Proteste gegen WM in Saudi-Arabien: Fußball ohne Folter
Vor der DFB-Zentrale in Frankfurt demonstrieren Aktivisten gegen die Vergabe der Fußball-WM. DFB-Chef Bernd Neuendorf zeigt sich dialogbereit.
Es war fünf Minuten nach zwölf, als endlich auch die große Banderole vor dem Eingang zur Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gespannt war, nachdem zuvor die Holzpfeiler partout nicht in die Erde wollten. „Kein Fußballfest im Folterstaat 2034“ war zu lesen, davor hatte der Osnabrücker Aktionskünstler Volker-Johannes Trieb mehr als 100 Sandsäcke in Fußballoptik mit dem Aufdruck „Weltgewissen, Du bist ein Fleck der Schande“ auslegen lassen.
Sodann spielte der Musiker Wilhelm Schulz aus Melle ein selbst komponiertes Requiem auf seinem Cello. Die Trauermusik lockte sogar Bewohner aus den Häusern im Frankfurter Stadtteil Niederrad, womit die Arbeiterwohlfahrt (AWO) International und das Fanbündnis „Fairness United“ bei ihrer Protestaktion gegen die bevorstehende Vergabe der WM 2034 an Saudi-Arabien nicht gerechnet hatten.
„Der DFB stimmt für die WM in Saudi-Arabien, weil er ansonsten seine Isolation im Weltfußball fürchtet. Die Isolation in der geld- und machtgeilen Infantino-Fifa wäre jedoch eine Ehre für den deutschen Fußball“, sagte Michael Scheffler, Vorsitzender des AWO-Bezirksverbandes Westliches Westfalen. Der Wohlfahrtsverband stehe seit nun fast genau 105 Jahren für Werte wie internationale Solidarität, führte Scheffler aus, „unser Einsatz für Menschenrechte macht nicht an den Landesgrenzen halt: Speziell die Arbeitsmigranten sind in Saudi-Arabien fast Leibeigene. Moralisch können wir es nicht verantworten, dorthin ein solches Fußballturnier zu geben.“
Michael Scheffler, Arbeiterwohlfahrt, Bezirk Westliches Westfalen
Der 70-Jährige las insbesondere dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf kräftig die Leviten: „Wenn ich beim kleinsten Gegenwind aufgebe, erreiche ich nie etwas. Es würde dem DFB gut zu Gesicht stehen, mal einen Arsch in der Hose zu haben. Die Fifa arbeitet auch nicht mit Samthandschuhen.“ Neuendorf hatte die deutsche Zustimmung damit begründet, dass sich die breite Zustimmung für den umstrittenen Wüstenstaat beim virtuellen Fifa-Kongress am Mittwoch im Doppelpack mit der WM 2030 nicht verhindern lasse.
Aktionskünstler Volker-Johannes Trieb sagte: „Mit dem Demokratieverständnis von Herrn Neuendorf brauchen wir im Februar auch nicht mehr zur Bundestagswahl gehen. Hier wird vorgelebt, dass unsere Stimme eigentlich keinen Wert hat – und wir daher für etwas stimmen, was wir nicht für richtig halten.“ Für ihn sei diese Haltung kaum erträglich, wetterte der 58-Jährige: „Herr Neuendorf nimmt in Kauf, dass dort Menschen sterben!“
Auch Sven Kistner von „Fairness United“ äußerte große Furcht, dass Menschenrechte in dem Königreich Saudi-Arabien wie schon im Emirat Katar mit Füßen getreten werden. „Das Kind liegt schon im Brunnen. Trotz allem müssen wir darauf hinweisen, dass wir absolut nicht einverstanden sind, was der DFB und seine Granden machen. Auch Symbolpolitik ist Politik. Wenn nicht einer anfängt aufzustehen, wird nie einer aufstehen.“
Verbandschef Neuendorf, der als Mitglied im Fifa-Council jährlich 250.000 US-Dollar erhält, hatte vergangene Woche argumentiert, eine Ablehnung sei „reine Symbolpolitik“. Fanvertreter wie Kistner glauben nicht, dass Reformen in der Monarchie umgesetzt werden: „Das halten wir für illusorisch. Das waren schon bei der WM in Russland und Katar reine Schutzbehauptungen.“ Eine Vergabe des sportlichen Megaevents an ein Land, das die Menschenrechte massiv verletzt, sei skandalös, hatte die Faninitiative „Fairness United“ in einem offenen Brief formuliert. Es widerspreche allen ethischen Grundsätzen des Sports, einen solchen Staat als Gastgeber auszuwählen. „Die Rechte von Frauen werden missachtet. Homosexualität ist verboten.“ Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte zuletzt auf Zwangsarbeit, Lohndiebstahl oder Todesfälle von Arbeitern hingewiesen.
Was die am Dienstag in die Mainmetropole gereiste Protestgruppe dem Verbandschef hoch anrechnete: Mediendirektor Steffen Simon kam zu den Demonstranten dem Angebot, dass sich Neuendorf mit drei Aktivisten für einen Austausch am frühen Nachmittag treffen wolle. Sie nahmen an. Neuendorf hatte zuletzt bekundet, er könne trotz aller Bedenken in den Spiegel schauen.
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