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Fragiler Frieden

Nach der Machtübernahme der islamistischen Gruppe Hai’at Tahrir asch-Scham sind viele Chris­t*in­nen in Syrien besorgt. Zwar hat sich die neue Regierung den Schutz der Minderheit auf die Fahne geschrieben, doch es kommt immer wieder zu gewalttätigen Zwischenfällen.Auch in der christlichen Stadt Maalula

Von einer Kleinstadt zum Dorf: In Maalula lebten vor dem Krieg zwischen 2.000 und 3.000 Menschen, jetzt sind es nur noch etwa 350

Aus Maalula Serena Bilanceri(Text und Fotos)

Es ist ein kühler Morgen am Neujahrstag auf einem nahezu leeren Hauptplatz in dem kleinen Dorf Maalula. Die Rollläden zugezogen, die Geschäfte geschlossen, die Straßen leer. Lediglich fünf Männer in roten Kufijas und Winterjacken plaudern in Grüppchen vor dem einzig geöffneten Minimarkt „Maria“. Hoch auf den umliegenden Bergen ragt eine überdimensionale Statue, eine Madonna im hellblauen Mantel, in den Himmel empor.

Im 350-Seelen-Dorf ist die Stimmung genau so kühl wie dieser Januarmorgen. Dafür gibt es Gründe. Erst vor wenigen Tagen hat eine Schießerei zwischen einer christlichen und einer muslimischen Familie die Spannungen offengelegt, die seit der Machtübernahme durch die islamistischen Rebellen von Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) in Syrien das christliche Dorf durchziehen.

Eingebettet zwischen steilen, kahlen Bergen in 1.500 Metern Höhe ist Maalula in mehreren ­Hinsichten ein besonderer Ort. Mehrheitlich christlich in einem muslimischen Land, gibt es dem Besucher das Gefühl, hier gebe es mehr Kirchen und Klöster als Schulen. Fünf sind es in einem Umkreis von weniger als einem Kilometer. Mit ihren weißen Kreuzen, den runden Kuppeln und den Mauern aus hellem Standstein nisten sie sich fast unauffällig ein, in dieser Kulisse aus zerfurchtem Gestein. Dazwischen sind weiße und hellblaue Wohnhäuser zu sehen, wirr auf­ein­and­ergereiht. Manche ihrer Ein­woh­ne­r*in­nen sprechen heute noch West-Aramäisch, die „Sprache ­Jesus“.

Auf dem Platz vor dem Minimarkt ragt ein etwas trister Weihnachtsbaum aus grünem Polyester empor, daneben liegen leere Patronen. In Syrien schießt man in die Luft, um Neujahr zu feiern. Doch am zweiten Weihnachtstag fielen aus ganz anderen Gründen Schüsse in Maalula. Laut den Schilderungen einer christlich-religiösen Quelle, die anonym bleiben möchte, da sie Konflikte mit den anderen Bewohnern befürchtet, hatte es nach dem Machtwechsel Probleme mit einigen Muslimen gegeben, die in und ums Dorf lebten. Sie hätten angefangen, Christen zu bedrohen und deren Häuser zu bestehlen.

Am zweiten Weihnachtstag eskaliert die Lage, ein muslimischer Mann eröffnet das Feuer auf die Farm eines Christen, dieser erwidert und erschießt den Mann in Notwehr. Dann bricht Chaos aus. Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft schießen in die Luft und brechen in mehrere Häuser der christlichen Großfamilie des Täters ein. Das bestätigen mehrere Einwohner*innen.

Daraufhin hätten HTS-Sicherheitskräfte den christlichen Familien die Waffen abgenommen und sie einen Tag lang unter Hausarrest gestellt. Die Chris­t*in­nen fühlen sich zu Unrecht bestraft, Furcht breitet sich aus. Erst nach einigen Gesprächen und der Aufklärung der Tat dürfen die Familien ihre Häuser wieder verlassen.

Wie immer bei Konflikten sieht die andere Seite die Dinge teilweise anders. Zu den Fakten am zweiten Weihnachtstag sagt ein Mitglied der muslimischen Gemeinschaft, der mit der Familie des Toten verwandt ist: Die muslimischen Männer hätten die Besitzer der Farm irrtümlich für Einbrecher gehalten und darauf reagiert. Ein muslimischer Religiöser, Scheich Mahmud Diab, verneint am Telefon, es hätte Diebstähle oder Einbrüche gegeben.

