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„Irgendwann war in diesem Paradies plötzlich Müll“

Klima-Juristin Baro Vicenta Ra Gabbert setzt sich bei Greenpeace für eine gerechtere Welt ein. Für das Thema sensibilisiert wurde sie durch ihre ecuadorianische Familie. Ein Gespräch darüber, wie man trotz aller Rückschläge die Hoffnung bewahren und für eine gute Zukunft eintreten kann

Hat die Hoffnung nicht aufgegeben: Baro Vicenta Ra Gabbert

Interview Marta Ahmedov Fotos Tina Eichner

taz: Frau Gabbert, sind Sie ein hoffnungsvoller Mensch?

Baro Vicenta Ra Gabbert: Ich beobachte, dass Hoffnung gesellschaftlich oft als ein Glaube verstanden wird, dass etwas besser wird und am Ende alles gut ist. In dieser Hinsicht würde ich mich nicht als hoffnungsvollen Menschen bezeichnen und ich glaube auch nicht, dass dieses Verständnis von Hoffnung zu der Welt passt, in der wir heute leben. Wenn Hoffnung aber der Glaube ist, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten handlungsfähig sind und Dinge positiv verändern können, dann bin ich sehr hoffnungsvoll, weil ich das jeden Tag erlebe und es auch der Anknüpfungspunkt für meine Arbeit ist.

taz: Was genau ist denn Ihre Arbeit?

Gabbert: Ich bin seit Sommer 2024 Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit bei Greenpeace. Das bedeutet kurz gesagt, dass ich mich den Gerechtigkeitsfragen widme, die mit der Klimakrise einhergehen. Dazu gehören Generationengerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit oder auch globale Gerechtigkeit innerhalb der planetaren Grenzen. Ich bin in Kampagnen eingebunden und habe zum Beispiel an der Konzeption unserer Zukunftsklage vor dem Bundesverfassungsgericht mitgewirkt. Davor habe ich mehrere Jahre im Bereich Klima und Recht gearbeitet.

taz: Woher kommt Ihr Interesse für Klimarecht?

Gabbert: Meine Familie mütterlicherseits kommt aus Ecuador. Bei einer Reise 2012 sind wir zusammen in den ecuadorianischen Regenwald gefahren. Dort habe ich die Vorbereitung eine der ersten Klimaklagen weltweit miterlebt. Die indigene Gemeinschaft hat ihre Landrechte gegen Öl-Investoren verteidigt ­– und gewonnen. Ecuador war weltweit auch das erste Land, das sich eine Verfassung gegeben hat, in der die Natur Rechte hat. Das fand ich sehr spannend und wollte mehr darüber lernen. Das war ein wichtiger Grund für mich, Jura zu studieren.

taz: Haben Sie da gefunden, wonach Sie gesucht haben?

Gabbert: Nein. In den ersten Jahren des Studiums habe ich gemerkt, dass Klima gar keine Rolle spielt. Für mich war das aber weiterhin die ganze Zeit im Hinterkopf. Durch die Klimabewegung ab 2018 hat sich für mich dann der Raum aufgetan, das Thema in die Uni zu tragen. Dafür habe ich mit ein paar Leuten die erste Hochschulgruppe für Klima und Recht gegründet. Wir haben Veranstaltungen mit Na­tur­wis­sen­schaft­le­r:in­nen organisiert, die uns die Klimakrise an die Jura-Fakultät gebracht haben.

taz: Sie haben an der Bucerius Law School in Hamburg studiert, an derselben Uni habe ich später auch angefangen. Wie wurde das damals angenommen?

Gabbert: Zum Globalen Klimastreik 2019 habe ich eine E-Mail an die gesamte Uni geschrieben mit dem Betreff: „I want you to panic“. Manche fanden das gut, andere eher nicht so. Die hatten wohl Sorge, wir würden den Hochschulbetrieb stören. Dann sind aber etwa 100 Menschen von der Uni gemeinsam zum Streik gegangen. Für einige war das der Impuls, sich überhaupt mal mit der Klimakrise zu beschäftigen. Dadurch habe ich auf einen Schlag sehr viele Menschen kennengelernt, die sich für das Thema interessiert haben und die später bei der Hochschulgruppe mitgemacht haben. Es gab bis dahin noch kaum juristische Literatur zu dem Thema, wir konnten hier also Impulse setzen, indem wir etwas ganz Neues in diesem Bereich starteten.

taz: Im Jahr darauf, 2020, wollten Sie eigentlich Examen machen. Dazu kam es aber erst mal nicht.

