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Havarien der Berliner WasserversorgungWenn der Grauguss mürbe wird

Schlummert eine Zeitbombe im Boden unter Berlin? Trotz spektakulärer Rohrbrüche wie dem an Silvester sagen die Wasserbetriebe: Nein.

Spektakulär, aber vergleichsweise selten: Rohrbruch unter der Wedddinger Seestraße Foto: Credit IMAGO / PIC ONE

Berlin taz | Als Berlin am Silvestertag die Stunden zum Jahreswechsel zählte, versiegte plötzlich in rund 250.000 Haushalten von Frohnau bis Kreuzberg das Wasser: Unter der Seestraße in Wedding war eine große Trinkwasserleitung geplatzt. Die direkte Umgebung verwandelte sich in einen See, während die Berliner Wasserbetriebe (BWB) in beachtlichem Tempo den Schaden regulierten. Durch das Schließen von Schiebern auf beiden Seiten des Lecks stoppten sie den Druckabfall, nach gut einer Stunde floss es überall wieder aus den Hähnen.

Für die vom Ausfall betroffenen BerlinerInnen war es eine kurze Episode, auch wenn sie für medialen Aufruhr sorgte. Am Ort der Havarie wird es noch eine ganze Weile dauern, bis die Normalität zurückkehrt: Die Wasserbetriebe rechnen mit monatelangen Bauarbeiten, um zwischen Afrikanischer und Togo­straße rund 270 Meter Leitung auszutauschen. Die BVG geht davon aus, dass die Reparatur der Tramstrecke „mindestens mehrere Wochen“ in Anspruch nehmen wird.

Erst im Mai war es zu einem großen Rohrbruch in Neukölln gekommen, dort barst eine Trinkwasserleitung in der Nähe des S-Bahnhofs Sonnenallee. BewohnerInnen der anliegenden Gebäude mussten evakuiert werden, im Fall eines Eckhauses sogar für längere Zeit, bis klar war, dass keine Unterspülung die Statik des Gebäudes gefährdet. Es dauerte bis Dezember, bis die Straße wieder repariert war.

Nach solchen spektakulären Rohrbrüchen beschleicht viele ein ungutes Gefühl: Ist das Trink- und Abwassernetz der Stadt eine Zeitbombe? Zerbröselt im Boden unter Berlin gerade eine Infrastruktur mit unabsehbaren Folgen? Die Wasserbetriebe sagen sehr klar: nein.

Ein ungewöhnliches Gewächs

Im Gespräch mit der taz erklärt BWB-Sprecher Stephan Natz erst einmal, warum trotz der havariebedingten Abriegelung einer Hauptleitung das Wasser wieder fließt. Er vergleicht das Trinkwassernetz mit einem Baum – einem reichlich ungewöhnlichen allerdings, bei dem die Äste und Zweige nicht einfach in der Luft enden, sondern in Schleifen zurück zum Stamm führen.

In diesem Gebilde kann sich das Wasser bei Sperrung eines größeren Rohrs andere Wege suchen – es dauert dann nur etwas, bis der Wasserdruck wieder stabil ist, denn das Verschließen der großen Schieber geht nicht im Handumdrehen. Im Übrigen fiel auch an Silvester das Wasser nicht überall komplett aus: Oft reichte der Druck noch für die unteren Geschosse vieler Gebäude.

Zur Frage der vermeintlichen Infra­strukturapokalypse sagt Natz, das Versorgungsnetz sei nicht nur stabil, sondern mit rund 500 Rohrbrüchen im Jahr sogar historisch stabil. Zur Wiedervereinigung 1990 habe es in Berlin noch dreimal so viele Wasserrohrbrüche gegeben. Damals lag die Schadensquote in den östlichen Bezirken dramatisch über der im Westen – in der DDR habe man das Bestandsnetz im Grunde nicht instandgehalten, alle Investitionen seien in Neubauviertel geflossen.