Eine Anfrage über den Ablauf der Ereignisse an die syrische Übergangsregierung blieb unbeantwortet. Offiziell haben sich die neuen Machthaber den Schutz von Minderheiten wie der Chris­t*in­nen auf die Fahne geschrieben. Am Silvestertag traf sich Syriens De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa mit Vertretern der christlichen Kirchen im Lande. Al-Scharaa selbst hatte oft in seinen Reden vom Aufbau eines inklusiven Syriens gesprochen.

Doch die Sorgen bleiben. Nicht nur wegen der islamistischen Vergangenheit der heutigen Machthaber, sondern auch wegen der Existenz von radikalen Ansichten teilweise in der Gesellschaft und in den vielen Milizen, die in Syrien immer noch präsent sind. So gab es kleinere Zwischenfälle kurz vor Weihnachten, etwa mit einem durch ausländische, islamistische Kämpfer in Flammen gesetzten Weihnachtsbaum im Dorf Suqaylabiya. Oder mit Männern, die vor Bars im christlichen Viertel der Altstadt Damaskus „Allahu Akbar“ gerufen haben. Oder mit einem HTS-Milizionär, der nach Angaben einer vertrauten Quelle den Betreiber eines Tanzlokals in der Hauptstadt mit einem Maschinengewehr bedroht haben soll. Im Takt der Musik schwingende Männer und Frauen mit Cocktails in der Hand sind für Is­la­mis­t*in­nen im besten Fall ein befremdlicher Blick. In der Stadt Hama sollen Meldungen zufolge Unbekannte im Dezember eine orthodoxe Kirche beschossen haben. Für Kritik sorgte außerdem eine vorgeschlagene Änderung an den Schulbüchern durch das neue Bildungsministerium. Demnach soll der Satzteil „diejenigen, die vom richtigen Weg abgekommen sind“ mit „Christen und Juden“ ersetzt werden. Größere Zwischenfälle sind indes bislang ausgeblieben.

Jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt in Maalula. Doch es ist eine zerbrechliche Ruhe. Das wissen alle. Religiöse Vertreter beider Gemeinschaften wollen nun eine Art Versöhnungsdokument unterschreiben, eine Awareness-Kampagne unter den Familien starten, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Frieden, zuletzt.

Doch unter Chris­t*in­nen herrscht weiterhin Angst. „Ich fühle mich nicht sicher, ich möchte Syrien verlassen“, sagt etwa eine Frau mittleren Alters wenige Tage später in einem Geschäft. „Es gibt keinen Staat, keine Sicherheit, wir hören die ganze Zeit Schüsse. Maalula wurde bereits 2013 angegriffen, und jetzt kommen wieder dieselben Menschen mit denselben Slogans hierher und schießen in die Luft. Wer wird uns beschützen? Ich habe einen jungen Sohn“, sagt sie verzweifelt und deutet auf den Heranwachsenden neben ihr.

Um die delikate Lage Maalulas zu verstehen, muss man einen Blick in seine Geschichte werfen. In dieser Kleinstadt, eigentlich eher ein Dorf, etwa 60 Kilometer nördlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, lebten bis vor Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 etwa 2.000 bis 3.000 Menschen, die große Mehrheit Christ*innen, die restlichen Sun­ni­t*in­nen. Relativ abgeschottet vom Rest des Landes, doch in Frieden. In den Sommern quoll Maalula vor Tou­ris­t*in­nen nahezu über. Ausländische Gläubige kamen, die den Ort sehen wollten, an dem Christus’Sprache noch lebt. Vor allem aber Sy­re­r*in­nen aus der südlichen Hauptstadt, die vor der Hitze in die Berge flüchten.

Doch alles änderte sich schlagartig im Jahr 2013. Dieses durch Felsen beschützte Nest wurde zum Schauplatz eines blutigen Konflikts. Milizen der islamistischen Terrororganisation al-Nusra, Vorfahrin der heutigen Hai’at Tahrir al-Scham, hatten sich um das Hotel Safir an der Hügelspitze einquartiert. Der Konflikt zwischen Assads Truppen und den Rebellen eskalierte dann am 4. September.

