Titel Thesen Sexismus: Warum Thilo Mischke nicht TTT moderieren sollte
Das ARD-Kulturmagazin „Titel, Thesen, Temperamente“ soll ab 2025 einen neuen Moderator bekommen. Unsere Autorin hält den Wechsel für die falsche Wahl.
M anchmal muss man die großen Fragen stellen: In welcher Welt leben wir heute, nach sieben Jahren #meToo, nach der Urteilsverkündung im Fall Gisèle Pelicot, die von dutzenden Männern über ein Jahrzehnt vergewaltigt wurde? Kurz nachdem ein Netzwerk von Vergewaltigern auf Telegram aufgedeckt wurde? Sind wir aufmerksamer geworden? Müssen wir mit der Angst leben, dass es für Frauen überall potenziell gefährlich ist? Wie soll ein öffentlicher Umgang mit Sexismus heute aussehen? Auch die öffentlich-rechtlichen Sender ringen mit diesen Fragen und wollten sich ja eigentlich diverser aufstellen.
In einem aktuellen Fall hat die ARD aber mal wieder einen Schritt in die falsche Richtung gemacht. Die wohl wichtigste Kultursendung des ÖRR, „Titel, Thesen, Temperamente“, bekommt ab Januar 2025 einen neuen Moderator: den Journalisten Thilo Mischke. Seit der Bekanntgabe am Donnerstag durch die ARD sorgt das für Diskussion.
Zurecht, denn von früheren sexistischen, rassistischen und ableistischen Aussagen hat er sich bisher nicht distanziert. Mischke, schrieb etwa 2010 ein Buch „In 80 Frauen um die Welt“. Das basiert auf der sexistischen Wette mit seinen Freunden: Er reist um die Welt und soll dabei 80 Frauen rumkriegen. Frauen und Sex scheinen auch sein Lieblingsthema zu sein, für die Gentlemen's Quarterly hatte er dazu auch noch eine Kolumne.
Seine Gedanken zu solchen Themen sind häufig sexistisch. Bis hin zur sehr seltsamen Vorstellung über evolutionsbiologische Prozesse: In seinem eigenen Podcast „Uncovered“ 2019 erklärt er der Journalistin Caroline Rosales, dass der Homo sapiens überlebt habe, weil er Frauen vergewaltigt habe, im Gegensatz zum Urmenschen. Die Timeline von Mischkes Ausssagen in den letzten Jahren haben die Journalistinnen Annika Brockschmidt und Rebekka Endler in ihrem Podcast „Feminist Shelf Control“ am Montag in einer ausführlichen Recherche veröffentlicht.
Klare Position gegen Sexismus gefordert
Darin gehen Isabella Caldart und Anja Rützel gemeinsam mit 16 anderen Personen, Äußerungen in seinen Büchern, in Podcasts und Talksendungen der letzten Jahre Stück für Stück durch und finden „einen Haufen unappetitliches Zeug“. Mischke würde sich „sexistisch, misogyn, rassistisch, ableistisch und auch homophob“ äußern.
Laut den Podcastautorinnen führt TTT an, dass Mischke geläutert sei und seine früheren Publikationen mittlerweile bereue. Auf eine Anfrage der taz hat die Redaktion bis Redaktionsschluss nicht geantwortet. Tatsächlich hat Mischke sich aber nicht für die Inhalte entschuldigt. Unter der Frage „Kann Sexismus verziehen werden?“ hat er 2019 die Journalistin Nadine Primo eingeladen, um über sein Buch zu sprechen. Den Buchtitel finde er heute schlimm, sagt Mischke, aber die Recherche habe ihm viel Spaß gemacht. Da stehe er auch immer noch hinter. Nach Läuterung klingt das nicht.
Ja, Sexismus könnte verziehen werden, aber nur wenn man wirklich öffentlich zu seinen Fehlern steht. Und eine echte Fehlerkultur würde nicht bei Mischke selbst aufhören. Sie würde mit einbeziehen, dass der Sender, die Einsetzung von Mischke als neuen Moderator und auch die Signalwirkung davon überdenkt. Zumindest hier bleibt vielleicht noch ein Rest Hoffnung, denn wir erinnern uns: Dem ÖRR ist es durchaus möglich, Personen des öffentlichen Lebens wegen (vermeintlich) problematischer Aussagen oder wegen problematischen Verhaltens den Job zu streichen.
So erst 2024 bei Sebastian Hotz beim rbb passiert, weil dem Sender seine Tweets zum Attentat auf Trump nicht passten. Oder bei der Journalistin Nemi El-Hassan, die „Quarks“ 2021 nicht moderieren durfte, weil sie sich 2014 auf einer Israel-feindlichen Al-Quds Demo war. Ein moderner öffentlich-rechtlicher Rundfunk müsste eine klare Position gegen Sexismus finden und nach dieser handeln. Gleichzeitig liegt es an uns allen, den Druck aufrechtzuerhalten. Gisèle Pelicot hat es uns gesagt: „Die Scham muss die Seite wechseln“. Das Ausmaß von Mischkes Verhalten vor Anlaufen der Sendung in einer großangelegten Recherche aufzuzeigen, ist mehr als ein guter Anfang dafür. Hoffen wir, dass die Wellen des Aufschreis auch noch bei der ARD zu hören sind.
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