Die Wassernetze der Stadt muss man sich laut dem BWB-Sprecher wie einen riesigen Flickenteppich vorstellen: Hier liegt ein Stahlrohr aus dem 19. Jahrhundert, dort ein nagelneues aus „duktilem Grauguss“, dem modernsten Werkstoff, dazwischen gibt es den klassischen Grauguss, aber auch Faserzement, ein Material, das in den 70er Jahren als günstig und dauerhaft galt, tatsächlich aber eine ziemlich miserable Haltbarkeit aufweist.

Das Rohr unter der Seestraße wurde vor 97 Jahren in den Boden gebracht und bestand aus Grauguss, einem eigentlich sehr robusten Material: „Grauguss hält ewig, wenn man ihn in Ruhe lässt“, sagt Stephan Natz, „aber in der Stadt doktert eben jeder am Boden rum.“ Auch die jahrzehntelangen Erschütterungen durch den Verkehr machten die Rohre langsam mürbe. „Dann rollt vielleicht mal ein Schwertransport über die Straße und gibt den entscheidenden Impuls.“

Der BWB-Sprecher verweist auf das mit knapp 58 Jahren recht überschaubare Durchschnittsalter der 7.827 Kilometer Haupt- und Versorgungsleitungen für Trinkwasser. Die unter etwas niedrigerem Druck stehenden 1.185 Kilometer Abwasserdruckleitung (der Löwenanteil fließt druckfrei über Kanäle in Richtung Klärwerk) sind mit im Schnitt 52 Jahren sogar noch jünger.

Der Durchschnitt mag stimmen. Aber er kommt ja zustande, weil Teile des Netzes eben deutlich älter sind. Auch das ist laut Natz im Prinzip so in Ordnung. Das älteste Berliner Wasserrohr aus Grauguss liege unter der Mühlenstraße in Friedrichshain, habe 160 Jahre auf dem Buckel und erfreue sich besten Zustands: „Alter ist nichts Schlechtes.“

Trotzdem muss das Netz konstant saniert werden. Das kann von langer Hand geplant sein – dazu führen die Wasserbetriebe eine lange Liste, in der neben dem Alter der Abschnitte auch deren Kaliber, das Material bis hin zur Charge und die Bodenart verzeichnet sind. Manchmal ist es aber eben auch eine Havarie, die eine Maßnahme kurzfristig notwendig macht.

130 Kilometer im Jahr

Insgesamt erneuern die BWB nach eigenen Angaben gut 130 Kilometer Rohre und Kanäle im Jahr, das kostet rund 250 Millionen Euro. Bis 2040 soll es keine Trinkwasserleitung ab einem halben Meter Durchmesser mehr geben, die älter ist als 120 Jahre. Für Abwasserdruckleitungen gilt sogar ein Höchstalter von nur 60 bis 80 Jahren.

Das Problem besteht darin, dass jede Sanierung eine Vielzahl von Absprachen und bei der Durchführung eine große Baustelle mit sich bringt. Eine Gratwanderung in der Enge der Großstadt – die Netzbauchefin der Wasserbetriebe, Eva Exner, kann ein Lied davon singen.

Exner führt den Tempelhofer Damm als Beispiel an: Zwischen Platz der Luftbrücke und Borussiastraße müssten drei große Abwasserdruckleitungen ausgetauscht werden: „Die stammen noch aus der Gründerzeit der Kanalisation vor rund 150 Jahren.“ Lange habe der Senat die Wasserbetriebe nicht an den T-Damm gelassen, „weil der eine so wichtige Magistrale ist“, sagt Exner. „Jetzt dürfen wir – koordiniert von uns gemeinsam mit der BVG, die ihren U-Bahn-Tunnel dichtet, mit Vattenfall, dem Bezirk und dem Land.“ Am Ende entstehe „eine komplett neue Straße“.

Eine Großbaustelle, die von sich hören machen wird. Schon heute bilden sich auf dem T-Damm lange Staus. Aber alles ist besser als eine geplatzte Abwasserleitung – gegen diesen buchstäblichen Shitstorm ist eine Havarie wie in der Seestraße ein Klacks.

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