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Resignation ist keine Option

Trumps Amtsübernahme löst vielerorts Verzweiflung aus. Tatsächlich war das amerikanische Experiment nie perfekt, sondern nur ein Versprechen, stets an sich zu arbeiten

Illustration: Katja Gendikova

Von Sebastian Moll

In Ray Bradburys Fantasyklassiker „Some­thing Wicked This Way Comes“ macht ein Zirkus, dessen Direktor den ominösen Namen Mr Dark trägt, in einer amerikanischen Kleinstadt Station. Das Gastspiel beginnt harmlos, doch bald lässt Mr Dark seine finsteren Kräfte und Absichten durchscheinen, die den Ort an den Rand des Abgrunds bringen. Allein die List zweier Schuljungen rettet das Dorf und bringt Mr Dark dazu, wieder von dannen zu ziehen.

Der Film inspirierte die Coverillustration des Magazins The Atlantic zur Wahl von Donald Trump, wo der künftige Präsident unter einem stürmischen Himmel eine Kutsche im Galopp auf Washington, D. C., zusteuert. Auf der Ladefläche trägt er einen Käfig mit einem Elefanten, Symbol für eine von einem sinistren Zirkusdirektor dressierte Republikanische Partei.

Das Cover war die wohl eindringlichste der vielen apokalyptischen Visionen dessen, was den USA in den kommenden vier Jahren bevorstehen könnte, aber bei Weitem nicht die einzige. Die USA sehen finsteren Zeiten entgegen, vielleicht sogar dem Ende dessen, was man bislang unter diesem Akronym zu verstehen glaubte. „Das amerikanische Selbstverständnis ist in einer tiefen Krise“, sagte der Philosoph Cornel West, der sich als aussichtsloser Kandidat gegen Trump aufstellen ließ, um den Wählern eine Alternative zu den verkalkten Institutionen der US-Politik anzubieten.

Die Szenarien für die Zukunft der Weltmacht sind in der Tat furchterregend. Ein Präsident, dem die von ihm bestellten Bundesrichter umfassende Immunität gesichert haben, könnte sich anschicken, seine politischen Gegner mit allen Mitteln zu verfolgen. Der designierte neue FBI-Direktor Kash Patel, ein unterwürfiger Höfling Trumps, hat bereits in einem Buch versprochen, seine Behörde zu ebendiesem Zweck zu missbrauchen.

Nicht einmal vor dem Einsatz des Militärs gegen politische Gegner im eigenen Land wird Trump haltmachen. Entsprechende Gelüste hat er bereits während seiner ersten Amtszeit geäußert, und seine Berater arbeiten daran, einen juristischen Weg dafür zu ebnen. Die Missachtung demokratischer Normen und Traditionen durch die neue Regierung ist damit noch lange nicht am Ende. Die Benennung von Elon Musk in ein hohes Regierungsamt demonstriert Trumps klaren Hang zur Plutokratie. Gemeinsam schmieden sie unter dem Vorwand der Einsparungen Pläne, den Regierungsapparat auszuhöhlen und mit Loyalisten zu besetzen. Schließlich ist davon auszugehen, dass Trump zumindest versuchen wird, seine Pläne einer Massendeportation wahr zu machen. Angesichts der offensichtlichen logistischen Hindernisse eines solchen Unterfangens wäre es nicht einmal unvorstellbar, dass Trump konzentrationslagerähnliche Anlagen errichten lässt.

Dass die Amerikaner im vollen Bewusstsein dieser möglichen Konsequenzen zum zweiten Mal einen solchen Mann in das höchste politische Amt des Landes gewählt haben, lässt manche am großen Experiment der amerikanischen Demokratie selbst zweifeln. So sagte jüngst der demokratische Senator Mike Murphy, dass „viel zu viele Menschen die Augen davor verschließen, was gerade passiert“. Trump sei dabei, das Land von einer Demokratie in eine restriktive Oligarchie zu verwandeln, „in welcher die Opposition zum Schweigen gebracht wird, die Medien nicht mehr frei sind und die Regierung nur dazu dient, einer kleinen Kabale rund um den Mann an der Macht“ zu dienen.

Ausgerechnet Kamala Harris schlug jedoch in ihrer Rede zur Wahlniederlage weitaus optimistischere Töne an. „Das Licht des amerikanischen Versprechens wird immer hell erstrahlen“, rief sie zu ihren Anhängern in deren tränenüberströmte Gesichter. Dies sei nicht die Zeit zu verzweifeln, sondern eine, um für die amerikanischen Grundwerte von „Freiheit, Opportunität, Fairness und der Würde aller, ungeachtet ihrer Herkunft und Identität“, zu kämpfen.

Harris’ Optimismus verweist auf etwas tiefer Liegendes im amerikanischen Selbstverständnis. Das Ende des amerikanischen Experiments ist für Amerikaner schlicht nicht denkbar. So erinnerte der Dichter Henry Wadsworth ­Longfellow zu Beginn des Bürgerkriegs, als die Staaten zu zerbrechen drohten, mit einem Epos an die Zeit zu Beginn der Republik: Als die Unabhängigkeit der Kolonien auf Messers Schneide stand, warnte der Freiheitskämpfer Paul Revere nach einem heldenhaften Ritt die kolonialen Kräfte vor der Niederlage gegen die englischen Truppen. Das Gedicht endet mit den Worten: „In der Stunde der Dunkelheit, der Gefahr und der Not werden die Menschen aufwachen und die eiligen Hufschläge dieses Rosses und die Mitternachtsbotschaft von Paul Revere hören.“

Die Kolonien behaupteten sich bekanntlich ebenso, wie die Republik den Bürgerkrieg überlebte. Die Mitte hielt ebenso wie in den 60er Jahren, als zentrifugale Kräfte die Nation über den Krieg in Vietnam und den Kampf um Bürgerrechte im Süden auseinandertrieben. Nicht dass die zugrunde liegenden Konflikte von damals aufgelöst worden wären.

