: Eine Stadt macht sich auf
In einer sizilianischen Kleinstadt gelingt es einer Initiative, fast alle Geflüchteten in Arbeit zu bringen – obwohl die Stadt von der rechten Fratelli d’Italia regiert wird. Eine Erfolgsgeschichte
Aus Piazza Armerina Augustin Campo und Stefanie Ludwig (Text und Fotos)
Laute Musik schallt durch die geöffnete Glastür des Friseursalons, hinaus in die sizilianische Kleinstadt Piazza Armerina. Nebenan meint man bei genauem Hinsehen das verstaubte Fensterglas der mit „Zu verkaufen“-Schildern versehenen Altstadtfassaden vom Bass vibrieren zu sehen. Hinter den frisch geputzten Scheiben des Gebäudes mit der Nummer 21 schwingt der Ladenbesitzer, Israel Assien, in schwarzer Jogginghose und caramelfarbenem Polohemd seinen Besen über den gefliesten Boden. Auf einem Bildschirm an der Decke läuft ein Musikvideo à la Afrobeat. Gerade noch so hört man die Ladenklingel. Ein Bekannter des 24-jährigen Friseurs braucht einen neuen Haarschnitt. „Du kannst gleich dableiben“, sagt Assien und weist mit lässiger Geste in Richtung des einzigen Friseurstuhls im Raum.
„Ich bin der einzige schwarze Typ mit einem Laden hier“, sagt Assien, als der frisch Frisierte wieder aus der Tür raus ist. Im Juni 2023 hat der junge Nigerianer aus Edo State seinen Laden eröffnet. Noch vor ein paar Jahren wäre das in der Kleinstadt im Landesinneren von Sizilien schwer vorstellbar gewesen. „Piazza Armerina liegt nicht etwa am Meer, es ist eine Enklave im Landesinneren“, erklärt Gaspare Di Stefano. Dort gehörten Migrant*innen, generell Menschen von außerhalb, viel weniger zum Stadtbild, sagt der Psychologe, der seit fünf Jahren in einem Berufsintegrationszentrum arbeitet, das Migranten bei der Arbeitssuche unterstützt.
Vor zehn Jahren hat in Piazza Armerina, einer konservativ-katholischen Stadt, mit malerisch ansteigenden Gassen und einer imposanten Kathedrale, eine langsame Entwicklung begonnen. Seit 2011 gibt es ein Aufnahmezentrum für Geflüchtete und Asylbewerber in der Kleinstadt, das von der Vereinigung Don Bosco 2000 geleitet wird. Dank des unermüdlichen Einsatzes der 17 Mitarbeiter erhalten fast alle Menschen, die dort seither aufgenommen werden, eine Aufenthaltsgenehmigung. Laut den Verantwortlichen gab es seit Bestehen nur einen Fall, bei dem eine Person in Abschiebehaft musste.
Das hat Auswirkungen auf die Stadtbevölkerung. Der Ausländeranteil der 20.000-Einwohner-Stadt liegt heute bei rund 5 Prozent. Laut einem Bericht des Italienischen Statistikamts (Istat) von 2023 kommen 1.130 Menschen aus dem Ausland, 937 davon aus außereuropäischen Ländern – von ihnen sind 40 Prozent Frauen.
Allein an Israel Assiens Kunden zeigt sich, dass die Stadt sich geöffnet hat. Unter anderem Nigerianer, Gambier und Italiener geben sich hier die Klinke in die Hand. Vor Assiens Geschäft mischen sich Sprachfetzen aus aller Herren Länder. Nigerianer sind in Piazza Armerina die zweitgrößte ausländische Gemeinschaft mit 107 Zugehörigen, an erster Stelle stehen Somalier mit 155 und die dritte Gruppe bilden Marokkaner mit 72 Menschen. Das Stadtbild des mittelalterlich geprägten Ortes, seit 1817 Bischofssitz mit Klöstern diverser Ordensgemeinschaften, ist nicht mehr wiederzuerkennen: Auf den öffentlichen Plätzen sitzen nicht mehr nur ältere italienische Herren auf ihren Bänken, sondern gleich nebenan junge Menschen von überall her.
