: SchlechteZeiten für den Friedenskanzler
Die Noch-Koalitionäre sind sich in vielem einig – nicht aber in Sachen Ukraine. Die Grünen halten dem Kanzler vor, Milliardenhilfen zurückzuhalten. Die SPD keift zurück
Aus Helsinki und Berlin Anna Lehmann und Tobias Schulze
Schlechter hätte der Parteitag der SPD am zweiten Januarwochenende kaum starten können. Die Wahlkampfleitung hatte für eine gigantische Lichtinstallation gesorgt und das Programm als QR-Code ebenso wie ein Herz für die SPD in den Berliner Himmel projiziert. Doch überstrahlt wurde der Samstagmorgen von einer neuen Umfrage und einem Zeitungsbericht.
Laut Forschungsgruppe Wahlen hatten sich die Grünen einen Prozentpunkt vor die Sozialdemokraten geschoben. Zudem berichtete der Spiegel vom Streit in der Regierung. Das Kanzleramt würde Finanzhilfen für die Ukraine zurückhalten, zusätzliche 3 Milliarden Euro, von denen Luftabwehrsysteme, Artilleriemunition, Panzerhaubitzen und Drohnen angeschafft werden sollten. Alles Dinge, die die Ukraine gerade dringend gebrauchen könnte.
Da half es auch nicht, dass Kanzler Olaf Scholz, der auf dem Parteitag akklamatorisch zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, in seiner Rede gleich 15-mal die Ukraine erwähnte und versicherte: Deutschland sei der größte Unterstützer in Europa, und das werde so bleiben. „Dafür stehe ich, dafür steht die Sozialdemokratie.“ Die Erzählung der folgenden Tage war gesetzt: Die Außenministerin und sogar der eigene SPD-Verteidigungsminister seien dafür, der Ukraine stärker zu helfen, aber Scholz blockiere diese Hilfe, und zwar aus wahltaktischen Gründen. Er wolle als Friedenskanzler punkten.
Als der „Friedenskanzler“ am darauffolgenden Dienstag beim Nato-Treffen der Ostseeanrainer in Helsinki weilte, holte ihn das Thema ein. Gefragt, was dran sei an den Vorwürfen, wiederholte Scholz vor der internationalen Presse stoisch die Textbausteine seiner Parteitagsrede. Auf dem Rückflug noch einmal auf die grünen Vorwürfe angesprochen, reagierte er weitaus emotionaler, geradezu empört.
Andere SPD-Politiker äußern öffentlich ihre Kritik an den Grünen: „Sperenzchen“, nennt der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner die Vorwürfe. „Albern“ findet sie Haushalts- und Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz, es gehe vor allem um „Instrumentalisierung“ im Wahlkampf: „Der Kanzler kann gar nichts blockieren. Er will eine klare Finanzierung. Entschieden wird im Parlament.“ Und Stegner ist überzeugt: „Da ist viel Inszenierung. Die Grünen versuchen krampfhaft Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“
Die so Angesprochenen bleiben aber ihrerseits dabei: Der Kanzler stehe den Hilfen im Weg. „Er muss aufhören zu blockieren und mit uns allen den schnellen Weg für die 3 Milliarden gehen“, schreibt Fraktionsvize Agnieszka Brugger auf der Plattform Bluesky. Erst kürzlich war sie selbst in der Ukraine. Spricht man mit ihr und anderen Grünen über den Streit, wirkt auch ihre Empörung echt – oder zumindest sehr gut gespielt.
Dabei gibt es jenseits der Ukraine zwischen SPD und Grünen eigentlich große Überschneidungen: Beide Parteien wollen bei den Wähler:innen mit einem ähnlichen Mix aus Wirtschafts- und Sozialpolitik punkten. Sie setzen auf den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit dem Staat als aktiven Player, sie fordern Steuerprämien für Unternehmen, die in Deutschland investieren, setzen gleichlautend patriotisch auf einen Deutschlandfonds. Ein Mindestlohn von 15 Euro ist ebenfalls Konsens, genauso wie Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Entlastungen für die arbeitende Mitte.
Doch diese Nähe birgt Probleme. Als der damalige Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter 2018 ankündigte, die Grünen sollten die führende Kraft der linken Mitte werden, stieß das vielen Sozialdemokrat:innen sauer auf: Die Grünen wollten ihnen also Teile der Kernwählerschaft abspenstig machen.
Seitdem und erst recht vor Wahlen werden die Genoss:innen nicht müde zu betonen, wie selbstgerecht die Grünen aufträten und wie unbeliebt sie in der Bevölkerung seien. „Bei mir im Wahlkreis sind die Grünen verhasst“, hieß es auch auf dem SPD-Parteitag auf die Frage nach den aktuellen Umfragewerten. Beruhigend, wenn die politische Konkurrenz noch unbeliebter ist als man selbst.
Viele Kontakte wurden heruntergefahren. Gesprächsforen, in denen sich Politiker:innen beider Parteien und der Linkspartei darüber austauschten, wie die gemeinsamen Ziele auch gemeinsam umgesetzt werden könnten, sind verwaist. Die SPD-Denkfabrik, die gemeinsame Sommerfeste und Treffen ausrichtete, löste sich Anfang 2024 verstohlen auf. Das Institut Solidarische Moderne, wo einst Lisa Paus (Grüne) mit Cansel Kiziltepe (SPD) und Axel Troost (Linke) über Vermögensteuern diskutierte, kündigt für 2025 noch keine neuen Termine an. Die Zeiten für progressive, politische Bündnisse scheinen passé.
