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Personal in der PflegeMehr Vertrauen, weniger Vorschriften

In der Pflege fehlen Fachkräfte. Nach dem Ampel-Ende liegen Reformgesetze auf Eis, die den Beruf attraktiver machen sollen. Verbände schlagen Alarm.

Neuer Schwung in der Pflege wird dringend benötigt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Berlin taz | Bereits heute fehlen überall in der Pflege Fachkräfte. Die Vorsitzende des Deutschen Pflege­rats, Christine Vogler, befürchtet, dass sich der Fachkräftemangel nach dem Bruch der Ampelkoalition verschärfen könnte. Denn die Gesetze, die den Beruf attraktiver machen sollen, liegen derzeit auf Eis. Das sind vor allem das Pflegekompetenzgesetz sowie das Pflegefachassistenzeinführungsgesetz.

Sie wundern sich, wie wenig sie ihre Kompetenzen nutzen können

Christine Vogler, Deutscher Pflegerat

Gesetze, die laut Vogler dringend notwendig sind. Beide sehen eine Neuverteilung der Kompetenzen vor. Konkret geht es darum, dass die Pflegenden ihre Kernaufgaben gleichberechtigt und ohne zusätzliche Genehmigungen durch Ärz­t*in­nen oder andere Heilberufe erbringen dürfen. Außerdem beinhalten die Gesetzentwürfe die Schaffung einer hauptamtlichen Selbstverwaltung aller Pflegeberufe auf Bundesebene sowie die Sicherung der langfristigen Finanzierung. Sowohl in der Politik als auch bei den Kassen und Verbänden ist unstrittig, dass diese Reformen kommen müssen.

Deutschland liegt im europäischen Vergleich in Sachen Kompetenzverteilung und Enthier­archisierung bereits seit Jahren ziemlich weit zurück. Diese Missstände zeigten sich besonders deutlich, wenn ausländische Pflegekräfte hier arbeiten, berichtet Vogler. „Die ausländischen Fachkräfte wundern sich, wie wenig sie und ihre deutschen Kol­le­g*in­nen ihre Kompetenzen nutzen können.“ Und das mindere das Interesse, nach Deutschland zu kommen oder in den Pflegeberuf einzusteigen.

Das Pflegekompetenzgesetz könne diese verfahrene Situation endlich ändern, indem die Handlungsspielräume des Pflegepersonals grundlegend erweitert würden, hofft sie. Denn bessere Arbeitsbedingungen seien essenziell, um künftig den Bedarf an Pflegekräften zu decken. Das hätten alle politischen Akteure viel zu spät erkannt.

Halbe Million Pflegekräfte werden zusätzlich gebraucht

Laut Statistischem Bundesamt werden bis 2049 über zwei Millionen Pflegekräfte benötigt, bis zu einer halben Million mehr als bisher. Bereits heute wird Personal zunehmend außerhalb Deutschlands rekrutiert. Im Jahr 2023 waren laut BKK Dachverband etwa 270.000 professionelle Pflegekräfte aus dem Ausland in Deutschland tätig. Ein Anteil von 16 Prozent.

Trotz der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt macht sich Vogler aber wenig Hoffnung. „Ich bin nicht optimistisch, dass die beiden so wichtigen Gesetze noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden“, sagt Vogler.

Das Bundesgesundheitsministerium teilte der taz auf Nachfrage mit, das sei letztlich die Entscheidung des Parlaments, man halte aber an den Vorhaben fest.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war Anfang November als Schirmherr persönlich zum diesjährigen Pflegetag gekommen, um den Tausenden anwesenden Pfle­ge­r*in­nen seine Unterstützung zuzusichern. Es mache keinen Sinn, dass aus Hierarchiegründen Pflegekräfte herabgesetzt würden, obwohl sie Ärzten oft erst erklärten, was eigentlich zu tun sei. „Die Arbeit der Pflege ist für die Gesundheitsversorgung genauso wichtig wie die Arbeit von Ärzten“, betonte er.

Birgt das Ampelende auch Chancen?

Er kam jedoch nicht umhin zu konstatieren, dass „die Stimmungslage auch in der Pflege in den letzten Jahren immer schlechter geworden“ sei. „Wir versuchen stetig und mit System, die Pflege besser zu vergüten“, betonte er.

Vogler konstatiert, dass die Ampelkoalition in den vergangenen drei Jahren durchaus viele Fortschritte für die Profession Pflege gebracht habe. „Diese wurden aber nicht zu Ende geführt“, so Vogler. Sie appelliert nun an alle Parteien, dass die Sicherung der Pflege, sowohl finanziell als auch personell, ein zentraler Punkt im Wahlkampf sein müsse. Außerdem fordert sie „mutige Schritte“ zur Entbürokratisierung des Systems. „Alle demokratischen Parteien in Deutschland müssen schnell die Rahmenbedingungen für eine sichere Versorgung schaffen“, sagt Vogler. Eine schlechte Versorgung könne Sprengkraft für die gesamte Gesellschaft entfalten.

