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Liege ichzu gerne unten?

Die meiste Zeit bekämpft unsere Autorin das Patriarchat, im Bett überlässt sie dem Mann oft die Kontrolle. Wie politisch ist unsere Lust?

Ein Essay von Lola Sinn

Auf 90 Zentimeter gequetscht lagen wir einander gegenüber. Gerade mit so viel Abstand, um uns im Halbdunkeln ins Gesicht schauen zu können. Ich war 19, er vier Jahre älter, mein erstes Mal damals knapp ein Jahr her. „Sag mir, was du tun möchtest“, forderte er mich auf. Bisher hatte mich noch nie jemand gefragt, worauf ich stehe.

Fuck, dachte ich völlig überfordert, ich muss doch wissen, was mich anmacht. Alles, was mir einfiel, waren Bilder und Beschreibungen aus Pornos. Ich dachte an Stellungen, Doggy oder ich ihn reitend, Missionar – aber ist das nicht langweilig? Vanilla-Sex? Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Also machte er Vorschläge: „Wie findest du Sex, der etwas härter ist?“ Er wollte dominant sein und mit Schmerz spielen. Ich war experimentierfreudig, aber spürte noch etwas: Druck, bloß nicht prüde rüberzukommen.

Bei meinen ersten Malen bin ich meinen männlichen Sexualpartnern gefolgt, ihren Bedürfnissen, ihrer Fantasie. Aber seine Frage hat etwas losgetreten: Was gefällt mir eigentlich?

Ich mag es, sein Körpergewicht auf mir zu spüren. Die Kraft beruhigt mich, wie eine schwere Decke. Ich genieße den leichten Schmerz, wenn er an meinen Nippeln zieht. Er fasst mich an – mehr als ich ihn. Ich weiß nicht ganz, wohin mit mir. Aber ich genieße seine Berührungen.

Es gefällt mir, wenn jemand anderes die Kontrolle übernimmt. Und der andere war bisher immer ein Mann. Ist das nicht total patriarchal? Ein Mann als Kämpfer und Beschützer. Der, im intimen Raum zwischen Lust und Unsicherheit, mit der Fackel den Weg ausleuchtet und sicher durch den Akt geleitet. Bis er mit dem Höhepunkt belohnt wird – oder was?

Das Bild vom starken Mann ist doch genau das, was ich außerhalb des Betts bekämpfen möchte; damit ich über mich selbst bestimmen kann, frei sein kann, Männer eben nicht die Vormachtstellung haben. Die Dinge, die meinem Schleimbereich (Danke für den Begriff an die Au­to­r*in­nen von „Wir kommen“) gefallen, findet mein Kopf irgendwie falsch.

Im Grunde geht es darum, inwieweit unser politisches Verständnis unsere Lust beeinflussen darf. Dabei ist es nicht nur Sexismus, der sich in den Raum zwischen nackte Körper drängen kann. Wenn ein weißer Typ total auf meinen Arsch fixiert ist und immer wieder betont, wie geil der bei Schwarzen Frauen ist. Wenn einer erzählt, dass er unbedingt mal mit einer Schwarzen Frau schlafen will, als sei Schwarzsein ein Faktor, der es zu einer ganz anderen Erfahrung macht. Wenn die Vorstellung existiert, Schwarze seien wilder oder Asia­t*in­nen unterwürfiger. Dann ist das exotisierend und vor allem rassistisch und beeinflusst nicht nur, wer mit wem Sex hat, sondern auch wie.

Dass das scheiße ist, da sind wir uns mehr oder weniger einig geworden. Gelöst haben wir das Problem nicht, aber es kommt mir zumindest so vor, als würde es weniger kontrovers diskutiert. Warum ist das beim Thema Sexismus anders? Und warum liege ich, wie so viele Frauen, doch mehr unten?

Bis heute hat sich das Verständnis der sexpositiven Bewegung aus dem Dritte-Welle-Feminismus gehalten: Beim Sex ist alles erlaubt, solange alle Beteiligten dem zustimmen. In ihrem Essay „Does anyone have the right to sex?“ wagt die Philosophin Amia Srinivasan eine ambivalentere Haltung. In ihrem Essay aus dem Jahr 2018 schreibt sie, wie wichtig der feministische und queere Kampf war, Sex von Scham, Stigma, Zwang und unerwünschtem Schmerz zu befreien. Sagen zu können, mein Begehren ist mein Begehren, es gehört zu meiner Identität – I’m born this way.

Trotzdem wäre es falsch, die Entstehung unserer Begierde gar nicht zu hinterfragen, sagt Srinivasan. Sonst sei jede Präferenz nur noch etwas Natürliches und nicht mehr auch politisch. Ein allein auf Consent basierter Feminismus laufe Gefahr, unter dem Deckmantel der persönlichen Vorliebe Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Transphobie oder Fettfeindlichkeit zuzulassen.

Ich genieße den leichten Schmerz, wenn er an meinen Nippeln zieht. Er fasst mich an, mehr als ich ihn

Worauf wir stehen, was uns sexuelle Lust bereitet, ist ziemlich komplex, weil Lust im Unterbewusstsein fußt. Wir wissen aber, dass die Gesellschaft, in der wir leben, und Erfahrungen, die wir machen, unsere Vorlieben und Fantasien prägen. Für sie kann niemand etwas. Vielleicht hätte ich gar keine Vorliebe, dominiert zu werden, wenn sich Hetero-Sex weniger um Penetration und den Mann drehen würde. Vielleicht wäre es anders in einer feministischen Utopie, in der keinem Geschlecht Stärke oder Schwäche, Dominanz oder Passivität zugeordnet wäre.