Für die SPD geht es im Wahlkampf darum, die Grünen auf Abstand zu halten, damit die Bürger:innen sich am Ende nur zwischen Friedrich Merz und Olaf Scholz entscheiden. Die Grünen versuchen entsprechend alles, um eine Zuspitzung des Wahlkampfs auf die beiden ehemaligen Volksparteien zu verhindern. Ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft und die Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung unter Führung der Union untermauern sie damit, dass sie zum Angriff auf den Amtsinhaber blasen.
Laut ARD-„Deutschlandtrend“ von Infratest Dimap kommt für 81 Prozent der Grünen-Anhänger:innen grundsätzlich auch die Wahl der SPD infrage und umgekehrt für 61 Prozent der SPD-Anhänger:innen die Wahl der Grünen. Zwischen keinen anderen Parteien besteht eine so große Offenheit.
Umso härter zeigt sich im Wahlkampf die Konkurrenz zwischen den Nochkoalitionären. Die Grünen schüren Zweifel daran, dass es mit dem Klimaschutz auch unter Schwarz-Rot weiterginge. Die SPD wirft umgekehrt den Grünen vor, dass sie es mit der sozialen Gerechtigkeit nicht ernst meinten.
Dass es aber der Streit über Waffenlieferungen ist, der zu Beginn des kurzen Wahlkampfs am heftigsten aufflammt, ist kein Zufall. Denn in Fragen der Ukraine-Unterstützung sind Unterschiede zwischen SPD und Grünen noch am deutlichsten erkennbar. Die Grünen wollen der Ukraine erlauben, Russland stärker unter Druck zu setzen, und Marschflugkörper wie den Taurus liefern, der von der Ukraine aus bis Moskau fliegen könnte. Der Kanzler schließt Taurus-Lieferungen aus, im Wahlprogramm wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass man zu dieser Entscheidung stehe.
Was die aktuell im Raum stehenden 3 Milliarden Euro anbelangt, gibt es trotz Wahlkampfdisziplin auch innerhalb der SPD unterschiedliche Ansichten. Ralf Stegner stellt infrage, dass die Entscheidung überhaupt noch vor der Bundestagswahl fallen muss: „Es gibt feste Lieferzeiten und die Zusage von Olaf Scholz, dass wir weiterhin Luftabwehr liefern werden.“ Im Haushalt für 2025 sind 4 Milliarden Euro an Militärhilfen für die Ukraine eingestellt. Einen unmittelbaren Mehrbedarf sieht er zurzeit nicht.
Dagegen wirbt SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz dafür, zusätzlich zu den unstrittigen 4 Milliarden Euro die weiteren 3 Milliarden noch vor der Bundestagswahl zu beschließen. „Wenn man sieht, mit welcher Vehemenz Russland angreift, ist es wichtig, dass man die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine sicherstellt. Trotz einer Wahl in Deutschland.“ Die entsprechende Vorlage aus dem Verteidigungsministerium läge schließlich seit November vor.
Pikanterweise war der Streit um jene zusätzlichen 3 Milliarden einer der wesentlichen Streitpunkte, an denen die Ampel zerbrach. Olaf Scholz war dafür, die Schuldenbremse für die Ukrainehilfen auszusetzen, FDP-Finanzminister Christian Lindner beharrte auf Kürzungen zur Gegenfinanzierung.
Der Ampelstreit als Wiedergänger im Wahlkampf? Haushälter Schwarz ist sicher: „Wenn sich alle Befürworter anstrengen, können wir das Ukraine-Paket parteiübergreifend beschließen.“ 3 Milliarden Euro könne man durch die Ausnahme der Schuldenregel oder kluge, wenn auch schwierige Umschichtungen im Haushalt auftreiben. Mit Letzterem spielt er auf den Weg an, den das Haushaltsrecht als „außerplanmäßige Ausgabe“ bezeichnet. Mit Zustimmung des Finanzministers und des Haushaltsausschusses im Bundestag könnten die 3 Milliarden Euro freigegeben werden, mit der Begründung, der Bedarf sei „unvorhergesehen und unabweisbar“.
FDP und Union würden diesen Weg im Bundestag wohl mitgehen. Auch die Grünen favorisieren ihn – eben weil Union und FDP ebenfalls zustimmen würde, und weil die Grünen bei der Finanzierung kein Problem sehen. Sie gehen davon aus, dass an anderen Stellen im Haushalt genügend Mittel nicht ausgegeben werden und durch die Ukraine-Milliarden gar kein Loch entstünde.
Das Kanzleramt favorisiert jedoch noch immer den anderen Weg: Die 3 Milliarden aus Krediten zu finanzieren, wozu FDP und Union aber weiter nicht bereit sind. Scholz spricht davon, dass für den Haushalt 2025 ohnehin schon 26 Milliarden Euro fehlten. Auch wenn nicht alle Mittel wie gedacht abflössen, bliebe ein Loch. Würden die 3 Milliarden Euro jetzt ohne neue Schulden freigegeben, so die Argumentation des Kanzlers, müsste zur Gegenfinanzierung die nächste Regierung an anderen Stellen kürzen.
Die Situation bleibt also verhakt, vorerst bis zum 29. Januar. Dann kommt im Bundestag der Haushaltsausschuss wieder zusammen.
Im politischen Podcast der taz geht es in der aktuellen Folge ebenfalls um den Wahlkampf von SPD und Grünen. Sie ist zu hören auf taz.de/bundestalk.
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