Der Geschäftsführer des Deutschen Pflegetages, Jürgen Graalmann, hofft, dass mit dem Ende der Ampelkoalition neue finanzielle Spielräume entstehen. Er habe die Hoffnung, dass die Schuldenbremse aufgehoben werde und so mehr Geld bereitstehe, „um die dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen weiter zu forcieren“. Den Pflegekassen fehlten bis 2030 etwa 10 Milliarden Euro. Bei immer knapper werdenden Ressourcen in den Kommunen als Sozialhilfeträger müsse hier der Bund tätig werden, fordert er.

Dass sich diese Hoffnung erfüllt, ist kaum zu erwarten. Die Union sieht eine Reform der grundgesetzlichen Schuldenbremse (noch) kritisch und betont immer wieder, dass diese wenn, dann nur für investive Ausgaben reformiert werden dürfe. Also etwa für den Bau von Brücken und Straßen, aber nicht für Bundeszuschüsse an die Pflegekassen.

Mehr insolvente Pflegedienste

Doch um die pflegerische Infrastruktur zu sichern, bräuchten die Kassen dringend zusätzliche Mittel. „Allein 2023 mussten Hunderte ambulante Pflegedienste Insolvenz anmelden, womit Pleiten im Gesundheitswesen inzwischen doppelt so häufig sind wie in der Gesamtwirtschaft“, so Graalmann.

Er bezieht sich auf eine Berechnung des Instituts für Mittelstandsforschung, nach der im vergangenen Jahr 1,6 Prozent der Unternehmen im Gesundheitswesen Insolvenz anmeldeten. Ein geringer Anteil, aber eine Steigerung von mehr als 86 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und das in einer Situation, in der die Zahl pflegebedürftiger Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung rasant zunimmt. „In den nächsten 25 Jahren wird diese Zahl von heute etwa 5 Millionen Menschen auf 7,5 Millionen anwachsen“, rechnet er vor.

Die Pflegekassen haben im vergangenen Jahr zumindest auf die zunehmende Pflege durch Angehörige reagiert. Damit es nicht zulasten der eigenen Alterssicherung geht, wenn diese durch die Pflege ihre berufliche Tätigkeit reduzieren, zahlt die Pflegekasse unter bestimmten Voraussetzungen Rentenbeiträge für die Pflegeperson.

Laut aktuellen Zahlen haben die Kassen demnach im vergangenen Jahr rund 3,7 Milliarden Euro an Beiträgen für pflegende Angehörige in die Rentenkasse eingezahlt. Damit haben sich die Zahlungen innerhalb von zehn Jahren fast vervierfacht, wie aus Daten der Rentenversicherung hervorgeht. Der Rentenkasse zufolge werden derzeit mehr als 4,3 Millionen Menschen zu Hause gepflegt, meistens durch Angehörige.

Da aber unter den jetzigen Umständen auch den Pflegekassen bald das Geld ausgehe, müsse allerspätestens die neue Regierung nach den vorgezogenen Bundestagswahlen im kommenden Februar die genannten Gesetze sofort zur obersten Priorität machen, mahnt die Pflegeratsvorsitzende Christine Vogler. Sonst sehe es ganz düster aus.

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1 Kommentar

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  • „Die Arbeit der Pflege ist für die Gesundheitsversorgung genauso wichtig wie die Arbeit von Ärzten“

    So klingt es, wenn eine wichtige Wahrheit gelassen ausgesprochen wird. Leider ändert das Aussprechen einer Wahrheit erst mal noch gar nichts (außer vielleicht für den, der den Mund aufmacht).

    Unsere Gesellschaft ist daran gewöhnt, an der Höhe des Gehalts abzulesen, wie wichtig eine Arbeit ist. Das hat mit dem sorgfältig gepflegten Irrglauben zu tun, Arbeiten, die besonders gut bezahlt werden, wären unverzichtbar. Denn wenn sie verzichtbar wären, so der (Trug-)Schluss, müssten sie ja nicht besonders attraktiv gemacht werden mittels Bezahlung. Leider ist das eine Milchmädchen-Auffassung. Eine, von der u.a. Ärzte profitieren.

    Besonders gut bezahlt werden weder die wichtigsten noch die Jobs, für die man besonders schlau sein oder sechs statt drei Jahre ausgebildet werden muss, sondern die, von denen es nur wenige gibt. Alles andere wäre schlicht zu teuer. So kommt es, dass sogenannte Bullshit-Jobs, die kein Mensch braucht, nicht selten sehr viel besser bezahlt werden als etwa die in der Pflege. Wer da arbeitet, tut das, weil es Sinn stiftet - und Sinn lassen sich Menschen was kosten.