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Auch wenn der Algorithmus anderes sagtDu bist perfekt

Dieser Satz sollte zu einem Mantra werden. Denn im Internet wird jeder Zweifel daran genutzt, um Profit aus deiner Unsicherheit zu schlagen.

Du leistest Widerstand und wusstest das vielleicht noch gar nicht. Du bist perfekt Foto: imago

D u bist perfekt. Erinnere dich daran, wenn du das nächste Mal hörst, dass du nicht genügst oder im Gegenteil zu viel seist. Zu viel dieses, zu viel jenes. Zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein. Denke daran, wenn du nicht weißt, wer oder was die richtige Wahl ist. Du. Bist. Perfekt.

Das heißt nicht, dass du frei von Fehlern bist. Ganz und gar nicht. Das heißt nur, dass du dich nicht von ihnen freikaufen kannst. Genau das aber: Dass Geld dich in höhere Sphären hebt, dich klüger, schöner, wichtiger, begehrenswerter macht, will dir eine riesige geölte Maschine jeden Tag weismachen. Das muss ich dir nicht erzählen, oder? Du hast davon gehört.

Dafür – auch das weißt du schon längst – wirst du schließlich permanent vermessen. Deine digitalen Abbilder sind hundertfach gespeichert. Jede Reise, jeder Einkauf, jede Suche, jeder Swipe nach rechts. Immer feiner werden die Umrisse, die von dir gezeichnet durch die Cloud mäandern. Chaotische Metrics, genormt und sortiert auf anderer Leute Computern. Du glaubst an Geister? Nein? Du wirst selber zu einem gemacht.

Dein Einkommen ist bekannt, deine Ausgaben auch. Wie all deine Interessen und Wünsche. Die sogar manchmal, bevor sie dir selber bewusst werden. Das ist die Währung, in der von dir erzählt wird. Sie wollen gar nicht unbedingt alles von dir. Nur das Maximum, dass du ohne Widerstand zu geben bereit bist. Ein ganz schmerzfreier Zugriff ist das. Dynamic Pricing wird das dann zum Beispiel genannt. Die Flugreise ein Schnäppchen, die Schuhe ein Traum. Dein Streamingdienst weiß, wann du traurig bist.

Und du? Zahlen bitte.

Das kann nicht funktionieren, sagst du. Niemand könne dich so genau kennen. Recht hast du. Es ist wie mit der Fläche eines Kreises. Mehr als eine Billion Nachkommastellen der Zahl Pi sind berechnet und doch ist der Inhalt des Kreises immer nur ein Näherungswert. Seine unmögliche Quadratur ist zum Sprichwort geworden. Es bleibt in jedem Fall eine Unbekannte zurück.

Der Rest, das, was unberechenbar ist, das gehört dir allein. Wo es nicht glatt ist, in den Kanten und Ecken, wo der Schmutz, der Schmerz, das Geheimnis, die Liebe sich sammeln – da bist du. Keine Maschine findet dich dort. Das kann dir nicht genommen werden. Nicht ohne deine Zustimmung jedenfalls. Cookies erlauben? Es ist ein bisschen wie mit dem Vampir, der dein Haus nur dann betreten kann, wenn er dazu eingeladen wird.

So viele Daten sind gesammelt und noch immer fehlen Pi so viele Stellen. Die Ermittlung jeder weiteren kostet ein Vermögen mehr. Deshalb die Versuche, dich stattdessen passend zu machen, dich im Guten glauben zu lassen, dass mit dir etwas nicht stimmt. Das kostet weniger. Nur deine Freiheit, deine Würde.

Zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein. Relax. Die scheitern an deiner Unberechenbarkeit. Du leistest Widerstand und wusstest das vielleicht noch gar nicht. Du bist perfekt. Finde Menschen, die dich daran erinnern, wenn es nötig ist. Sei so ein Mensch für andere. Sei ein Mensch.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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3 Kommentare

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  • Ich würde es umformulieren in : Niemand ist perfekt

  • Hm. Was soll man damit anfangen? Das sind -mal abgesehen von der Unberechenbarkeit der Billionsten Kommastelle des Pi- ja ziemliche viel Allgemeinplätzeund Floskeln zwischen (wohlwollend) Alltagspsychologie und ein Big Brother Grusel. Wahrscheinlich bin ich zu wenig im Social Web unterwegs. Aber eventuell kann sich jemand da was Positives rausnehmen.

    Nur mal ehrlich:

    "Du. Bist. Perfekt.

    Das heißt nicht, dass du frei von Fehlern bist. Ganz und gar nicht"

    Doch das heißt es.

    >perfekt: frei von Mängeln, vollkommen< (Duden)

    Vielleicht isses einfach angebrachter gar nicht in solchen Kategorien zu denken und genrell öfter mal den inneren zu Ignore-Knopf drücken? Hilft ungemein dabei, ein wenig entspannter zu leben.

  • 'Du bist perfekt. Erinnere dich daran, wenn du das nächste Mal hörst, dass du nicht genügst oder im Gegenteil zu viel seist. … Das heißt nicht, dass du frei von Fehlern bist. Ganz und gar nicht.'

    Donnerwetter! So viel Paradoxie in einem Artikel, da wird einem ja schwindelig, weil die Idiotie von Selbstoptimierung und Positive Thinking zu neuen Höhen getrieben. Fehlt nur noch der Buchtipp fürs Glück: 'Oh, wie schön ist Panama'

    Wir sollten stattdessen anerkennen, dass die Welt unvollkommen ist und auch nicht nach Vollkommenheit strebt. Vollkommenheit wäre der Tod von allem. Wir sollten diese Unvollkommenheit, die eigene und die der anderen akzeptieren, den Spruch von der Unantastbarkeit der Menschenwürde ernst nehmen und gemeinsam daran arbeiten, das Leben auf dieser Welt für alle immer ein bisschen besser zu machen. Das geht nicht als EinzelkämpferIn, Kampfgruppe, Partei oder Nation. Es geht nur, wenn wir alle Rücksicht aufeinander nehmen und kooperieren, gemeinsam eine Idee vom 'guten Leben' entwickeln, statt auf die Differenzen zu starren und in allem den eigenen Vorteil zu suchen.