World Teacher's Day: Einfach mal wertschätzen
Nur auf den Fidschi-Inseln gibt es eine sehr positive Berichterstattung über Lehrkräfte. Das ist ungerecht, findet unser Autor.
S ie sind eine Mangelerscheinung: Lehrkräfte. Und weil es zu wenige von ihnen gibt, ist die Belastung derer, die unterrichten, umso höher. Das wiederum führt zu weiteren Abwesenheiten in den Schulen. Damit bis zum Jahr 2030 das Ziel der Vereinten Nationen erreicht werden kann, allen Heranwachsenden eine hochwertige Schulbildung zu gewährleisten, fehlen laut UNESCO weltweit 44 Millionen Lehrerinnen und Lehrer.
Die Ursachen für den Mangel sind dabei mannigfach und schnell ausgemacht: So fehlt es in vielen Staaten an professioneller Ausbildung, an guten Arbeitsbedingungen, an gerechten Löhnen und an gesellschaftlicher Anerkennung. Nicht alles trifft auf Deutschland zu, dennoch werden hierzulande rund 14.000 Lehrkräfte gesucht. Prognosen sprechen für nächstes Jahr von 25.000 unbesetzten Stellen. „Entfall“ ist auf den Stundenplänen mitunter so häufig eingetragen wie „Mathe“ oder „Deutsch“.
An der Entlohnung kann die offenbar geringe Attraktivität des Berufs bei uns kaum liegen, ebenso wenig an fehlender Ausbildung. In beiden Bereichen gehört Deutschland zur Weltspitze. Ebenfalls überdurchschnittlich ist Deutschland jedoch auch in puncto Unzufriedenheit unter den Lehrerinnen und Lehrern. Laut dem deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung von 2024 gibt zudem mehr als ein Drittel des Lehrpersonals an, emotional erschöpft zu sein.
Der Weltlehrertag am 5. Oktober gibt Anlass, einmal einen etwas pathetischeren Blick auf diesen Beruf zu werfen. Im täglichen Kleinklein umständlicher Elternbriefe, mangelnder Technikausstattung oder abenteuerlicher Klassenfahrtlogistik verliert sich allzu leicht das Bewusstsein für die universelle Bedeutung, die Lehrende für die Menschheit haben.
Lehrkräfte sind Global Player
Nimmt man einmal diese globalere Perspektive ein, wird deutlich, mit wem wir es hier zu tun haben: Zwar befinden sich Schulen in der Regel in kommunaler Trägerschaft und sind Lehrpläne die Angelegenheit von Bundesländern – ihre Lehrkräfte aber sind Global Player. Sie sind Teil einer 85 Millionen Personen umfassenden Zunft, die ein hehres Ziel verfolgt: die nächste Generation auf eine Zukunft vorzubereiten, die niemand kennt, die aber in allen Bildungsvisionen eine „bessere“ sein soll.
Die Vereinten Nationen, die qua Satzung zum Glauben an das Gute verpflichtet sind, wissen um das Potential dieser weltumspannenden Einsatztruppe und widmen ihr seit einigen Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit, bis hin zu UN-Generalsekretär António Guterres. „Weil Lehrkräfte uns alle unterstützen, müssen wir die Lehrkräfte unterstützen“, hielt dieser kürzlich fest. Wenn wir die Bildung verändern wollen, so die Überzeugung, dann müssen wir das Lehrpersonal in die Lage versetzen, selbst zu „Agenten des Wandels“ zu werden.
Vor dreißig Jahren hat die UNESCO den Weltlehrertag ins Leben gerufen. Der Weltbericht einer TaskForce der UNESCO zum internationalen Lehrermangel legt den Finger in eine der Wunden: die fehlende mediale Würdigung des Lehrberufs. So habe eine „sehr positive Berichterstattung“ über Lehrerinnen und Lehrer in einem großen Sample an Ländern nur in einem einzigen Land dokumentiert werden können, nämlich auf den Fidschi-Inseln! Der Skandal liegt in den Fehlanzeigen aus den anderen Ländern.
Die UNESCO ist in den Vereinten Nationen für die Bildung zuständig und rückt seit je den besonderen Status der Lehrerinnen und Lehrer in den Blick. So auch schon in den fünfziger Jahren, als ebenfalls händeringend Lehrpersonal gesucht wurde. Damals verständigten sich Experten auf einer Konferenz in Hamburg über das ideale Profil künftiger Lehrkräfte, während an den Schulen oft noch strenge Autoritätspersonen vorherrschten: „Geistige Regsamkeit“, Begeisterungsfähigkeit und Optimismus lauteten die erhofften Charaktermerkmale.
Gegen „Kräfte der Beharrung“ zur Wehr setzen
Die internationalen Fachleute empfahlen den Lehramtsanwärtern ganz progressiv, sie sollten sich gegen „Kräfte der Beharrung oder gar der Reaktion“ zur Wehr setzen. Gleichzeitig sollten sie aber auch „Demut“ zeigen, „angesichts der gewaltigen Probleme, vor denen die Menschheit steht.“
Optimismus zu bewahren, zu entwickeln und zu vermitteln, ist heute im Kontext des Klimawandels erst recht zu einer enormen Herausforderung geworden. Viele junge Menschen leiden an Zukunftsangst, auch die Empfänglichkeit für Parolen und Verschwörungstheorien ist eine zunehmende Gefahr. Das erzeugt zusätzlichen Erwartungsdruck auf eine Profession, die sich aufgrund ihrer Zukunftsorientierung in immer neuen Zukunftsthemen fit machen muss, um die nächste Generation für die Demokratie und einen zuversichtlichen Lebensweg ins Ungewisse befähigen zu können.
„Viele Menschen können auf eine Lehrkraft verweisen, die ihr Leben verändert hat“, heißt es im UNESCO-Bericht „Futures of Education“ von 2021 – oder wie es der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger in einem Gespräch mit Schülern zusammengefasst hat: „Aus seiner Schulzeit behält man drei bis vier Lehrer in guter Erinnerung (…), die anderen sind verschwunden. Aber auf diese drei kommt es dann an.“
Darin liegt der Kern einer neuen Wertschätzung für Lehrkräfte: Sich zu besinnen, wo im eigenen Leben die pädagogischen Wegbegleiterinnen und -begleiter Neugierde geweckt, Impulse gesetzt, Weichen gestellt, Augen geöffnet und zu Entscheidungen ermutigt haben. Nicht immer hat das im Kerncurriculum stattgefunden, oft gerade in kreativ genutzten Freiräumen wie Umwelt- oder Theatergruppen.
Wie aber lässt sich der Erwartungsdruck mildern, der auf den Lehrkräften lastet? Die UNESCO wirbt dafür, die Vorbereitung auf die Zukunft auf mehrere Schultern zu verteilen: die Schülerinnen und Schüler stärker als Partner einzubeziehen, im Kollegium in multidisziplinären Teams zu arbeiten, Netzwerke zu bilden. Auch die Eltern müssen sich als Teil des Teams verstehen. Global Player heißt also zugleich, Teamplayer zu sein.
Dr. Roman Luckscheiter ist Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission mit Sitz in Bonn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg