevin P. nicht in einer Art und Weise verläuft, die mit dem rechtsstaatlichen Rahmen in Einklang zu bringen ist. Wobei Moberz’Vertrauen in diesen Staat grundsätzlich beschädigt ist, jedenfalls schreibt er in einem älteren Social-Media-Post: „Meine private[n] Wünsche zur politischen Situation in unserem Land würden wahrscheinlich zu einer lebenslangen Sperre ‚im besten Deutschland, das es je gab‘ führen. Deswegen lassen wir das.“

Alemannia-Funktionär Moberz ist eine Schlüsselfigur in diesem Drama

Anlässlich seines vorläufigen Rücktritts beschließt er diese Tage, die Kommunikation in den sozialen Medien stark einzuschränken, und regt an, die Außendarstellung der Alemannia zu professionalisieren, verbunden mit einer klaren Botschaft: „Wer es übrigens noch nicht verstanden hat: dieser gesamte Fall hat nichts mit Alemannia oder Gremien oder Trainer oder dem Alemannia Hooligan zu tun.“ Dass auch Dieter Lübbers, der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Alemannia, sein Amt ruhen lässt, weil der Verdacht besteht, dass er Kevin P. als Schläger beauftragt hat, ist in Moberz’Augen ebenso wenig ein Alemannia-Thema wie die Tatsache, dass der Aufsichtsrat Momen einer der Verteidiger von Kevin P. ist.

Wohl in der kommenden Woche tagen die Gremien, wollen eine Grundsatzdebatte führen. Auf taz-Nachfrage, ob es eine Strategie des Klubs für eine deutlichere Distanzierung von Kriminellen und Extremisten gebe, bleibt die Antwort jedoch vage: „Alemannia Aachen setzt sich aktiv dafür ein, dass gewaltsames oder diskriminierendes Verhalten nicht mit den Werten des Vereins ein Einklang steht.“ Es gebe einen „Austausch mit dem Fanbeirat“ und: „Alemannia Aachen distanziert sich deutlich von extremistischen oder gewaltbereiten Verhalten sowie Personen.“

Das klingt nicht nach einer Kehrtwende. Und doch schöpfen die vielen Anhänger, die sich einen Neustart ihrer Alemannia wünschen, die nach elf Jahren in der Viertklassigkeit einfach wieder Spiele gegen den MSV Duisburg, Arminia Bielefeld oder Dynamo Dresden genießen wollen, zumindest ein klein wenig Hoffnung.

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