Zuerst fuhr ein Himmelfahrtskommando der Dschihadisten auf einem Geländewagen zu einem Militärposten und sprengte sich in die Luft, acht Soldaten starben, dann überfielen Rebellen die Stadt aus den umliegenden Hügeln mit einer Welle von Maschinengewehrsalven. Menschen flohen in Klöster, um Schutz zu suchen, Kinder wurden in Höhlen in Sicherheit gebracht. Dreimal bombardierte die syrische Luftwaffe die Rebellen, doch diese konnten die Stellung halten. Am Ende des Tages hatten sie die Stadt größtenteils erobert.

In den Tagen danach lieferten sich die Truppen der syrischen Armee und die Rebellen heftige Gefechte. Mehrere Zi­vi­lis­t*in­nen starben, Berichte über die Drangsalierung von Chris­t*in­nen erschienen, die meisten der etwa 3.000 Ein­woh­ne­r*in­nen flohen. Im November wurden zwölf Nonnen aus einem Kloster entführt. Sie kamen bei einem Gefangenenaustausch später frei. Erst 2014 gewannen Regierungskräfte erneut die Kontrolle über die Kleinstadt.

Heute bleibt vom einstigen Vier-Sterne-Hotel Safir nur eine ausgehöhlte, durchsiebte Ruine übrig. Im Sankt-Sergius-und-Bacchus-Kloster nebenan läuft in endloser Schleife ein Video auf einem Bildschirm im viereckigen Hof. Es zeigt die Zerstörung 2014 und den heutigen Wiederaufbau. In der 1.700 Jahre alten Kirche nebenan sorgen die Wände aus nacktem Stein für kühle Luft. Vater Fadi, ein robuster Mann in Winterjacke, zeigt den Be­su­che­r*in­nen den runden Altar aus weißem Marmor, der nach den Kämpfen zerbrochen war.

Nach Weihnachten eröffnet ein muslimischer Mann Feuer auf die Farm eines Christen. Dieser erschießt den Mann in Notwehr

Verbrannte Mauern, Trümmer im Hauptschiff, gestohlene Artefakte und 4 Millionen US-Dollar Schaden sind Erinnerungen aus einer nicht zu weiten Vergangenheit. Heute hängen wieder goldene Mosaike an den Steinwänden, Holzbänke reihen sich im Schiff auf. Doch die alten Wunden im Dorf sind noch nicht verheilt.

Wer damals im Bürgerkrieg auf wessen Seite stand – das scheint noch nicht vollständig aufgearbeitet. Sicher ist, dass sich manche christliche Milizen mit den Truppen von Syriens Ex-Präsident Baschar al-Assad zusammentaten. Laut christlichen und muslimischen Vertretern stellten sich manche sunnitische Mus­li­m*in­nen in Maalula hingegen auf die Seite der Rebellen.

In seinem Büro im Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus sitzt Riad Qutaifin hinter seinem Schreibtisch und nippt an einer Tasse bitteren Kardamomkaffee. „Wir lebten zusammen, hatten sehr gute Beziehungen, unsere Kinder spielten zusammen“, sagt der Mann mit grauem Schnurrbart und tiefem Blick, in Hemd und gelbem Pullover. „Als der Krieg begann, teilte sich Maalula in zwei Lager. Manche ließen es so aussehen, als ging es um Religion. Doch es war Politik.“ Qutaifin ist Muslim und genießt Ansehen in seiner Gemeinschaft.

Er spricht von einigen wenigen, radikalen Christen, die Mus­li­m*in­nen an der Rückkehr nach Maalula gehindert hätten, nachdem diese während der Gefechte 2013 geflohen waren. Sie hätten 43 muslimische Häuser eingeebnet und andere verbrannt. Er nimmt das Smartphone vom Schreibtisch und zeigt das Video von einem Gebäude in Trümmern, das sei sein Haus. Er selbst lebe deshalb jetzt in Damaskus. Als Assad fiel, am 8. Dezember, seien die Mus­li­m*in­nen dann in einem Konvoi in die Stadt zurückgefahren, hätten feierlich in die Luft geschossen. Doch viele Chris­t*in­nen hätten Angst gehabt. „Wir versuchten, die Menschen zu beruhigen. Sie waren aber so erschrocken, dass sie kaum aus ihren Häusern kamen.“