Für Piazza Armerina und die gesamte Region Sizilien ist diese Entwicklung eine Chance. Der Mittelmeerinsel, die heute eine Bevölkerungszahl von 4,7 Millionen Menschen hat, droht bis zum Jahr 2050 ein Bevölkerungsrückgang auf 3,5 Millionen Einwohner:innen. Vor allem junge Menschen ziehen vom Süden Italiens weg in Richtung Norden.
Die Provinz Enna, zu der auch Piazza Armerina gehört, ist von Abwanderung besonders betroffen. Allein in den vergangenen vier Jahren ist die Bevölkerungszahl in der Provinz um 7.000 Einwohner:innen gesunken. „Durch Abwanderung und eine niedrige Geburtenrate wird die Region sich immer mehr entvölkern, Boden wird nicht mehr kultiviert und sich selbst überlassen. Migration ist eine Chance, weil Migranten die Gebiete übernehmen und beleben können“, sagt di Stefano.
Samantha Barresi, Zentrumskoordinatorin bei Don Bosco 2000, teilt die Ansicht des Psychologen: „Durch Migration findet eine Wiederbevölkerung statt. Wenn Häuser im historischen Zentrum, die lange leer standen, angemietet werden, Exilanten in der Gastronomie oder in der Landwirtschaft arbeiten, ist das offensichtlich ein positiver Trend.“ Für die Koordinatorin mache das auch den Unterschied zu anderen Kommunen aus: „In Piazza Armerina gibt es viele Geflüchtete, die bleiben und hier arbeiten.“
In Assiens Haarsalon geht wieder die Ladenklingel. Edith Onome, Verantwortliche für die berufliche Integration bei Don Bosco 2000 und Assiens engste Vertraute, stattet ihrem Schützling einen Besuch ab. „Mama“, sagt Assien bei der Begrüßung, und seine eben noch müden Augen werden wach.
Die 45-jährige Nigerianerin, die mindestens einen Kopf kleiner ist, lacht und verdreht kurz ihre freundlichen Augen hinter den runden Brillengläsern. Später in ihrem Büro in den Räumlichkeiten der Vereinigung im Stadtzentrum sagt sie über ihre Rolle als wichtigste Vertrauensperson, die sie für viele der jungen Migranten übernommen hat: „Ich sage ihnen immer, sie sollen mich Edith nennen, nicht Mama. Aber in Afrika ist das auch ein Zeichen des Respekts gegenüber Älteren.“ Ihr 18-jähriger Sohn, der anders als sie in Italien aufgewachsen ist, sei darüber jedenfalls wenig erfreut.
Im Jahr 2019 kam Israel Assien ins Zentrum von Don Bosco 2000 und wurde von Edith direkt unter ihre Fittiche genommen. Als Ansprechpartnerin für allerlei Sorgen hilft sie nicht nur bei der Arbeitssuche und bürokratischen Anliegen. Assien erinnert sich: „Wenn ich daran dachte, was mir passiert ist, fühlte ich mich einsam und traurig. Ich war plötzlich wütend, ohne jeden Grund. Edith ist die Einzige, die mich beruhigen konnte.“
Über seine Vergangenheit spricht der auf den ersten Blick schüchterne Friseur wenig. Obwohl er mittlerweile eine Aufenthaltsgenehmigung hat, ist er bislang noch nicht nach Nigeria zurückgereist. „Er hat in seiner Heimat sein Leben riskiert“, verrät Onome, die mit Assien abwechselnd auf Englisch, Italienisch und in Pidgin spricht. Ein Besuch bei der Psychologin des Zentrums habe ihm geholfen, die traumatischen Erlebnisse in seiner Heimat und auf dem Weg über Libyen und das Mittelmeer nach Europa zu verarbeiten. „Am Anfang wollte er nicht hingehen, keiner will das. In Afrika glauben wir nicht daran. Sie sagen: Ich brauche das nicht. Aber schon nach dem ersten Termin dort rief Israel mich an und meinte: Wann gehen wir wieder in die Therapie?“, erzählt Onome und lacht bei der Erinnerung an seinen Anruf laut, und ihr Zopf fliegt durch die Luft. Jetzt lacht auch Assien – heute geht das wieder.
