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Bremen will nicht mehr zu sozial sein

Eine neue Senatskommission zu Sozialleistungen soll prüfen, wo Bremen mehr ausgibt als der Bundesdurchschnitt – um im Anschluss zu kürzen

Könnte von den Maßnahmen künftig betroffen sein: Mensch ohne Obdach am Bremer Hauptbahnhof Foto: Ingo Wagner/dpa

Von Lotta Drügemöller

Bremen will evaluieren, wo es über dem Durchschnitt liegt und herausfinden, wo das Land besonders großzügig agiert. Das Ziel ist aber nicht, ein Ranking als soziale und lebenswerte Stadt zu gewinnen, sondern eine mögliche Kürzung der Sozialleistungen auf den Durchschnitt vergleichbarer Städte vorzubereiten.

Am Dienstag hat der Senat die ressortübergreifende Kommission „Sozialleistungen“ aufgestellt. Die Kommission ist Teil der Sparanstrengungen, die das hoch verschuldete Bremen im Herbst dem Stabilitätsrat versprechen musste, um für seinen Schuldenabbau weiterhin die jährliche Sanierungshilfe von 400 Millionen Euro zu erhalten. Neben Bürgermeister und Sozialsenatorin sind auch die Gesundheitssenatorin, die Bau- und Mobilitätssenatorin, die Bildungssenatorin und der Finanzsenator Teil der Kommission. All ihre Ressorts sind in irgendeiner Form an Sozialausgaben beteiligt.

Rund 1,3 Milliarden Euro des 3,6-Milliarden-Euro-Etats der Stadt gingen 2024 für Soziales drauf. Doch nur auf einen kleinen Teil davon hat Bremen Einfluss: Mehr als 90 Prozent betreffen Pflichtaufgaben, die auch in der Höhe durch Bundesgesetze vorgegeben sind. Kosten für Pflegebedürftige und Kosten für Sozialhilfeempfänger, etwa Kosten für die Unterkunft, gehören dazu.

Inwiefern Bremen bei den Sozialausgaben über anderen Ländern liegt, ob die Sozialausgaben pro Bedürftigem überhaupt über dem Bundesschnitt liegen, darauf will sich die Sozialbehörde am Mittwoch nicht festlegen. Das festzustellen, sei Aufgabe der eingerichteten Kommission.

Tatsächlich ist es nicht ganz leicht, auf die Schnelle einen validen Vergleich mit anderen Bundesländern oder Großstädten zu ziehen – auch, weil so viele Ressorts und Problembereiche zu den Ausgaben beitragen. Dazu kommt, dass ein reiner Vergleich der Summen nicht sehr aussagekräftig ist – schließlich ist Armut ungleich verteilt.

In keinem anderen Bundesland bekommen im Verhältnis so viele Menschen Sozialhilfe. Auch bei den freiwilligen Leistungen hängt die Höhe am Ende an der Armutsquote: Vergünstigte Sozialtickets für den Nahverkehr etwa bieten viele Städte an, in einer Stadt mit hoher Armut profitieren aber mehr Menschen davon – die Kosten für die öffentliche Hand sind höher. Für einen echten Vergleich sind damit die Ausgaben pro Fall interessanter als Sozialausgaben pro Einwohner*in.

Peter Zernechel, Pressesprecher des Sozialverbands Deutschland, warnt daher davor, höhere Ausgaben zur Grundlage von Kürzungen zu machen. „Dort zu kürzen, wo besonders viele Menschen Unterstützungsbedarf haben, spart zwar mehr Geld ein, aber man bringt damit eben auch besonders viele Leute in Probleme.“

Tatsächlich wiegeln Sozialbehörde und Senatskanzlei auf Nachfrage ab: Die Kommission liefere erst eine Art Bestandsaufnahme. Vom Ziel, auf den Durchschnitt zu kürzen, könne es am Ende auch Ausnahmen geben.

Das Ziel der Kommission ist klar: Die Sozialleistungen sollen „im Regelfall nicht über Bundesdurchschnitt beziehungsweise sachgerecht nicht über Stadtstaaten- oder Großstädtedurchschnitt liegen“, heißt es im Senatsbeschluss. Deshalb soll unter anderem die Effizienz bei der Leistungserbringung geprüft werden – vielleicht versickern Mittel im Hilfesystem, ohne Bedürftigen zugute zu kommen.

Aber auch „Standardabsenkungen“ und „Leistungsreduzierungen“ stehen in der Senatsvorlage, also Maßnahmen, die die Bedürftigen selbst treffen würden.

Standards lassen sich in der Unterbringung senken – über Mehrbettzimmer

Konkret wird das im Beschluss am Bereich der öffentlichen Unterbringung, etwa von Geflüchteten oder Obdachlosen festgemacht: So sollen etwa die Miethöhen für angemietete Unterkünfte geprüft werden; aber eben auch Leistungen auf das Niveau anderer Länder abgesenkt werden. „Das betrifft auch die Mehrpersonenunterbringung“, heißt es: Wo es Einzelzimmer gab, müssen sich Untergebrachte dann womöglich häufiger mit Mehrbettzimmern begnügen.

Eine Pflicht zum Kürzen verbindet sich mit der Kommission laut Senatskanzlei nicht. Selbst da, wo Bremen eventuell über dem Durchschnitt liege, seien „Ausnahmen vom Regelfall möglich“.

Dass am Ende gekürzt wird, ist aber wahrscheinlich: Nicht nur schaut der Stabilitätsrat wieder mit strengerem Blick auf Bremens Sparbemühungen. Seit die Schuldenbremse wieder greift, ist einfach auch der reale Spielraum für den Zwei-Städte-Staat enorm klein geworden. Die Haushaltseinnahmen werden weitgehend von Pflichtaufgaben aufgefressen. Sparen ist alternativlos.

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