Gabbert: Ich bin ein paar Monate vor meinem Examen schwer erkrankt. Infolge einer Infektion hatte ich ein postvirales Erschöpfungssyndrom, das sich bei mir vor allem durch starke Muskelschmerzen, Schwindel und Fatigue geäußert hat. Das kam sehr unerwartet und ich konnte mein Leben nicht mehr wie gewohnt weiterführen. Ich bin vorher Triathlon gelaufen und konnte aufgrund der Krankheit nicht mal mehr die Stufen zu meiner Wohnung hochsteigen. Ich habe fast ein Jahr lang keine richtige Diagnose und Behandlung bekommen, weil postvirale Erkrankungen insgesamt noch schlecht erforscht sind. Das Examen musste ich also komplett beiseitelegen, weil es erst mal darum ging, ganz grundlegend durch den Tag zu kommen. Es war auch lange gar nicht klar, ob ich überhaupt wieder gesund werden würde.

taz: Trotzdem haben Sie sich während Ihrer Krankheit weiter engagiert.

Gabbert: Ich hatte zwar nur wenige Stunden am Tag, in denen ich körperlich etwas machen konnte, aber die meiste Zeit konnte ich noch ganz gut denken. Da habe ich die Climate Clinic konzipiert. Eine studentische Rechtsberatung, in der mittlerweile über hundert Jura-Studierende aus ganz Deutschland mitarbeiten und Klimaaktivist:innen, NGOs und Vereine zu Klimarecht beraten und sich dadurch auch weiterbilden können. Es war natürlich so, dass ich die Idee aufgrund meiner Krankheit alleine nicht zum Leben erwecken konnte. Es hat nur deshalb funktioniert, weil andere Leute früh gesagt haben, dass sie das gut finden und mitmachen wollen. Dass in dieser Zeit so viel von meinen Ideen übriggeblieben ist, war nur möglich, weil so viele Menschen es mitgetragen haben. Es kam also nicht darauf an, dass ich als einzelne Person etwas bewegt habe, sondern umgekehrt: Das, was mich bewegt hat, haben andere Menschen für mich mitgemacht.

taz: War es für alle leicht, sich auf Ihre Krankheit einzustellen?

Gabbert: Ich glaube, es war für viele Menschen schwer. Und zwar gerade für die, die immer so eine „Alles wird wieder gut“-Hoffnung hatten. Die konnten diese Krankheit nicht so gut begleiten oder sich damit auseinandersetzen. Die Menschen, die geblieben sind, haben sich eher darauf konzentriert, die einzelnen Tage für mich besser zu machen und auf diese Weise den ganzen Weg mit mir zu gehen. Mein Partner hat zum Beispiel Karteikarten für mich geschrieben und mir vorgelesen. Andere Freunde haben regelmäßig für mich gekocht und meine Familie hat mir Dinge für mein Zimmer geschenkt, damit ich es schön habe.

taz: Finden Sie es nicht paradox, dass Sie in einer Situation, in der Sie selbst nicht einmal wussten, wie Sie durch die nächsten Tage kommen sollen, an einem so langfristigen Anliegen wie Klimaschutz gearbeitet haben?