Onome schätzt, dass von 95 Zentrumsbewohnern etwa 40 eine Therapie benötigen, ein Jahr wird dafür angesetzt. „Stress, Trauma, Gewalt, in ihrer Heimat und auf der Reise, und keine Möglichkeit, mit jemandem darüber zu sprechen. Für einen jungen Menschen ist es nicht leicht, durch so eine Hölle zu gehen“, sagt sie. Onome erzählt von einem aktuellen Fall: Ein junger Zentrumsbewohner aus Bangladesch, der seit drei Tagen nicht schläft und nachts durch die Gänge geht, „weil er immer, wenn er die Augen schließt, vor sich sieht, was er auf der Reise erlebt hat“. So etwas wie eine Art Alltag wiederzufinden braucht seine Zeit.
Neben einer psychologischen Betreuung, falls diese notwendig ist, findet im Zentrum von Don Bosco 2000 vom ersten Tag an drei Monate lang täglich ein Sprachkurs statt, der dann an einer öffentlichen Schule weitergeht. Mindestens genauso wichtig: Schnell wird nach einem Praktikum oder einer Arbeit für die Neuen gesucht. Im zurückliegenden Jahr wurden im Zentrum 65 Arbeits- und 17 Praktikumsverträge unterzeichnet.
Für eine Aufenthaltsgenehmigung sei das wesentlich, sagt Giuseppe Birritella, Jurist bei Don Bosco 2000. „Die meisten jungen Menschen erhalten ihre Papiere erst, nachdem sie in Berufung gegangen sind, weil die erste Kommission ihnen keinen Schutz anerkannt hat, zum Beispiel, weil sie aus Ländern kommen, die als ,sicher‘ angesehen werden. In der Zwischenzeit versuchen wir einen Arbeitsvertrag vorzulegen, sodass wir nachweisen können, dass der Integrationsprozess bereits in vollem Gange ist. Das funktioniert fast immer“, so der Jurist. Seine Arbeit wurde allerdings durch ein Dekret der rechtsextremen Regierung von Giorgia Meloni im Mai 2023 um einiges erschwert, weil die Zeitspanne, in der Geflüchtete in Berufung gehen können, von 30 auf 15 Tage halbiert wurde.
Eine solch umfängliche Begleitung für Geflüchtete auf juristischer, psychologischer, beruflicher und bürokratischer Ebene wie im Aufnahmezentrum von Piazza Armerina ist in Italien nicht der Normalfall. Weil die Vereinigung, die sieben Aufnahmezentren auf Sizilien leitet und 120 Mitarbeitende hat – 40 davon aus dem Ausland – mehrere wirtschaftliche Standbeine hat, ist das hier möglich. Zu den wirtschaftlichen Aktivitäten des Sozialunternehmens, das seinen Namen dem Heiligen Don Bosco gewidmet hat, gehören ein solidarisches Hotel in Catania, das ausschließlich von Exilanten geführt wird, eine Kulturbar und ein Geschäft, das Kleidung mit afrikanischen Motiven verkauft. Die Gewinne werden unter anderem dazu verwendet, jedem Geflüchteten die gleiche Betreuung zu garantieren.
Offiziell beherbergt Don Bosco 2000 zwei Zentren in einer Einrichtung: das Erstaufnahmezentrum CAS, für das pro Tag und Person 26 Euro von den Behörden gezahlt werden, und das Integrationszentrum SAI, das mit 35 Euro pro Tag und Person subventioniert wird. „Das CAS-Geld reicht gerade mal dafür, um den Menschen Essen und Trinken zu geben“, so Agostino Sella. Er ist Salesianer und hat gemeinsam mit seiner Frau Cinzia Vela das Zentrum gegründet. Beide legen Wert darauf, trotz der unterschiedlich hohen Subventionen für alle Geflüchteten gleich viel Mittel bereitzustellen.
