Regisseur über türkische Macht im Kosovo: „Gott liefert man nicht aus“
Der lange Arm der Türkei in Kosovo: Davon erzählt Jeton Nezirajs Theaterstück „Six against Turkey“ und dessen Absetzung in der Stadt Prizren.
taz: Jeton Neziraj, Ihr Stück „Six against Turkey“ wurde im Stadttheater Prizren unter fragwürdigen Umständen plötzlich abgesagt. Wie kam es dazu?
Jeton Neziraj: Als offizieller Grund für die Absage wurden technische Probleme mit der Heizung angegeben. Es gab aber auch die Aufforderung von einer türkischen Kleinstpartei in Kosovo (der YTHP, Anm. d. Autors) an den Bürgermeister der Stadt, die Aufführung zu verbieten.
1977 in Kaçanik in Kosovo geboren. Neziraj hat Theater an der Universität von Prishtina studiert und gelehrt. Seine Theaterstücke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und wurden in Kosovo, im europäischen Ausland sowie in den USA gespielt.
taz: Mit welcher Begründung?
Neziraj: Sie verletze angeblich die türkischen Interessen, sei gegen Präsident Erdoğan gerichtet, der auch Ehrenbürger von Prizren ist, sowie gegen die Werte der türkischen Community in Kosovo. Dazu muss man sagen, dass das Stück schon mehrfach in Kosovo aufgeführt wurde. Vom Theaterleiter in Prizren wurde es gerade wegen seiner Themen und der Tatsache, dass es in der Stadt eine starke türkische Community gibt, eingeladen. Von den Menschen dort erhielten wir ebenso positiven Zuspruch. Später fanden wir heraus, dass die Sache viel größer war. Wir erfuhren, dass die türkische Botschaft direkten Druck auf die Stadtverwaltung von Prizren ausübte.
taz: Wie geht es nun weiter? Warten Sie auf den Frühling, damit die Heizung nicht mehr als Grund angegeben werden kann, um „Six against Turkey“ auch in Prizren zeigen zu können?
Neziraj: Die Heizung ist nicht das Problem. Zwei Tage später war alles repariert. Und der Intendant will uns auch weiter haben. Er hat es nur nicht unmittelbar danach versucht, weil die Aufregung im Land groß war. Es wurde als Skandal gesehen, dass eine ausländische Macht so viel Einfluss im Land hat. Die Mehrheit der Bevölkerung vertritt europäische Werte.
taz: Ihr Stück basiert auf einem Skandal von 2018, bei dem sechs türkische Staatsbürger, die als Anhänger von Erdoğans Gegenspieler, dem unlängst verstorbenen Fethullah Gülen galten, aus dem Kosovo an die Türkei ausgeliefert wurden. Die Reaktionen damals waren durchaus heftig. Der damalige Innenminister Flamur Sefaj, in dessen Verantwortung die Ausweisung stand, wurde anschließend entlassen. Auch der kosovarische Geheimdienstchef musste seinen Posten räumen. Eine parlamentarische Untersuchungskommission wurde eingerichtet. Und Politiker aus Kosovo bezeichneten die Deportation als „dunkelste Stunde in der Geschichte des Landes seit der Unabhängigkeit“. Wie haben Sie die Reaktionen wahrgenommen?
Neziraj: Die meisten Leute waren geschockt. Sie konnten gar nicht verstehen, was da abgelaufen war und fragten sich, wie es möglich sei, dass eine solche mafiaähnliche Operation stattfinden konnte. Hinzu kam, dass Gastfreundschaft bei uns geradezu als heilig gilt. Der Gast ist gewissermaßen Gott. Und Gott liefert man nicht aus. Zugleich zeigte der Vorfall auch, wie fragil der kosovarische Staat ist. Das traumatisierte viele Menschen.
taz: Als Sie das Thema aufgriffen, das Stück schrieben und schließlich die Proben begannen, erfuhren Sie in der Zeit schon Druck von türkischer Seite?
Neziraj: Wir wurden sehr häufig über die sozialen Medien bedroht. Wir nehmen das aber nicht sonderlich ernst, weil wir das schon aus anderen Produktionen kennen, etwa „Balkan Bordello“ (über die Balkankriege und die Taktiken der europäischen Mächte dabei) oder „Fifty Shades of Gay“ (über Homosexualität in Kosovo). Das war also nichts Neues.
Wir hatten in der Produktion aber ursprünglich zwei türkische Schauspieler, einen aus der Türkei und einen aus Deutschland. Denn wir wollten auch ihre Perspektiven und ihr Wissen in das Stück einbringen. Beide zogen sich aus Angst vor Repressalien aber zurück.
Dass der türkische Schauspieler aus Deutschland nach einigen Probetagen absagte, zeigte uns, dass der Arm des türkischen Staates auch bis ins Ausland reicht und die Angst davor groß ist. Das beunruhigte das gesamte Team. Als die Premiere näher rückte, erfuhren wir zudem, dass die türkische Botschaft Druck auf die Regierung ausübte, besonders auf das Kulturministerium und das Außenministerium, um unsere Show zu verbieten. Uns sollte die Förderung entzogen werden und die Regierung sollte sich vom Stück distanzieren, so die Forderung seitens der Türkei.
taz: Trotz des Drucks knickten die kosovarischen Ministerien nicht ein und Sie konnten die Produktion umsetzen und aufführen.
Neziraj: Ich war positiv überrascht. Denn es gab keine Anstalten, auf uns einzuwirken, uns zu sagen, dass wir vorsichtig sein sollten in diesem oder jenen Aspekt oder dass unsere Förderung in Gefahr sei. Nichts davon. Aber ehrlich gesagt, ist es auch das, was wir erwarten. Einen Schritt weiter, und das hat mich dann doch überrascht, ging der Kulturminister. Bei der Verleihung eines Theaterpreises an mich sagte er vor der versammelten Presse, dass er unsere Arbeit unterstütze und solidarisch mit uns sei, gerade bei den aktuellen Herausforderungen. Und es war klar, dass er sich dabei auch auf dieses Stück bezog.
taz: In „Six against Turkey“ fällt der wichtige Satz: „Theater ist der Lärm, den man macht, um die Angst zu überwinden.“ Glauben Sie, dass Sie wieder in die Türkei fahren werden, gar dass Ihr Stück in der Türkei mal von einem Theater oder einem Festival eingeladen werden kann?
Neziraj: Gegenwärtig verzichte ich darauf, in die Türkei zu fahren. Ich denke aber, es wird der Moment kommen, dass ein Theater oder ein Festival in der Türkei uns einlädt. Das wird wohl nicht in unmittelbarer Zukunft geschehen, aber wir sehen auch, dass Veränderungen in unserer Zeit ziemlich plötzlich passieren, und es muss sich ja nicht immer um Veränderungen zum Schlechten hin handeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!