: Eine Krise ist nicht gern alleine
Die planetaren Probleme wachsen und verstärken sich gegenseitig. Für Lösungen gilt das aber auch, zeigt ein neuer Expertenbericht
Von Heike Holdinghausen
Rund 58 Billionen US-Dollar, rund die Hälfte des globalen Sozialprodukts pro Jahr, sind mäßig bis stark von Leistungen der Natur abhängig. Das stellen die Wissenschaftler des Welt-Biodiversitätsrates (IPBES) in ihrem sogenannten „Nexus-Bericht“ fest, den sie am Montagabend in Namibias Hauptstadt Windhoek gemeinsam mit den Regierungsdelegationen von 150 Ländern beschlossen haben. Der Name Nexus – aus dem Lateinischen für Verknüpfung oder Zusammenhang – verweist auf einen neuen Ansatz des wissenschaftlichen Gremiums. In seinem Bericht schaut es nicht isoliert auf sein Kerngebiet, den Verlust der Biodiversität, sondern verknüpft ihn mit den Elementen Wasserverfügbarkeit und -qualität, Ernährungssicherheit, Gesundheit und Klimawandel. In den 59 Seiten stecken drei Jahre Arbeit von 165 Experten aus 57 Ländern. „Diesen Bericht können sich Entscheidungsträger nun zu eigen machen“, sagt Ralf Seppelt, Leiter des Departments Landschaftsökologie am Leipziger Umweltforschungszentrum UFZ und Co-Autor des neuen Berichts.
Die Elemente des Nexus-Berichts seien auf vielschichtige Weise miteinander verbunden und müssten gemeinsam gedacht und angegangen werden, fordert der Bericht. Als Beispiel für eine sinnvolle Maßnahme, die diesem Vorgehen entspricht, führt er den Beschluss des Pariser Stadtrats von 2022 an, innerhalb von fünf Jahren in städtischen Kantinen und Mensen nur noch nachhaltiges Essen anzubieten. Die Stadt Paris und der Wasserversorger „Eau de Paris“ haben dazu laut Bericht 47 Millionen Euro bereitgestellt, um Landwirte der Region dabei zu unterstützen, auf biologische Landwirtschaft umzustellen. Dieser gesamtheitliche Ansatz spreche alle Elemente an, so Seppel. Die Idee: Wird in Kantinen, Schulen und Kindergärten vor allem pflanzenbasierte, frische Kost angeboten, steigert das die Gesundheit der Bevölkerung. Kurze Transportwege vermindern Treibhausgas-Emissionen; biologisch wirtschaftende Landwirte fördern die Artenvielfalt und schützen den Wasserhaushalt vor Ort, weil weniger Düngemittel und Spritzmittel in Böden und Gewässer gelangen.
Ein anderes Beispiel: In Kalifornien – einem großen Reisanbaugebiet – brennen die Reisfarmer abgeerntete Felder nicht mehr ab, wie es lange üblich war. Stattdessen setzen sie die Flächen im Winter unter Wasser und beseitigen damit die übrig gebliebene Biomasse. Es entstehen nicht nur Lebensräume für Wasserorganismen und Insekten, sondern auch für Lachse, ein wichtiges Lebensmittel für indigene Gemeinschaften vor Ort. Zudem verringert die Flutungsmethode den Ausstoß von klimaschädlichem Methan.
Insgesamt nennt der Bericht 70 unterschiedliche Maßnahmen, die gut für die Nexus-Elemente seien. „Wir stehen zwar mit dem Rücken zur Wand“, sagt Seppelt, „aber wir haben Möglichkeiten, die Probleme zu lösen.“
Ralf Seppelt, Wissenschaftler
Wichtig ist den Wissenschaftlern, dass es nicht nur abstrakt um den Erhalt von Lebensgrundlagen geht, sondern um den von Wertschöpfung. Der Wert von Bestäuberleistungen von Insekten, von Bodenfruchtbarkeit, von natürlicher Schädlingskontrolle, funktionierenden Waldsystemen, die resilient gegen Stürme sind und Klima sowie Wasserhaushalt regulieren können, sind in dem Bericht beziffert worden.
Ganz neu sind die Zusammenhänge, die der Bericht darlegt, der Öffentlichkeit nicht – bislang haben sie aber nicht zu einer politischen Umkehr geführt. Mut macht den Wissenschaftlern, dass ihr Bericht in Windhoek von den Regierungsvertretern mit beschlossen wurde. Anders als auf den großen UN-Konferenzen zur Biodiversität im kolumbianischen Cali und zum Klima in Baku in Aserbaidschan dieses Jahr sei das Plenum in Namibia mit einem konkreten Ergebnis zu Ende gegangen, sagt UFZ-Forscher Yves Zinngrebe, Co-Autor eines am Mittwoch erscheinenden zweiten Berichts des IPBES-Treffens, in dem es um transformativen Wandel geht. „Wir haben das nicht gemacht, um eine weitere wissenschaftliche Publikation herauszugeben, sondern wollen das in politisches Handeln übersetzen“.
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