Rassismus, amerikanischer Militarismus und die imperialen Neigungen des Landes sind lebendig und rufen bis heute erhebliche Widerstände und Kritik hervor. „Wir sind ein Imperium im Niedergang, das korrupt und von Gier getrieben ist und den Schwächsten der Gesellschaft gegenüber gleichgültig“, sagt Cornel West. Dennoch attestiert er der amerikanischen Demokratie eine erstaunliche Resilienz.

Foto: Harry Zernike

Sebastian Moll,

Jahrgang 1964, studierte Amerikanistik und Philosophie in Frankfurt und New York. In New York arbeitet er seit 2020 als Korrespondent.

West leitet die Widerstandsfähigkeit der Staaten aus deren innerer Verfasstheit ab. Dabei beruft er sich nicht zuletzt auf den Pragmatismus und seine Vorläufer, jene amerikanische Denk­traditionen, die im 19. Jahrhundert voller Euphorie die Hoffnungen artikuliert haben, die sie mit dem amerikanischen Experiment verbanden.

Für Ralph Waldo Emerson, den Dichter Walt Whitman oder den Philosophen John Dewey bestand die große Differenz des amerikanischen Projekts darin, dass es ein fortgesetztes Werden ist. Die USA sind nicht die empirische Manifestation einer festgeschriebenen Idee, die amerikanische Geschichte kennt keinen Determinismus, keinen vorgeschriebenen Weg.

Die USA sind immer unfertig, der Philosoph Stanley Cavell nennt es „this new yet un­approachable America“ – das neue, aber ewig unerreichbare Amerika. Rückschläge sind in dieses Werden eingebaut. Das Projekt ist eines von fehlbaren Menschen. Jede Generation muss aufs Neue den Kampf darum aufnehmen, eine „etwas perfektere Gemeinschaft“ zu schaffen, wie Barack Obama, den Gründervater Thomas Jefferson zitierend, immer wieder seine Aufgabe und die seiner Mitbürger benannte.

An den USA zu verzweifeln ist demnach, so wie Harris es artikulierte, keine Option – eine Lektion, die alle Amerikaner von ihren afroamerikanischen Mitbürgern lernen können. Cornel West spricht von der Kunst der „Hoffnung ohne Optimismus“, die er aus der Bluestradition ableitet, der Kunst zu hoffen, ohne zu glauben, dass es eine vollkommene Befreiung, einen glücklichen Endzustand wird geben können. James Baldwin sagte einmal, er sei zwar zornig, aber Verzweiflung könne er sich nicht leisten. „Wir können den Kindern nicht sagen, dass es keine Hoffnung gibt.“ Der Glaube an das Projekt Amerika und zentrale Glaubenssätze hält auch in dunkelsten Zeiten.

Amerikaner glauben daran, dass sie etwas bewegen können, dass sie geradezu eine Verpflichtung dazu haben, jetzt die Ärmel hochzukrempeln und zu gestalten

Aus diesem grundsätzlichen Widerstand der amerikanischen Mentalität gegen die Verzweiflung selbst speist sich wiederum Hoffnung für das Land. Amerikaner glauben daran, dass sie etwas bewegen können, dass sie, wie Harris es ausdrückte, geradezu eine Verpflichtung dazu haben, jetzt die Ärmel hochzukrempeln und zu gestalten. Sie haben das bewiesen, nachdem Trump zum ersten Mal ins Amt gewählt wurde und sich Massen von Amerikanern, vor allem Frauen, in die Politik einmischten, die das vorher nicht getan hatten. Die Mobilisierung führte zu einem Aufbruch bei den Zwischenwahlen 2018 und schließlich zu Trumps Niederlage 2020. Und auch bei der letzten Wahl engagierten sich Millionen von Amerikanern und Amerikanerinnen, demonstrierten, warben, klopften an Türen. Auch wenn es letztlich nicht ausgereicht hat, um Mr Dark vom Weißen Haus fernzuhalten.

Bereits am Tag nach der Wahl schrieb der Kolumnist Nicholas Kristof in der New York Times ein „Manifest für verzweifelnde Demokraten“. Es war ein Aktionsplan für die Zeit nach dem 20. Januar. Dazu gehörte: Organisationen zu unterstützen, die sich gegen Trumps Missbrauch des Rechtswesens stemmen; solche zu unterstützen, die gegen Menschenrechtsverletzungen kämpfen; sich gegen wachsende Frauenverachtung zu wehren; sofort damit anzufangen, sich auf die Zwischenwahlen 2026 vorzubereiten; zu versuchen, die Amerikaner zu verstehen, die für Trump gestimmt haben.

Niemand kann mit Sicherheit vorhersagen, dass Trump in den kommenden Jahren die amerikanische Demokratie nicht über die Klippe fährt. Aber es wird ihm ganz gewiss nicht ohne Widerstand gelingen. Amerikaner verstehen besser als viele andere Nationen, dass Demokratie eine Sache aller Bürger ist. Und sie verstehen, dass ­Resignation keine Option ist.

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