Majid ist mit seiner Mutter nach Maalula zurückgekehrt. Sie sind eine der wenigen Muslime im Dorf

Dass sich die Versionen der Chris­t*in­nen und Mus­li­m*in­nen in einigen Punkten unterscheiden, ist nicht verwunderlich. Laut mehreren Quellen sind viele Mus­li­m*in­nen nach 2014 an der Rückkehr nach Maalula gehindert worden, weil sie sich damals Dschabhat al-Nusra angeschlossen hatten. Manch einer behauptet, es lebten derzeit gar keine Mus­li­m*in­nen in Maalula – außer einigen Soldaten. Doch verschiedene Chris­t*in­nen beteuern das Gegenteil: Mindestens fünf Familien wohnten im Dorf. Eine findet man tatsächlich nicht weit entfernt vom Hauptplatz.

In einem skelettartigen Gebäude aus nackten Mauerziegeln, hinter einem einst blauen Eisentor, leben wieder Majid und seine Mutter. Sie sind vor vier Monaten nach Maalula zurückgekehrt. Im dunklen Haus voller Schotter, zerlegter Möbel und Staub öffnet sich in der oberen Etage ein Raum mit gelben Fliesen. Der Putz ist abgeplatzt, die einst weiße Holztüre gräulich, doch mit etwas Vorstellungskraft kann man noch die Konturen eines bürgerlichen Landhauses erkennen.

„Ich habe es mit viel Mühe geschafft, einen Raum wieder in Ordnung zu bringen.“ Majid, graumelierte Haare, Jeans und Lederjacke, tappt im Halbdunkel durch den Raum, öffnet eine Tür nach der anderen: Meistens sind die Räume dahinter leer mit wenigen, alten Holzschränken und Habseligkeiten, die Fensterscheiben abgesprungen. Brotscheiben liegen aufgestapelt auf einem Regal. Hier die Küche, da das Schlafzimmer. Aus einem Raum kommt eine schwarz verschleierte, ältere Frau lächelnd heraus.

„Vor 2013 lebten Chris­t*innen und Mus­li­m*innen in Frieden. Es war perfekt“

Mirna, Christin

„Dies ist meine Mutter“, sagt Majid. Sie leben hier, während ein Bruder nach Deutschland ausgewandert ist und sein Sohn in den Oman. „Die Menschen sind arm, weil sie ihre Ersparnisse unter dem Regime aufbrauchten. Viele leben vom Geld der Verwandten im Ausland. Es gibt kein Geld, um die Häuser wieder aufzubauen.“ Vor dem Haus steht noch ein alter hellblauer Bus, der ­während des Kriegs von einer Rakete getroffen wurde.

Durch den Bürgerkrieg sind viele Wohnhäuser in Maalula beschädigt: ausgeweidet wie leere Bienenkästen, zu einem Haufen Trümmer zerbombt, von Granatenbeschuss durchlöchert. Majid und weitere Männer führen durch die Ruine eines ehemaligen Hauses, ein dunkler Haufen Steine, weiter durch die staubige Gasse, und zeigt dann auf eine verrostete Tür nebenan: „Das war das Haus der christlichen Nachbarn.“ In diesen Trümmern lebt heute niemand. „Man sollte die Häuser wieder aufbauen. Wir brauchen mehr Hilfe von den Institutionen“, fügt er hinzu. Für die Männer liegen die Wurzeln der heutigen Probleme in der Assad-Zeit: Weil die muslimischen Familien damals an der Rückkehr gehindert wurden, hegten manche einen Groll gegenüber den christlichen, die 2014 zurückkehrten.

An diesem ersten Freitag im Januar wirkt Maalula etwas lebendiger als noch vor zwei Tagen. Menschen sind unterwegs, schlendern durch die Straßen oder plaudern in Grüppchen auf dem Hauptplatz. Drei Frauen gehen eine steile Straße zu einer Kirche hinauf. Eine von ihnen, eine Frau mit gebundenen Haaren und Sonnenbrille, die sich Mirna nennt, sagt auf Nachfrage, dass sie sich in der jetzigen Lage nicht wohlfühle, dass etwas in der Luft schwebe. Sollte es wieder Probleme geben, will sie Syrien verlassen. Schon einmal musste sie von vorn anfangen, als sie 2013 aus ihrem Haus fliehen musste und es 2015 wieder aufbaute. Ein zweites Mal könne sie es nicht vertragen, sagt sie selbstbewusst.