Diese Philosophie läuft der Politik zuwider: Schon seit 2018, als die extreme Rechte in Italien an die Macht kam, wurden Maßnahmen wie Sprachkurse, juristische, berufliche und psychologische Unterstützung vom damaligen Innenminister Matteo Salvini für die Erstaufnahmezentren, die CAS, abgeschafft. Heute sollen sie als Übergangszentren für einen kurzen Aufenthalt dienen, nehmen in der Realität aber immer häufiger Migranten für längere Zeiträume auf – obwohl dort keinerlei Integrationsarbeit mehr stattfindet. Diese Zentren werden von der Präfektur, der regionalen Vertretung der Zentralregierung, verwaltet und haben häufig hohe Kapazitäten. Mehrere Hundert Geflüchtete kommen darin unter.
Samantha Barresi, Don Bosco 2000
Die sogenannten Aufnahme- und Integrationszentren (SAI), die von den Gemeinden verwaltet werden, haben hingegen zum Ziel, Migranten bestmöglich bei der Integration zu unterstützen. Aber hierher kommt nur noch, wer bereits Aufenthaltspapiere hat.
Die NGO Borderline Europe kritisiert diese Politik in einem Bericht vom Dezember 2022: „Die CAS wurden als außerordentliche Aufnahmezentren geschaffen, sie sollten also nur in Notfällen genutzt werden, stellen heute im Grunde genommen aber das normale, das reguläre Aufnahmesystem dar, zumindest in Sizilien.“ Don-Bosco-2000-Gründer Agostino Sella geht noch einen Schritt weiter: „Auf diese Weise wird die Integration von Flüchtlingen in das Land absichtlich erschwert.“
Die Regierung Meloni verfolgt eine Vielzahl von Maßnahmen mit diesem Ziel, darunter eine sehr kostspielige: Statt Integration sollen in Sizilien bis 2025 vier neue Abschiebezentren gebaut werden, in ganz Italien wird von 9 bereits bestehenden auf 23 erhöht – abgeschoben wird unter anderem wegen bürokratischer Hindernisse und mangelnder Kooperation des Heimatlandes aber kaum.
Auf der anderen Seite hat das alternde Italien noch nie so viele Menschen mit Arbeitsvisum ins Land geholt wie jetzt – zwischen 2023 und 2025 sind es 500.000 ausländische Arbeitskräfte. Agostino Sella reagiert darauf mit Unverständnis: „Um Wählerstimmen zu gewinnen, wiederholen sie, dass man abschieben muss. Auf der anderen Seite aber werden Abkommen mit Tunesien geschlossen, um Arbeiter ins Land zu holen, obwohl wir hier schon Leute haben, die schon Italienisch sprechen, das Gebiet kennen und ausgebildet sind. Es ist absurd.“
Auch auf lokaler Ebene ist in Piazza Armerina wenig Rückhalt zu erwarten. Es ist vor allem der Bedarf an Arbeitskräften, der Migranten unentbehrlich macht. Sella sagt: „Erst sind die Menschen skeptisch, wenn sie dann aber einen Koch in ihrer Küche benötigen und einen afrikanischen Koch finden, sagen sie: Gott sei Dank gibt es einen afrikanischen Koch.“
Aus dem Rathaus gibt es wenig Unterstützung für die Initiative, dort stellt die rechtsextreme Partei Fratelli d’Italia den Bürgermeister. Der reagiert nicht auf Anfragen. Die Mitarbeiter von Don Bosco 2000 sagen, dass eine Kooperation häufig schwierig sei.
In einem feindlich gesinnten Umfeld, auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene, wo die Asylpolitik zuletzt ebenfalls verschärft wurde, leistet Don Bosco 2000 also Widerstand. Diejenigen, die in den Räumlichkeiten der Vereinigung untergebracht sind, können sich glücklich schätzen. Dazu gehört auch Israel Assien. Nach seiner Ankunft im Zentrum arbeitete er in verschiedenen Jobs – auch in der Landwirtschaft. „Er ist ein guter Arbeiter, das haben die Arbeitgeber gleich gesehen. Später riefen sogar welche bei mir an, um zu fragen, wann Israel wiederkomme“, sagt Edith Onome, die mit über 30 Arbeitgebern in Piazza Armerina in Kontakt steht und von ihrem Netzwerk bei der Arbeitssuche täglich Gebrauch macht.
