: Fröhliche Wahlkampfzeit
Ho, ho, he! Wählt fromm die SPD!“, schallt es über den Weihnachtsmarkt einer beliebigen deutschen Kleinstadt in der Vorweihnachtszeit. Dazu bimmeln leis die Glöcklein vom Wahlstand herüber. Die Ampel ist aus, dafür brennen jetzt überall Kerzen. Denn es ist plötzlich Wahlkampf in Deutschland. Der Termin für die vorgezogenen Neuwahlen am 23. Februar 2025 macht ihn nötig.
Jeder Wahlstand ist auch eine Marktbude: für Glühwein, Schafspantoffeln – und politische Versprechen. Da kann man die Wähler:innen der Zukunft gleich auch noch mit ansprechen. „Lieber guter Weihnachtsmann, dich wähle ich, sobald ich kann …“, sagt mit stockender Stimme ein kleiner Junge auf. Respekt vor Politiker:innen hat zwar heutzutage keine mehr, dafür umso mehr vor Santa Claus. Zur Belohnung gibt es gebrannte Mandeln und einen Kugelschreiber mit Parteilogo.
Zum Glück hat die Briefwahl noch nicht begonnen, denn jetzt entsandte Wahlbriefe würden im Eifer des besinnlichen Gefechts sicher oft versehentlich zum Nordpol oder nach Himmelpfort geschickt. Die Logik dahinter ist nicht von der Hand zu weisen, denn Stimmzettel sind letztlich auch nichts anderes als Wunschzettel. Statt eines Ponys oder einer menschenwürdigen Pflege im Alter gibt es am Ende doch wieder nur karierte Socken und Lebenshilferatgeber.
Zwischen den Ständen zeigen Wahlplakate Politiker:innen als Nikolaus, Krampus oder Engel verkleidet. Allerliebst ist Anton Hofreiter als Christkind anzusehen. Am Wahlstand des BSW schenkt Väterchen Frost heißen Punsch an die Kundschaft aus, wahlweise mit einem Schuss Wodka oder einem Schuss aus der Kalaschnikow.
Die Bude der FDP wird wiederum von Väterchen Frust betreut: Ein Jungliberaler hat sich einen weißstoppeligen Fünftagebart umgehängt und verteilt im roten Kaschmirmantel Christbaumkugeln aus Seifenblasen an die Besucher:innen des Weihnachtsmarkts. Platzende Träume, vergebliche Hoffnungen, ein Symbol der Sinnlosigkeit. Hinter seiner Hütte läuft im Leerlauf ein aufgebockter Porsche ohne Räder und versorgt die zitternden Lämpchen über ihm mit Energie. Schwer zu sagen, ob dieser Auftritt für 5 Prozent reichen wird.
„Zum Fest von Vati einen starken deutschen Baum“, steht auf dem Plakat der rechtsextremen AfD. Im Vordergrund ist eine prächtige Nordmanntanne zu sehen, neben der eine verkrepelte Bananenstaude liegt, die mit Crackpfeifen und Alufolie „geschmückt“ ist. In der „Alpenfestung“ der Partei, einer Holzbude im Almhüttenstil, kann man zwischen mehr braunen Würstchen wählen als an allen anderen Ständen.
Rasch lassen wir uns bei den Grünen etwas Grünkohl auf eine essbare Schale klatschen. Den Knacker dazu müssen wir uns bei der CDU holen. Ich habe mir gerade furchtbar die Zunge verbrannt, da dringen zarte Töne an mein Ohr. „Es ist ein Scholz entsprungen … “, singt der Mädchenchor der ortsansässigen Grundschule. Alle bleiben stehen und lauschen andächtig. Das ist so wunderschön. Manche haben sogar Tränen in den Augen, doch bei näherer Betrachtung sind es Tränen der Verzweiflung. „Bitte nicht schon wieder den“, werden sie sich denken, „Aber wen denn dann? Das geht doch eigentlich alles nicht.“
Bei diesem Dilemma ist es kein Wunder, dass das Wahlvolk sich fetter zukübelt denn je, und das, obwohl der Glühwein in diesem Jahr 8 Euro kostet. Doch er schenkt immerhin gnädiges Vergessen, und wer weiß, ob man das Geld in Zukunft überhaupt noch braucht. Bestimmt wird nach der Wahl der Rubel oder die Reichsmark eingeführt.
Uli Hannemann
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