Gabbert: Das stand für mich überhaupt nicht im Widerspruch, im Gegenteil: Es war gut, etwas zu haben, das über meine Erkrankung und meinen Zustand an einzelnen Tagen hinausging. In Bezug auf die Krankheit hatte ich einen sehr begrenzten Handlungsspielraum und meine Tage waren schlecht planbar. Auch rein physisch war ich die meiste Zeit an einem Ort. Deshalb war es gedanklich ein wichtiger Ausgleich für mich, daneben an etwas zu arbeiten, was nicht nur auf mich selbst bezogen war, sondern der Gemeinschaft dient. Und ich habe ja auch vorher schon zu Klimaschutz gearbeitet. Dieses Interesse hat nicht einfach aufgehört, weil ich krank geworden bin.

taz: Trotzdem engagieren sich viele Menschen ja gar nicht für Klimaschutz oder Ähnliches, selbst wenn sie es könnten. Woher kommt diese Sorge um die Welt bei Ihnen?

Gabbert: Ich glaube, dass ich in dieser Hinsicht stark durch meine Familie geprägt bin. Meine Oma hat in Ecuador in einem kleinen Fischerdorf gelebt, in dem ich sie früher ab und zu besucht habe. Das war ein sehr schöner und idyllischer Ort, sie hat ihn immer „Mi Paraíso“ genannt. Aber irgendwann war in diesem Paradies plötzlich Müll, der den Strand und die Natur verschmutzt hat. Das hat mich als Kind sehr traurig und wütend gemacht. Es waren überwiegend Plastikabfälle nordamerikanischer oder europäischer Marken, die da angeschwemmt kamen. Das hat dazu beigetragen, dass ich verstanden habe, welche Auswirkungen unsere Lebensweise im Globalen Norden auf andere Teile dieser Welt haben kann und vor allem: Wie unfair das ist.

taz: Warum haben Sie zu unserem Gespräch eigentlich ein Stofftier-Schwein mitgebracht?

Gabbert: Das ist Chancho – was meine Oma aus Ecuador extrem unkreativ findet, weil das auf Spanisch einfach Schwein heißt. Mein Partner hat es mir geschenkt, als ich krank geworden bin, weil wir beide Schweine lieben. Jetzt begleitet es mich schon seit Jahren überall hin. Es war mit mir bei Arztbesuchen, als ich Examen geschrieben habe und schließlich als ich in der Bundespressekonferenz saß und die Klimaklage vorgestellt habe. Im Büro von Greenpeace steht unten in der Eingangshalle auch ein riesiges Schwein, Rosalinde. Das begrüße ich jetzt morgens immer, wenn ich ins Büro komme.

taz: Ist es korrekt zu sagen, dass Sie inzwischen wieder gesund sind?

Baro Vicenta Ra Gabbert in Neukölln
Baro Vicenta Ra Gabbert

Der Mensch

Baro Vicenta Ra Gabbert wurde 1997 in Berlin-Kreuzberg geboren und wuchs in Neukölln auf. Sie studierte Jura an der Bucerius Law School in Hamburg und in Rio de Janeiro. Nach einer krankheitsbedingten Pause schloss sie ihr Studium 2022 mit dem ersten Staatsexamen ab. Seit vergangenem Jahr ist sie Vorstandssprecherin für sozial-ökologische Gerechtigkeit bei Greenpeace Deutschland. Zuvor arbeitete sie bei German Zero und gründete die Climate Clinic.

Die Klage

Greenpeace und Germanwatch haben im September 2024 eine Klage für besseren Klimaschutz beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Über 50.000 Mitkläger*innen schlossen sich an. Sie sehen ihre grundgesetzlichen Freiheits- und Gleichheitsrechte durch mangelhaften Klimaschutz verletzt. Die „Zukunftsklage“ zielt vor allem auf die sozialen Dimension der Klimakrise ab.

Gabbert: Ja! Die anstrengendste Phase dauerte etwa ein Jahr, danach ging es mir körperlich langsam besser. 2022 habe ich mein Examen geschrieben und inzwischen kann ich auch wieder joggen und regulär arbeiten. Mir ist bei Erkrankungen wie meiner aber wichtig zu sagen: Man kann alles „richtig“ machen, und trotzdem wird es nicht besser. Ich hatte aber Glück. Und ich bin dankbar für mein Umfeld, das mir die besten Bedingungen gegeben hat, um wieder gesund zu werden.

taz: Hat auch dabei Hoffnung eine Rolle gespielt?