Wenn es wieder zu Konflikten kommt, will die Christin Mirna Syrien verlassen

Ist eine Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen möglich? „Um Hoffnung in Maalula, um eine Zukunft zu haben, müssen wir vergessen und eine neue Seite aufschlagen. Die Tötungen müssen vor Gericht geahndet werden. Vor 2013 lebten Chris­t*in­nen und Mus­li­m*in­nen in Frieden, feierten gemeinsam Ehen und Beerdigungen. Es war perfekt“, sagt sie. Jetzt werfen Mus­li­m*in­nen Chris­t*in­nen vor, pro Assad zu sein und Chris­t*in­nen Muslim*innen, ihre Kinder getötet zu haben. Sie werfe jedoch niemanden etwas vor. Eine weitere Frau antwortet auf dieselbe Frage: „Wir hatten Angst, als wir uns mit unseren Kindern im Kloster verstecken mussten, vor elf Jahren. Aber Chris­t*in­nen können leicht verzeihen.“

Majid und die anderen muslimischen Männer sind an diesem Freitag in der Moschee von Maalula, um zu beten. Elf Männer stehen vor ihren Toren. Das Minarett sieht so aus, als hätte jemand an einer Seite ein Stück Mauer abgebissen. In der Luft kratzen aus dem Lautsprecher die Aufrufe von Scheich Diab, der heute als Imam das Gebet leitet. Viele sind dafür aus Damaskus angereist, unter ihnen auch Qutaifin. Auf dem Platz stehen sich für einen flüchtigen Augenblick zwei Gruppen gegenüber. Christinnen mit langen, schwarzen Haaren in schicken, dunklen Klamotten schlendern an den Häusern vorüber, während die Gruppe Muslime, fast alle Männer, teils mit um den Kopf gewickelten Kopftüchern vor der blauen Kuppel der Moschee warten.

Das Gebet beginnt, die Gläubigen verschwinden in der Moschee. Aus dem Lautsprecher hallt nun die Predigt. Es ist eine besondere Predigt, die erste nach dem Vorfall. Und nicht nur deswegen. Zum ersten Mal, sagen Einheimische, äußert sich der Imam unmissverständlich zur Zukunft der Gemeinschaft. Eine Aufforderung zum Zusammenleben: „Diese Stadt hat ein gemischtes Erbe. Wir alle sind Kinder Maalulas. Niemand wird zu Schaden kommen. Lasst uns eine Gemeinschaft aufbauen von Menschen, die kein Blut an ihren Händen kleben haben, um jedes beschädigte Haus wieder aufzubauen, um jede Uneinigkeit zu lösen. Wir werden die Menschen wieder aufbauen noch vor den Gebäuden“, krächzt die Stimme aus dem Lautsprecher durch die Luft. Es ist eine Predigt für die Mus­li­m*in­nen in Maalula, doch ebenso für die Christ*innen. Diese hören außerhalb der Moschee zu.

Nach dem Gebet strömen die Menschen wieder aus der Moschee. Der Scheich, mit der blauem Takke auf dem Kopf, steht im Halbkreis neben Qutai­fin und anderen Männern. Ein großer Mann mit schwarzer Jacke und Armbanduhr nähert sich mit entschlossenem Schritt der Gruppe. Er ist Christ, Sarkis Sadeq heißt er. Streckt den Männern die Hand entgegen, witzelt mit Qutaifin. „Ich bin gekommen, um mein Respekt zu erweisen, weil ein Mensch gestorben ist“, sagt er und bezieht sich auf den Vorfall des zweiten Weihnachtstags. Es gehört sich unter alten Nachbar*innen, persönlich bei der Gemeinschaft des Toten zu kondolieren. Die Menschen plaudern weiter, die einen neben den anderen, Jugendliche klettern auf den Weihnachts­baum. Die Atmosphäre ist herzlich. Nur mit der Zeit wird sich zeigen, ob das auch so bleibt.

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