Srinivasan schreibt, der Feminismus solle in der Lage sein, die Gründe des Begehrens zu hinterfragen, aber ohne autoritär oder moralistisch zu werden, ohne Slut-Shaming, Prüderie oder Selbstverleugnung. Stimmt, denke ich: Anderen Personen ihre Lust abzusprechen und ihnen vorzuschreiben, was sie idealerweise geil finden, wie sie zu vögeln haben – das ist ja mal so was von unfeministisch.

Gleichzeitig finde ich das alles ziemlich verkopft. Ich fühle mich unter Druck gesetzt, und noch mehr Druck kann dieses Thema nicht gebrauchen. Wie oft haben sich meine Gedanken beim Sex schon überschlagen? Während er zwischen meinen Beinen liegt, kann ich die Berührungen nicht einfach genießen. Ich muss auch performen – und einen Orgasmus haben.

Als Frau verdiene ich ihn, denn guter gleichberechtigter Sex ist, wenn beide kommen. Als Feministin habe ich zu kommen, vorausgesetzt er macht es richtig – Stichwort Orgasm Gap. Und ja, das tut er, es fühlt sich gut an, er gibt sich Mühe, er will, dass ich komme. Auch, weil er sich so vergewissern kann, dass er gut im Bett ist. Aber genau dann klappt es nicht. Deshalb wünsche ich mir Sex, der mit weniger Erwartungen aufgeladen ist, der auf keiner Seite ein Anrecht auf Orgasmus braucht, um sich als Sex zu definieren.

Ich hoffe weitere Antworten bei der Kulturwissenschaftlerin Beate Absalon zu finden, die auch Workshops zu queer-feministischer Sexualität leitet. Sie hat zuletzt das Buch „Not giving a fuck“ geschrieben, in dem sie einlädt, gesellschaftliche Zwänge abzuschütteln, um Lust und Intimität erfinderischer anzugehen. Klingt nach dem passenden Perspektivwechsel.

Absalon erinnert an die Vielseitigkeit von Sex und daran, warum wir überhaupt Sex haben. Aus einem Bedürfnis nach Nähe zum Beispiel, gegen Stress, aus Neugierde nach etwas vermeintlich Verbotenem. „Oft wollen wir durch Sex unser Selbst stabilisieren, wollen normal, geliebt, gesund oder bewundert sein. Nur macht unser Begehren dem oft einen Strich durch die Rechnung, weil es so ambivalent ist und über bloßes Wohlfühlen hinausschießt“, sagt sie.

Sexuelle Fantasien wirkten bisweilen irritierend. Auch, weil es eine psychische Strategie sein kann, Gewalt- und Traumaerfahrungen zu sexualisieren, um sie zu verarbeiten. „Das widerspricht den sauberen und einfachen Kategorien, in die Sex so oft gesteckt wird.“ Umso schlimmer, findet sie, wenn Fantasien als „unfeministisch“ bewertet werden. Und regt an, sich zu fragen, woher der Wunsch nach feministischem Sex kommt. Gehe es darum, Unterdrückung zu bekämpfen, oder darum, wie nach einem „Reinheitsgebot“, auf der vermeintlich „richtigen“ Seite zu stehen?

Sex zu instrumentalisieren, werde im Feminismus oft kritisiert. „Das heißt aber auch, dass Sex nicht als Mittel für Empowerment und Gleichberechtigung herhalten sollte“, sagt sie. Da ist etwas dran, denke ich. Nur aus einem feministischen Gedanken heraus sollte ich weder Sex haben noch auf ihn verzichten. Dafür ist Sex viel zu intim.

Foto: Nicht nur eine Frage von Oben und Unten Foto: Medicimage/imago

Für Absalon ist Sex gerade dann am schönsten, wenn er nicht effizient sein muss. „Weil wir in ihm Lebendigkeit fühlen können: Lust, Unlust, Langeweile, Geilheit, Scham, Trost, Albernheiten, Traurigkeit, Awkwardness.“ Was bringe uns denn Perfektionismus beim Sex? In den komischen Momenten könnten wir unsere eigene Unvollkommenheit erleben und damit irgendwo auch das Menschsein.

Sich mit dem Patriarchat im Bett auseinanderzusetzen, heißt für mich, über die Machtdynamiken, die mein Gegenüber und ich mitbringen – Mann/Frau, schwarz/weiß, erfahren oder nicht –, sprechen zu können. Die Freiheit zu haben, Sex gemeinsam immer wieder neu zu definieren.

In letzter Zeit erlebe ich Sex viel spielerischer. Meine Finger tanzen über seinen Körper, erkunden ihn und fragen tastend, wie ich sich das anfühlt – bis auch mein Mund die Frage ausspricht. Wir kriechen ineinander, ohne einzudringen, lassen unsere Körper treiben. Wir wissen, wir könnten sofort aufhören, wenn sich etwas nicht gut anfühlt. Ob einer von uns oder beide einen Orgasmus haben, wir einen Lachanfall bekommen oder uns zärtlich in den Armen liegen, spielt keine Rolle.

Unser Begehren liegt nicht fertig gebacken in uns, schreibt Katharina Angel in ihrem Buch „Tomorrow Sex Will Be Good Again“. Das glaube ich auch. Es zu erkunden, ist kein abgeschlossener Prozess. Wir können unsere Muster verstehen und auflösen.

Wenn wir nackt wresteln und ich den Kampf darum, wer oben liegt, gewinne, finde ich es schön, zur Geberin zu werden. Und ich mag es weiterhin, wenn er die Kontrolle übernimmt und ich mich fallen lassen kann, das Schwirren meiner Gedanken pausiert. Das hat, egal, wie es von außen wirken mag, nichts Patriarchales. Denn der entscheidende Unterschied liegt darin, ob ich nur konsumiert werde oder wir den Sex gemeinsam gestalten – und ich mich aktiv hingebe.

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