Weil Israel Assien schon in seiner Heimat und später in Libyen Haare schnitt, verschaffte ihm Onome ein Praktikum bei einem Friseur in der Stadt. Luca, so heißt Assiens erster Arbeitgeber, ist inzwischen ein guter Freund des Nigerianers geworden. Assien vergisst seine Schüchternheit, wenn er von ihm spricht. Der Mittvierziger war es auch, der dem jungen Nigerianer ans Herz legte, seinen eigenen Laden zu eröffnen. Jetzt schickt er ihm regelmäßig Kunden rüber ins Geschäft. „Ohne Edith, Samantha und Luca wäre das alles nicht möglich gewesen. Sie haben mir die ganze Zeit geholfen“, sagt Assien.
Das Zentrum stellte für seinen Salon einen Fördermittelantrag beim Staat, sodass Assien für den Beginn seiner Selbstständigkeit mit 5.000 Euro unterstützt wurde. Während der ersten Monate half ihm Don Bosco 2000 außerdem finanziell, da wohnte er schon nicht mehr im Zentrum, sondern in einer eigenen Wohnung in der Innenstadt. Die Hilfe der Vereinigung geht auch über die Dauer des Aufenthalts dort hinaus. „Seit zehn Monaten läuft das Geschäft“, sagt Assien, lässig an den Türrahmen gelehnt, von wo aus er Edith Onome zum Abschied zuwinkt. Die Tage schaue sie mal wieder vorbei, sagt sie noch im Gehen. Seinen Laden schließt er heute, wie so oft, erst nach 20 Uhr. Ein marokkanischer Bekannter, der für einen Haarschnitt zweimal im Monat aus dem 30 Kilometer entfernten Enna nach Piazza Armerina fährt, hat noch einen Termin bei ihm.
Nur ein paar Meter weiter füllen sich um dieselbe Zeit die Terrassen der wenigen Restaurants der Stadt. In dem Restaurant Pizzeria Pizza & Core tragen Servicekräfte unter den Blicken ihres Chefs, Danilo Conti, Pizzen nach draußen. Contis Familie betreibt drei Restaurants und einen Club in der Stadt. Seit 20 Jahren arbeiten sie auch mit ausländischen Arbeitskräften. Für die lokale Wirtschaft würden diese seit zehn Jahren eine wichtige Rolle spielen, meint der Restaurantchef und ergänzt: „Ich melde mich ungefähr einmal im Monat bei Edith, weil es immer jemanden gibt, der von hier weggeht.“
Aktuell sei sein Team zu neunt, die Hälfte des Personals stamme aus dem Ausland – alle kamen über Don Bosco 2000. „Viele der jungen Italiener wollen weg, nach London oder nach Spanien. Manche wollen den Job auch einfach nicht machen“, sagt Conti mit leiser Stimme. Dass viele ausländische Arbeitskräfte keine Vorerfahrung im Bereich der Gastronomie mitbrächten, sei nicht weiter schlimm. „Wenn du den Willen hast und etwas Leidenschaft mitbringst, selbst wenn es nur darum geht, eine Zucchini zu schneiden, dann lernst du jeden Tag ein bisschen dazu“, so der italienische Inhaber.
Hinter der Theke des Restaurants bearbeitet Saiful seit eineinhalb Jahren Pizzaiolo hier, und konzentriert sich auf den Pizzateig. Der 19-Jährige mit dem kindlichen Gesicht und dem Oberlippenbart kam als Minderjähriger aus Bangladesch nach Sizilien und schließlich ins Zentrum von Don Bosco 2000. „Saiful ist mit Leidenschaft und Herz dabei“, meint Conti. Der junge Pizzabäcker reicht den Pizzaboden an seinen marokkanischen Kollegen weiter. „In meiner Kindheit habe ich viel Zeit mit meiner Mutter in der Küche verbracht. Seither habe ich mir gewünscht, Koch zu werden“, sagt Saiful, seine Finger versinken in Mehl.
