ortsgespräch: Der Freiheitsfonds kauft Schwarzfahrer*innen frei, und Armut wird nun doch weiter bestraft
Nichts anderes als eine Kriminalisierung von Armut ist die Strafbarkeit von Fahren ohne Fahrschein. Das zeigt die Aktion der Initiative Freiheitsfonds, die am Dienstag 60 Schwarzfahrer*innen in acht Bundesländern aus Gefängnissen freikaufte. In Berlin kamen die Aktivist*innen mit 3.400 Euro Bargeld in die Justizvollzugsanstalt Plötzensee und kauften dort sechs Gefangene frei. Unter ihnen ein Mann, der ohne den Freiheitsfonds seine Wohnung verloren hätte. Das ist häufig der Fall bei Strafen von über sechs Monaten, weil das Sozialamt die Miete nur so lange übernimmt.
Wochenlange Inhaftierung, drohende Obdachlosigkeit, psychische Probleme, Stigmatisierung: und das bloß, weil man kein Ticket gelöst hat? Klingt reichlich übertrieben – ist es auch. Kein Wunder, wurde der Tatbestand doch 1935 von den Nazis eingeführt. Und so passt es, dass vor allem Arbeitslose, Mittellose, Menschen ohne festen Wohnsitz oder Suchtkranke betroffen sind – die sind alten und neuen Nazis ja seit jeher ein Dorn im Auge.
Dass das menschenfeindliche Nazigesetz weg muss, ist daher den meisten demokratischen Parteien klar. Schließlich sind laut Umfragen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung für eine Entkriminalisierung von Schwarzfahren. Eine Reform war von der Ampelkoalition daher schon lange geplant, seit dieser Woche aber ist klar: Vor den Neuwahlen wird das nichts mehr.
Allerdings hätte die von der FDP vorgesehene Herabstufung des Schwarzfahrens von einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit ohnehin wenig bewirkt: Am Ende müssen die Betroffenen trotzdem in den Knast. Statt wie jetzt eine Ersatzfreiheitsstrafe abzusitzen, landen sie dann in Erzwingungshaft. Und danach sind nicht mal die Schulden getilgt, die Geldbuße muss trotzdem noch bezahlt werden.
Dabei ist die im Gegensatz zu den Haftkosten lächerlich gering: Im Schnitt kostet jeder Häftling den Staat mehr als 200 Euro am Tag. Und die 9.000 Menschen, die jährlich für dieses Bagatelldelikt weggesperrt werden, werden nicht nur für einen Tag verknackt. Der eingangs erwähnte Mann sollte 217 Tage einsitzen. Ein 59-Jähriger aus Frankfurt am Main, der ebenfalls am Dienstag befreit wurde, sollte sogar für 331 Tage hinter Gitter. Und so profitieren vom Freiheitsfonds nicht nur die Betroffenen, sondern auch der Staat: Bislang wurden laut Kampagne mit 1 Million Euro Spendengeld 1.190 Menschen freigekauft – was die Steuerzahler*innen über 17 Millionen Euro Kosten erspart habe. Würde der Staat aufhören, das Inkassounternehmen für die Verkehrsbetriebe zu spielen, könnte er laut Expert*innen pro Jahr 120 Millionen Euro einsparen. Und obendrein würden die völlig überlastete Justiz und die überfüllten Gefängnisse entlastet.
Angesichts dessen fordern nicht nur Wissenschaftler*innen, Menschenrechtler*innen, Jurist*innen, Aktivist*innen und die Linkspartei, die „Beförderungserschleichung“ nicht mehr zu ahnden. Auch viele Gefängnisleitungen, wie der Chef der JVA Plötzensee, sprechen sich dafür aus und wenden sich immer wieder an den Freiheitsfonds mit der Bitte, ihre Insass*innen freizukaufen.
Das wird dieser wohl auch weiterhin tun müssen. Zwar verspricht die SPD, in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf zur Entkriminalisierung von Schwarzfahren zu unternehmen. Doch das ist mit der CDU – derzeit laut Umfragen vor der rechtsextremen AfD stärkste Kraft – nicht zu machen. Im Gegenteil, wie nicht zuletzt der Fall der Brandmauer diese Woche gezeigt hat, treten die Christdemokrat*innen derzeit fleißig nach unten und werden sich hüten, armen und marginalisierten Menschen zu helfen. Marie Frank
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