: Die Chamäleon-Strategie
Westliche Unternehmen müssen sich auf dem chinesischen Markt zunehmend assimilieren –auch des politischen Drucks wegen. Die EU-Handelskammer in Peking schlägt nun Alarm
Von Fabian Kretschmer
Für Volkswagen hat die Entkopplung vor etwas mehr als einem Jahr begonnen. Damals eröffnete der Autobauer im chinesischen Hefei sein größtes Entwicklungszentrum außerhalb Deutschlands. „In China für China“, pries CEO Ralf Brandstätter die vorgegebene Kursrichtung. Um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, hieß es, müsse man sich in der Volksrepublik autonomer machen. Wolfsburg schien bei der Werkseröffnung weit entfernt. Und nicht wenige Journalisten scherzten bei dem Termin: Ist Volkswagen überhaupt noch eine deutsche Firma, oder bereits im Reich der Mitte daheim?
„Die auffälligste Entwicklung ist die hohe Zahl an Unternehmen, die uns sagen, dass sie das Gefühl haben, zunehmend von ihren Zentralen abgetrennt zu werden“, sagt Jens Eskelund, Präsident der europäischen Handelskammer anlässlich der Vorstellung einer aktuellen Umfrage unter Firmen. „Dass sich Tochtergesellschaften europäischer Unternehmen in China zunehmend als völlig autonome Einheiten fühlen, dass es nur eine formale Verbindung mit der Zentrale gibt.“
In einer neuen Publikation ist die Handelskammer diesem Trend nachgegangen. Darin zeigt die Wirtschaftsvertretung auf, wie stark sich die Konzerne mittlerweile an dem chinesischen Markt assimilieren und vom Rest der Welt abkoppeln müssen. Und bei immer mehr Konzernen geschieht das nicht aus ökonomischen Interessen, sondern auch unter politischem Druck: Ein Drittel der befragten Firmen gab an, dass sie sich aus regulatorischen Hürden weiter anpassen müssen, ein weiteres Viertel aus Angst vor geopolitischen Risiken.
Besonders deutlich wird das bei kritischer Infrastruktur, wobei nationale Sicherheit in China extrem weit gefasst wird. Westliche Banken sind in China laut Eskelund praktisch nicht mehr von chinesischen zu unterscheiden. Auch im Automobilsektor müssen die Firmen ihre eigenen IT-Infrastrukturen im Reich der Mitte aufbauen. Ebenfalls hat China eigene Spielregeln bei der Arznei- oder Lebensmittelsicherheit. Oft lassen sich diese kaum inhaltlich rechtfertigen – etwa, wenn amerikanischen Pharmaunternehmen zusätzliche Tests und Zertifizierungen abverlangt werden, wo doch die Bestimmungen auf dem US-Markt als internationaler Goldstandard gelten. Regeln werden so vom chinesischen Ein-Parteien-Staat als wirtschaftliches Machtmittel eingesetzt, um ausländische Firmen gegenüber heimischen Staatsbetrieben zu benachteiligen.
Hinzu kommt: Die Firmen stehen immer mehr unter Druck, vor allem chinesische Produkte für ihre eigene Lieferkette zu beschaffen, um erforderliche Auflagen zu erfüllen. Hintergrund ist, dass Staatschef Xi Jinping seine Volkswirtschaft autarker gestalten möchte – auch, um möglichst wenig angreifbar für westliche Sanktionen zu sein. Donald Trump als künftiger US-Präsident dürfte diese Entwicklung weiter beschleunigen.
Die zunehmende Anpassung an den chinesischen Markt sei in eine unfreiwillige Isolation gekippt, befindet die EU-Handelskammer. „Das ist nicht etwas, was Unternehmen tun, weil sie ihren Betrieb optimieren, die Kosten senken oder neue Verbraucher erreichen möchten. Sie tun es, weil sie das Gefühl haben, es tun zu müssen“, sagt Eskelund.
Eine starke Präsenz in China wird für europäische Firmen zunehmend zur Bürde. „Vor Covid war China unter unseren Unternehmen ziemlich unangefochten das wichtigste Investitionsziel. Mittlerweile haben wir eine Erosion festgestellt“, sagt Eskelund. China sei mittlerweile nur noch unter den Top 5 – Tendenz weiter sinkend.
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