: Albanese an der FU nicht erwünscht
Die UN-Sonderberichterstatterin sollte an der Freien Universität sprechen. Dann mischten sich der Regierende Bürgermeister und die Wissenschaftssenatorin ein. Es ist nicht die erste Absage
Von Daniel Bax
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einer „Schande“. Ron Prosor, der israelische Botschafter in Deutschland, fragte, ob die Freie Universität in Berlin ein „Trainingscamp für Hamas-Anhänger“ sei. Auch Volker Beck, Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft (DIG) protestierte. Am Ende erreichten sie, was sie wollten. Der an der FU geplante Vortrag von Francesca Albanese, der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, wurde abgesagt.
Albanese sei „in der Vergangenheit durch Israel-Hass und Verharmlosung der Hamas-Terrororganisation aufgefallen“, erklärte Wegner. Berlins Wissenschaftsenatorin Ina Czyborra sekundierte, aus ihrer Sicht erfüllten Albaneses Äußerungen „alle Kriterien des Antisemitismus“. Welche Kriterien das sind, beantwortete sie auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht.
Wegner forderte, dass die Universität die Veranstaltung unter dem Titel „Bedingungen eines Lebens, das zerstört werden soll. Rechtliche und forensische Perspektiven auf den laufenden Gaza-Genozid“ absagt.
Am Mittwochnachmittag knickte FU-Präsident Günter M. Ziegler ein und cancelte die Veranstaltung aus „Sicherheitsgründen“: „Angesichts der aktuellen Polarisierung und der nicht kalkulierbaren Sicherheitslage“ habe das Präsidium entschieden, dass die für den 19. Februar 2025 geplante wissenschaftliche Veranstaltung „nicht als öffentliche Präsenzveranstaltung“ stattfinden könne, erklärte Ziegler am Mittwochnachmittag. Albanese und den Veranstaltern bot er an, die Veranstaltung ersatzweise online durchzuführen. Diese lehnten ab.
An der Veranstaltung mit Albanese sollte auch Eyal Weizman teilnehmen, der Gründer der Rechercheagentur Forensic Architecture, der am Goldsmith College der Universität London lehrt. Auch er ist von der Absage betroffen. „Die Universität mag unsere Veranstaltung abgesagt haben. Aber wir fühlen uns verpflichtet, vor der Fakultät mit den Studenten und den Mitarbeitern zu sprechen, die uns eingeladen haben“, sagte Eyal Weizman der taz. Weizman und Albanese kündigten an, sich vor Ort mit allen, die kommen wollten, auseinandersetzen zu wollen.
Der Philosoph und Sozialwissenschaftler Robin Celikates, der an der FU lehrt, gehört zu dem Professoren, die Albanese eingeladen hatten. Er sieht die Vorwürfe in einer Reihe mit anderen Angriffen auf Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit sowie auf völkerrechtliche Prinzipien und Institutionen weltweit.
Die Entscheidung der Freien Universität sei „sehr beunruhigend“ und eine Gefahr für die Demokratie, erklärte Celikates der taz. Albanese sei eine international anerkannte Expertin für Völkerrecht und zudem UN-Sonderberichterstatterin, die an renommierten Universitäten von Princeton bis Wien regelmäßig Vorträge halte.
Kai Wegner (CDU)
„Wo, wenn nicht an der Universität, soll denn eine offene und kritische Diskussion und ein wissenschaftlicher Austausch über grundlegende Fragen des rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit kriegerischer Gewalt möglich sein?“, fragt Celikates. Dass sich manche Leute nicht über die beinah komplette Zerstörung Gazas empörten, sondern über jene, die darauf hinweisen, sage „viel über das Moral- und Rechtsverständnis derjenigen, die solche Diskussionen unterbinden wollen.“
Die FU Berlin ist nicht die erste deutsche Uni, die einen Vortrag von Albanese absagt. Die Ludwig-Maximilians-Universität in München hatte für einen am 16. Februar geplanten Vortrag eine Raumzusage storniert und ihre Entscheidung ebenfalls mit Sicherheitsbedenken gerechtfertigt.
Drei Professoren – der Musiker Michael Barenboim, die Wirtschaftswissenschaftlerin Christine Binzel und die Gesundheitsexpertin Hanna Kienzler – hatten das Vorgehen der LMU in einem offenen Brief als „zutiefst beunruhigend“ bezeichnet: Die Universität schaffe einen „gefährlichen Präzedenzfall“, um akademische Freiheiten einzuschränken, kritisierten sie.
Francesca Albanese ist eine scharfe Kritikerin Israels. Die 48-Jährige ist in Kampanien geboren, im Südwesten Italiens. Sie hat in Pisa und London Jura studiert und in Amsterdam promoviert. Seit vielen Jahren lehrt sie an Universitäten weltweit und referiert bei Kongressen über internationales Recht und Vertreibung, insbesondere im Nahen Osten: ein Thema, das durch Trumps Vertreibungspläne für Gaza neue Brisanz erhalten hat.
Albanese arbeitet bereits seit über einem Jahrzehnt für die Vereinten Nationen, sie hat unter anderem für den Hohen Kommissar für Menschenrechte und das Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) gewirkt. 2022 wurde sie zur UN-Sonderberichterstatterin ernannt, ihre dreijährige Amtszeit endet im Mai.
Bereits im März 2024 legte Albanese dem UN-Menschenrechtsrat einen Bericht vor, in dem sie Israel vorwarf, in Gaza einen Völkermord zu verüben. Israel wolle dort nicht nur die Hamas besiegen, sondern die Lebensgrundlagen der Menschen zerstören – eine Einschätzung, die von vielen Menschenrechtsorganisationen geteilt wird.
Albanese spricht außerdem von „Apartheid“ und einem „kolonialen Siedlerprojekt“, sie fordert ein Waffenembargo sowie weitere Sanktionen gegen Israel. Auch stellte sie das Massaker vom 7. Oktober in direkten Zusammenhang mit der „israelischen Unterdrückung“. Seit Februar 2024 darf sie deshalb nicht mehr nach Israel einreisen.
Am Samstag, den 15. Februar wird Albanese in München bei der „Münchner Friedenskonferenz“ auftreten, der erklärten Gegenveranstaltung zur Sicherheitskonferenz. Die Friedenskonferenz musste sich deswegen neue Räume suchen: Die Katholische Akademie in Bayern hatte im Dezember kurzfristig den Mietvertrag gekündigt, nachdem sie das Programm der Konferenz gesehen hatte.
In Berlin wird Francesca Albanese am kommenden Dienstag bei einer Konferenz der Partei DiEM von Yanis Varoufakis und der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden“ sprechen. Diese beiden, nicht universitären Termine stehen bisher nicht in Frage.
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