Gabbert: Klar, wenn ich jeden Tag meinen Ist-Zustand mit meinem gewohnten Zustand vor der Krankheit verglichen hätte, hätte mich das unfassbar viel Kraft gekostet, die ich für anderes gebraucht habe. Die Zeit hat meine Auseinandersetzung mit Hoffnung deshalb auch sehr geprägt. Ich habe mich konzentriert, Hoffnung auf das Handhabbare zu fokussieren. Für mich hieß das: Okay, vielleicht kann ich eine Hoffnung darin finden, dass ich aus diesem Tag etwas Schönes machen kann, ohne mir selbst abzusprechen, dass insgesamt alles sehr schwierig und hart ist. Eine realistische Hoffnung, die Anknüpfungspunkt für Handlungen bietet, kann Kraft spenden, während eine unrealistische Hoffnung kräftezehrend ist.

taz: Sie sind in dieser Legislaturperiode stellvertretende Vorsitzende des Bundesjugendkuratoriums gewesen. Was machen Sie da?

Gabbert: Das Bundesjugendkuratorium ist das Sachverständigengremium, das die Bundesregierung in Belangen rund um Kinder und Jugendliche berät. Da ist Generationengerechtigkeit eine ganz zentrale Frage: Es geht darum, was politisch passieren muss, um die Herausforderungen zu bewältigen, die jungen Menschen bevorstehen – unter anderem aufgrund der Klimakrise.

taz: Fehlt jungen Menschen heute die Hoffnung?

Gabbert: Das zeigen uns jedenfalls Studien. Viele junge Menschen haben Angst vor der Zukunft, je nach Studie sagen um die 40 Prozent, dass sie gar keine Hoffnung haben und das ist natürlich dramatisch. Aber damit junge Menschen Hoffnung schöpfen können, muss man ihnen dafür auch konkrete Anknüpfungspunkte, Handlungsspielräume und vor allem Möglichkeiten der Mitbestimmung geben. Dafür müssen ihre Sorgen politisch ernst genommen werden und es muss gespiegelt werden: Wenn ihr etwas tut, zählt das was. Wenn man das nicht tut, dann fördert man auch Tendenzen wie Radikalisierung oder Vereinzelung. Die können wir uns als Gesellschaft angesichts der Aufgaben, die wir haben, eigentlich nicht leisten.

„Ich will keine Tipps verteilen, wie man trotz Politikversagen happy und hoffnungsvoll sein kann, weil Frustration manchmal auch einfach gerechtfertigt ist“

taz: Haben Sie Tipps für junge Menschen, was sie selbst dafür machen können?

Gabbert: Ich rede ungern darüber, was junge Menschen noch alles machen sollen. Wir sehen doch: Trotz der Hoffnungslosigkeit, über die wir gerade gesprochen haben, gibt es wahnsinnig viele junge Menschen, die politisch interessiert sind und auch praktisch etwas tun. Trotzdem werden sie politisch nicht gehört oder priorisiert – sei es beim Klimaschutz, der Infrastruktur oder der Bildung. Ich will keine Tipps verteilen, wie man trotz Politikversagen happy und hoffnungsvoll sein kann, weil Frustration manchmal auch einfach gerechtfertigt ist. Da braucht es keine Selbsthilfe, sondern ganz praktische Dinge wie eine Bus- oder Bahnverbindung, die junge Menschen kostengünstig im ländlichen Raum von A nach B bringt.

taz: Wie schöpfen Sie denn persönlich Kraft?

Gabbert: Mittagsschlaf.

taz: Oh, ich hätte nicht gedacht, dass die Antwort so einfach ausfällt.

Gabbert: Doch, das ist nicht zu unterschätzen. Es gibt diesen schönen Satz „Wandel ist kein Sprint, Wandel ist ein Marathon“. Ich finde das Bild eigentlich nicht ideal, weil man ja nicht alleine läuft. Insofern ist es vielleicht eher ein Staffellauf. Aber in jedem Fall braucht man viel Kraft und den Raum, sich auszuruhen. Das ist nur möglich, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist und sich auf andere verlassen kann. Mittags ein bisschen schlafen zu können, ist ein guter Anfang.

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