Am nächsten Morgen an ihrem Schreibtisch in den Räumlichkeiten von Don Bosco 2000 verrät Edith Onome, wie sie bei der Arbeitssuche vorgeht: „Ich setze mich mit der Person zusammen und wir besprechen Wünsche und Fähigkeiten, die er oder sie mitbringt.“ Wer aus Bangladesch kommt – aktuell die größte Migrantengruppe im Zentrum – sagt sie, will fast immer in der Gastronomie arbeiten. So auch Saifuls Mitbewohner Sharif, der in seiner Heimat Näher war. In Piazza Armerina arbeitete er zunächst in seinem Beruf, wechselte dann aber in eines der Restaurants im historischen Zentrum und ließ sich als Koch ausbilden.
Vor acht Monaten haben die beiden Jungs aus Bangladesch Don Bosco 2000 verlassen, um mit zwei weiteren Landsleuten in ihre erste eigene Wohnung zu ziehen. Auch hier hilft die Vereinigung. Trotzdem bleibt die Wohnungssuche eine Herausforderung. „Eine Wohnung zu finden, ist sehr, sehr schwierig“, sagt Onome und stützt ihren Kopf auf ihre Hände mit den rot lackierten Fingernägeln. „Viele haben kein Vertrauen, weil es in der Vergangenheit einen Vorfall gab, bei dem afrikanische Mieter aus der Wohnung ausgezogen sind, ohne die Miete, Licht und Wasser zu zahlen“, ergänzt sie. Seither würden viele Mieter ihre Wohnungen lieber leer stehen lassen, statt an Ausländer zu vermieten. Piazza Armerina ist noch weit davon entfernt, frei von Rassismus zu sein.
Onome erzählt, dass sie erst vor Kurzem eine ältere Frau angesprochen habe, die Frau habe gesagt: Diese jungen Schwarzen, die da nebenan wohnten, die halte sie nicht mehr aus. „Ich habe sie angeschaut und gefragt: Signora, was meinen Sie, was für eine Hautfarbe ich habe? Sie meinte dann: Aber sie sind doch Italienerin, sie sind mit einem Italiener verheiratet. Ich antwortete: Signora, ich bin schwarz“, erzählt Onome, und ihr freundliches Gesicht mit den offenen Augen verzieht sich vor Wut.
Die Nigerianerin kennt die Schwierigkeiten gut, die Migranten erleben, und den Rassismus, dem sie teils ausgesetzt sind: Als sie 1998 mit einem Touristenvisum aus Delta State in Nigeria nach Piazza Armerina kam, war sie „die erste Afrikanerin in der Stadt“, wie sie sagt. „Schlimm, brutal“ sind die Worte, die ihr in den Sinn kommen, wenn sie sich daran erinnert. Sie sei nur auf die Arbeit und wieder nach Hause gegangen, um die ständigen „wenig wohlwollenden“ Blicke zu vermeiden. Seit sieben, acht Jahren, schätzt sie, seien Ausländer auf den Straßen mehr zur Normalität geworden. „Aber wir arbeiten weiter dran“, sagt sie.
Keine fünf Sekunden später klopft es an ihrer Bürotür: Isaka, aus einer Region im Norden von Burkina Faso stammend, in der es immer wieder Angriffe von Dschihadisten gibt, schiebt seine Nase durch die einen Spalt geöffnete Tür. Er hat einen Termin mit Onome, die ihn bittet, hereinzukommen. Sichtlich angespannt bleibt der knapp 20-Jährige im Raum stehen, abwartend. „Heute kam die Bestätigung deiner Aufenthaltsgenehmigung – für fünf Jahre“, lässt Onome ihn nicht lange warten. Da sackt Isaka in sich zusammen, als würde man Luft aus einem Ballon lassen, und wirft ungläubig die Hände vors Gesicht. Dann fällt er Edith Onome und ihren Kollegen in die Arme.
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